Vier-TageWoche für alle?
Als Ausgleich für den 12-Stunden-Tag fordern Gewerkschafter drei Tage Freizeit. Was innovativ klingt, ist in Wahrheit längst möglich.
WIEN. Geht es nach dem Gewerkschaftsbund ÖGB, soll die Post kein Einzelfall bleiben. „Die neue Arbeitszeitflexibilisierung soll nicht nur dem Arbeitgeber, sondern auch dem Arbeitnehmer zugutekommen“, sagt ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. Er fordert ein Anrecht auf die Vier-Tage-Woche, das Recht darauf soll künftig in allen 450 Kollektivverträgen (KV) verankert werden. Vor diesem Hintergrund bereiten sich die Gewerkschaften auf eine harte Herbstlohnrunde vor. Katzian formuliert es so: „Es wird sehr intensive Diskussionen geben.“
Den Auftakt bildet Mitte September erstmals eine Konferenz aller Kollektivvertragsverhandler von allen Gewerkschaften. Das neue Arbeitszeitgesetz tritt zwei Wochen vorher, mit 1. September, in Kraft.
Ein „verbriefter Rechtsanspruch“auf eine Vier-Tage-Woche ist nur ein Punkt, den sich die Gewerkschaft auf die Fahne geschrieben hat – aber der wichtigste, zielt er doch direkt auf die von der ÖVP/FPÖ-Regierung entgegen sozialpartnerschaftlichen Usancen durchgezogene Arbeitszeitflexibilisierung. Der ÖGB will auch eine sechste Urlaubswoche für alle und selbst bestimmte Freizeitblöcke als Zeitausgleich für Mehrarbeit.
Aber eigentlich hat die Vier-TageWoche mit dem Zwölf-Stunden-Ar- beitstag wenig zu tun. Sie war bei einem Zehn-Stunden-Tag schon bisher möglich. Nur wurde sie in den allerseltensten Fällen umgesetzt. Warum? „Die Unternehmen sind in diesem Punkt sehr inflexibel“, sagt ÖGB-Chef Katzian.
Das bestätigt Josef Muchitsch, Bundesvorsitzender der Baugewerkschaft und SPÖ-Nationalratsabgeordneter. In der Baubranche gebe es die Vier-Tage-Woche seit 1996 in fast allen Kollektivverträgen. Doch Firmen setzten ihn nur selten um. „80 Prozent der Bauarbeiter arbeiten abwechselnd vier und fünf Tage. Nur wenige haben die Vier-Tage-Woche.“Dabei wäre der Wunsch bei Arbeitnehmern ebenso vorhanden wie bei der Gewerkschaft, weiß Muchitsch. „In jedem Fall wird es Thema der Kollektivvertragsverhandlungen.“
Aus Sicht des Arbeitsrechtlers Martin Risak ergibt eine Vier-TageWoche durchaus Sinn. Rechtlich sei das nichts anderes als eine „verdichtete Arbeitswoche“, wie sie bereits jetzt möglich gewesen wäre. Allerdings werde das in manchen Bereichen schwieriger umzusetzen sein als in anderen. Um zu sehen, wie sich die Maßnahme bewähre, könne ein Probebetrieb sinnvoll sein, meint Risak.
Dass eine Vier-Tage-Woche keine Utopie ist, sondern immer öfter angeboten und umgesetzt wird, zeigen mehrere Beispiele. So ist die Technologieagentur Bike Citizens in Graz mit Niederlassung in Berlin seit vier Jahren im Vier-TagesRhythmus unterwegs – das gilt bis auf einen Mitarbeiter für alle 25 Beschäftigten. Man sei als Entwickler von digitalen Werkzeugen fürs Fahrradfahren darauf angewiesen, kreative Lösungen zu finden, „und Kreativarbeit passiert nicht immer nur am Schreibtisch“, sagt Geschäftsführer Daniel Kofler.
Viele Probleme würden durch „langsames Sickernlassen im Hinterkopf“gelöst, mehr Freizeit helfe dabei. Bei einer Vier-Tage-Woche kämen auf einen freien Tag 1,33 Tage Arbeit, bei einer Fünf-Tage-Woche seien es im Regelfall 2,5 Tage Arbeit. Reduziert hat man bei den 2011 gegründeten Bike Citizens mit Einführung der Vier-Tage-Woche auch die Wochenarbeitszeit von 38,5 auf 36 Stunden – also auf neun Stunden pro Tag. Gerade wird überlegt, hier noch weiter – bis auf 32 Wochenstunden – runterzugehen.
„Wenn man die Produktivität um zehn Prozent steigert, könnte man die Arbeitszeit um 1,5 Stunden in der Woche reduzieren“, sagt Kofler. Denn auch der Neun-Stunden-Tag sei nicht die produktivste Form der Arbeit. „Wir müssen akzeptieren, dass wir nicht mehr in der Zeit leben, in der die Verdoppelung der Arbeitszeit auch zur Verdoppelung des Outputs führt.“
Selbst in der Hotellerie und Gastronomie beginnt man, den Mitarbeitern eine Vier-Tage-Woche anzubieten. Und das in einer Branche, in der lange Zeit die Sechs-TageWoche Usus war, ehe sich in jüngster Vergangenheit immer mehr Betriebe auf eine „normale“Fünf-Tage-Woche umstellten. „Dienstleistungsberufe sind für die Mitarbeiter fordernd und mehr Erholung ist für die Arbeitsqualität und Produktivität des Teams förderlich“, erklärt Christian Grünbart, Geschäftsführer des Hotels Aviva in St. Stefan am Walde im Mühlviertel. Das Vier-Sterne-Superior-Hotel hat im Juni begonnen, auf Vier-Tage-Wochen à zehn Stunden umzustellen, vorerst in Rezeption, Haustechnik, Marketing und Verwaltung.
Bis Jahresende sollen Küche und Service folgen. Eine Mitarbeiterin spare sich durch die verkürzte Arbeitswoche 450 Kilometer Anfahrt pro Monat. Ausgenommen werden Housekeeping und Reinigung. „Da sind schon acht Stunden pro Tag auf den Beinen anstrengend genug“, sagt Grünbart. Die Fitnessuhr einer Mitarbeiterin habe 20.000 Schritte pro Tag ergeben. Deshalb bleibe man hier bei der Fünf-TageWoche.
Mit einer besseren Work-Life-Balance könnten Beschäftigte generell länger in der Branche gehalten werden, ist der Hotelmanager überzeugt. „Derzeit flüchten ab 25 viele aus der Branche.“Viele Betriebe aber lebten von ihren Stammgästen und seien auf gut eingespielte Teams angewiesen. Last, but not least nutze die Vier-Tage-Woche auch bei der Rekrutierung von neuem Personal. Seit der Einführung habe man auch mehr Bewerbungen, sagt Grünbart, „nicht fünf am Tag, aber es ist besser als vorher“.
„Wir werden sehr intensiv diskutieren.“Wolfgang Katzian, ÖGB-Chef