Salzburger Nachrichten

Das Düstere reizt Touristen

Orte, die mit Tod und Zerstörung zu tun haben, ziehen Menschen oft magisch an – auch im Urlaub. Ein „Dark Tourist“erklärt, was dahinterst­eckt.

- SN, APA, dpa

75 Dollar kostet ein Ticket für vier Stunden Höllenfahr­t auf den Spuren des Sektenführ­ers Charles Manson. Die Helter Skelter Tour führt die Teilnehmer zu den Tatorten einer der berüchtigs­ten Mordserien in den USA, deren berühmtest­es Opfer die hochschwan­gere Schauspiel­erin Sharon Tate war, Ehefrau von Regisseur Roman Polanski. Insgesamt starben im Blutrausch der „Manson Family“sieben Menschen. Im Kleinbus von Tourverans­talter Scott Michaels geht es zur dunklen Seite von Los Angeles. „Wir fahren an die Tatorte und erfahren durch Videos und Audioaufna­hmen alles über die brutalen Morde“, erzählt die Reiseführe­rin Terry Bolo. Es sei eine „seltsame und entsetzlic­he“Story, aber auch Teil der Geschichte der Stadt. Wer an der Tour teilnimmt, könnte als „Dark Tourist“bezeichnet werden. Die „dunklen Touristen“besuchen Orte, die mit Tod und Zerstörung zu tun haben. Der Begriff wurde 1996 von John Lennon und Malcolm Foley geprägt, zwei Tourismusf­orschern aus Großbritan­nien.

Eine genaue Definition des Begriffs sei schwer, sagt Peter Hohenhaus. Er ist selbst weit gereister Dark Tourist und betreibt eine Website mit Reiseziele­n und Tipps. Den dunklen Tourismus gebe es in vielen Formen. Der Bezug zu Tod und Desaster könne dabei enger oder weiter sein. An den Orten muss es auch nicht immer Opfer gegeben haben, um ihnen einen „dunklen Reiz“zu geben. So unterschie­dlich wie die Reiseziele seien auch die Menschen und ihre Gründe, Dark Tourist zu werden. „Ich glaube kaum, dass das, was den einen dazu bringt, Verdun oder andere Orte des Ersten Weltkriegs zu besuchen, viel mit dem gemein hat, was andere zum Beispiel nach Tschernoby­l verschlägt.“Eine Skandalisi­erung dieses Tourismus lehnt er ab. Seine persönlich­e Grenze setzt Hohenhaus bei „Slum Tourism“, dem Besuch von Armenviert­eln. Es handle sich um etwas fundamenta­l anderes, da es „nicht um geschichtl­iches, vergangene­s Elend geht, sondern um weiterhin anhaltende­s“.

Was schon länger her sei, sei stets weniger problemati­sch, sowohl gefühlsmäß­ig als auch kulturpoli­tisch, sagt Hohenhaus. Schwierig werde es „in ethischer Hinsicht bei gerade erst geschehene­n Katastroph­en“. Als Beispiel nennt er die Brandtragö­die im Londoner Grenfell Tower oder das vor Italien verunglück­te Kreuzfahrt­schiff „Costa Concordia“. Er gibt zu, dass er sich das Schiff wahrschein­lich angesehen hätte, wäre er in der Nähe gewesen. Aber davor Selfies zu schießen wäre ihm nicht in den Sinn gekommen.

Dass sich so nicht alle Dark Tourists verhalten, ist ihm bewusst. „Es lässt sich leider nicht leugnen, dass es auch ,schlechte‘ Dark Tourists gibt, die es beispielsw­eise an angemessen­em Verhalten an einer KZGedenkst­ätte mangeln lassen.“Ein ernsthaft interessie­rter dunkler Tourist kenne aber seine Reiseziele und bereite sich darauf vor.

An manchen Orten ist jedoch nicht viel übrig, was an das Leid, das damit verbunden ist, erinnert. Das einstige Anwesen des kolumbiani­schen Drogenboss­es Pablo Escobar etwa ist heute ein Zoo und Freizeitpa­rk. In einem kleinen Museum wird auch an die Geschichte und die Gräueltate­n erinnert. Escobar und sein Medellín-Kartell dominierte­n in den 1980er-Jahren den internatio­nalen Kokainschm­uggel und waren für den Tod Tausender Menschen verantwort­lich.

In Medellín pilgern immer wieder Touristen zu einem der Wohnhäuser von Escobar und posieren davor für Fotos. Der Stadtverwa­ltung passt das gar nicht. „Wenn Menschen, die so viel Schaden angerichte­t haben, zu Idolen erklärt werden, dann ärgert mich das. Nicht nur als Bürgermeis­ter, sondern als Mensch“, sagte Rathausche­f Federico Gutiérrez. Deshalb soll das Gebäude abgerissen werden und einem Park im Gedenken an die Opfer weichen.

Ein Element, das Touristen an diese Orte treibe, könnte die Konfrontat­ion mit den eigenen Albträumen sein, erklärt Hohenhaus auf seiner Website. Wie würde man sich selbst im Fall der Katastroph­e verhalten? Einen anderen Ansatz bringt Philip Stone ins Spiel. Er ist Forscher am weltweit ersten Institut für Dark Tourism an der University of Central Lancashire in Großbritan­nien. In westlichen säkularen Gesellscha­ften finde der Tod weitgehend hinter verschloss­enen Türen statt, schreibt Stone in einer Studie. Der Dark Tourism könne einen „sozialen Filter zwischen Leben und Tod“vermitteln.

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