Mit der Familie feiern, bis das Lachen vergeht
„Zu Hause ist es am schönsten“ist eine italienische Familiensommerkomödie mit gefährlichen Untiefen.
WIEN. Die Eltern feiern die goldene Hochzeit auf einer malerischen Insel, wo früher die ganze Großfamilie die Sommer verbracht hat. Inzwischen sind die Kinder alle erwachsen, verheiratet, mit Kindern, geschieden oder frisch verliebt, ein Onkel hat Alzheimer, ein Cousin schnorrt alle an, und bei den Teenager-Enkerln gehen die Hormone durch: „Zu Hause ist es am schönsten“beginnt als flockige Sommerkomödie von Gabriele Muccino, jenem Regisseur, der in Hollywood die Tränendrücker „Das Streben nach Glück“und „Sieben Leben“mit Will Smith inszeniert hatte. Daheim in Italien klingt Muccino wesentlich herber: „Menschen sind von Natur aus aggressiv und streitsüchtig“, weiß der Regisseur – aus eigener Erfahrung. SN: Der Film beginnt als eine dieser übertrieben idyllischen italienischen Familienkomödien und wird dann unerwartet finster.
Gabriele Muccino: Ja, aber so ist das doch: Familientreffen beginnen immer fröhlich, alle kommen zusammen und spielen den anderen eine Rolle vor. Das funktioniert ein paar Stunden, eben so lange, wie so ein Familientreffen normalerweise dauert. Aber wenn uns ein äußeres Ereignis zwingt, länger beisammen zu bleiben, werden wir müde, und diese Müdigkeit bringt unsere wahren Persönlichkeiten ans Licht. Menschen sind von Natur aus aggressiv und streitsüchtig. Und die meisten von uns kennen das Gefühl von Klaustrophobie, wenn wir länger mit unseren Verwandten zusammen sein müssen als gedacht. SN: Sie haben auf einer Insel nahe Neapel gedreht, wo man sofort Urlaub machen möchte. Warum ausgerechnet dort? Diese Insel ist natürlich ein metaphorischer Ort: Um von dort wegzukommen, braucht man ein Boot, oder man müsste an Land schwimmen. Es ist ja kein Zufall, dass Gefängnisse oft auf Inseln gebaut wurden, denken Sie an Alcatraz. Und als das Unwetter losbricht, kann niemand mehr von der Insel weg. SN: „Zu Hause ist es am schönsten“handelt auch von Paaren in verschiedenen Stadien der Verliebtheit bis zur Resignation. Eine Großtante beschreibt Verliebtsein gar als Krankheit, die es eben zu überdauern gilt. Ist das Ihre Überzeugung? Ja, es ist im Grunde wie ein Syndrom. Selbst die Großeltern im Film sind nur zufrieden miteinander, weil sie akzeptiert haben, dass Monogamie ein gescheitertes Konzept ist. Die Liebe ist eine komplizierte Sache. Wir sind Säugetiere, wir müssen uns fortpflanzen, und schon von daher ist das mit der Treue und dem Zusammenbleiben für immer ein bisschen gegen unsere Natur. Deswegen betrügen einander so viele Leute, deswegen zerbröseln so viele Beziehungen, weil die Anziehungskraft zu neuen Partnern, zu neuen Abenteuern einfach zu groß ist. Deswegen gab es immer schon Liebhaberinnen und Liebhaber, weil wir immer wieder neue Formen der Aufregung erleben wollen. Das ist aber gegen unsere Vorstellungen von perfekter Liebe, oder Treue, oder Monogamie.
SN: Gibt es ein Mittel gegen dieses Dilemma? Hilft es, einander Freiheit zu lassen? Vielleicht, aber wer akzeptiert das? Die meisten tun das nicht, und versuchen ihr Gegenüber zu manipulieren. Es wäre der Schlüssel, sicherlich. Aber es geht gegen den Strich so vieler anderer Gefühle, wie Eifersucht und Besitzdenken und Kontrollbedürfnis. Und dazu kommt: Leute, die betrügen, sind oft durch ihr Schuldbewusstsein auch eher eifersüchtig, und weil sie auf die andere Person projizieren was sie selbst tun. SN: Es klingt, als sprechen Sie aus eigener Erfahrung. Das ist richtig. Ich bin früher sehr eifersüchtig gewesen, jetzt ist es anders … Ich bin zum dritten Mal verheiratet. Ich habe in meinem Leben vieles durchgemacht, ich weiß, wie unvorhersehbar das Leben und die Liebe sein können. Ich habe versucht, diese Erfahrungen in den Film zu packen, nicht nur in eine Figur, sondern letztlich in alle. Oh ja, Sie lachen, aber ich hab genug hinter mir, dass es leicht für fünfzehn Charaktere ausreicht! SN: Im Film vertritt ein Schriftsteller die These, in den ersten zwanzig Minuten nach dem Kennenlernen sei alles klar, weil man noch ganz offen miteinander umgehe. Glauben Sie daran? Ich habe das in der Vergangenheit immer wieder so erlebt. Wenn man jemanden neu kennenlernt, sagt man einander alles, „Haha, ich bin ein großer Betrüger“, es geht ja noch um nichts. Fünfzehn Jahre später erweist sich dann, dass das alles ernst zu nehmen war, und dass derjenige wirklich ein Betrüger ist. Die Leute ändern sich nicht. In den ersten zwanzig Minuten sagen die Leute oft die Dinge, die sie im Kern ausmachen. Wenn man einander da zuhört, spart man sich viel Zeit. Film: „Zu Hause ist es am schönsten“. Komödie, Italien 2018. Regie: Gabriele Muccino. Mit Pierfrancesco Favino, Stefano Accorsi, Carolina Crescentini, Claudia Gerini. Start: 10.8.