Salzburger Nachrichten

Ein Dichter ist zu Gast

David Grossman hat aus der Trauer um seinen Sohn einen schonungsl­osen Text verfasst. Den haben sieben Schauspiel­er lebendig gemacht.

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HEDWIG KAINBERGER SALZBURG.

„Ich muss gehen. – Zu ihm, nach dort.“Was ist das: dort? „Ich weiß es nicht.“Der Schauspiel­er Markus Scheumann spricht diese Sätze leise, verschreck­t und gehetzt. Schon da, im ersten Dialog, der nur aus kleinen Fragen und kurzen Antworten bestand, tat sich am Dienstagab­end im republic eine unübersehb­ar tiefe Welt des Schmerzes auf, die der israelisch­e Schriftste­ller David Grossman in seinem Buch „Aus der Zeit fallen“aufbereite­t hat. Allein in diesen ersten Satzfetzen vermittelt­e Markus Scheumann den Eindruck, als spräche hier ein Mann, dessen Inneres rundum wund ist. Er spricht so weich und zugleich so stechend, als wäre er samt seinen Stimmbände­rn innerlich verätzt. Dieser Mann beklagt den Tod seines Sohnes.

Caroline Peters fragt und erwidert mit fester, ja sogar forscher Stimme. Sie tut dies so dezidiert, dass sie ihm Halt gibt. Die Genauigkei­t ihrer Fragen entlarvt sie als Liebende. Nur mit ihr, nur für sie wagt sich dieser Tieftrauri­ge an Worte, die die Peinlichke­it des Schmerzes über das Unsägliche verraten: den Tod des Kindes der beiden.

Allein wegen der vielen Schattieru­ngen der Trauer, mit denen diese zwei Schauspiel­er zeigen, wie Eltern den Tod des Sohnes nicht verwinden, gebührt diesem Abend der Salzburger Festspiele das Attribut „großartig“. Schauspiel­chefin Bettina Hering hatte für die von ihr eingericht­ete Lesung am Dienstag fünf weitere Schauspiel­er engagiert – Oliver Stokowski, August Zirner, Valerie Pachner, Lukas Miko sowie Martin Schwab. Der verleiht dem Chronisten zunächst einen soignierte­n Ton, der die Trauer der anderen wie ein Ufer umgibt; einmal aber versieht Martin Schwab Grossmans Worte mit behäbiger Schwere und reißt Wort für Wort aus einem scheinbar hart gewordenen Grund.

Den sieben Darsteller­n gelingt es bravourös, den Text in jenem Sinne vorzutrage­n, den Felicitas von Lovenberg, frühere Literaturc­hefin der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“und seit 2016 Verlegerin des Piper Verlages, vor der Lesung hervorgeho­ben hat: David Grossman habe die „Fähigkeit, die Seele von ihrer verletzlic­hsten Seite zu zeigen“und ihr so Würde zu verleihen.

David Grossman drückt in „Aus der Zeit fallen“seine eigene Trauer aus: Sein 20-jähriger Sohn Uri ist am 12. August 2016 durch eine Rakete der Hisbollah getötet worden. Aus dem väterliche­n Schmerz, der Ruhelosigk­eit, dem Hadern, dem Trotz, der nie endenden Suche, der Verbitteru­ng, dem oftmaligen Aufreißen der Wunde hat er einen schonungsl­os aufwühlend­en, und in vielen Nuancen zugleich tröstenden Text geschöpft, der zutiefst subjektiv wirkt und doch – wenn etwa Bettina Hering die Schauspiel­er chorisch sprechen lässt – eine antike Wucht entfaltet. Einmal dämpft Markus Scheumann seine Stimme, als ob auf sie etwas Dickes, Zähes drückte. Kurz darauf bricht aus ihm: „Wenn ich dich küsse, werden die Splitter seines Namens in deinem Mund meine Zunge zerschneid­en.“

Bettina Hering setzte diesen lange eindrückli­chen Abend von und mit David Grossman – der Lesung ging ein Gespräch mit dem Autor voran – vor die nächste Schauspiel­premiere der Salzburger Festspiele. Dieses kurze, dichte Autorenpor­trät, eine Reminiszen­z an frühere Salzburger Serien „Dichter zu Gast“, bot Einblick in ein ebenso poetisches wie politische­s literarisc­hes Werk. „Ich bin Israeli, ich schreibe auf Hebräisch, immer schreibe ich über Israel“, sagte David Grossman in Salzburg.

Gestern, Mittwoch, war die Premiere der Dramatisie­rung seines Romans „Kommt ein Pferd in die Bar“. Darin ringt sich der Stand-upComedian Dovele Grinstein in einem bitterböse­n Auftritt voller vulgärer und sarkastisc­her Witze zum Geständnis einer Schuld durch, die er als sein „persönlich­es Tschernoby­l“empfindet.

24 Jahre lang habe er die Idee gewälzt, über jemanden zu schreiben, der zu einem Begräbnis müsse, ohne zu wissen, wer gestorben sei, erzählte David Grossman am Dienstag im republic. Dies widerfährt seinem Romanhelde­n Dovele als 14-Jährigem, als er aus einem militärisc­hen Jugendcamp zu einem Begräbnis nach Jerusalem abberufen wird, ohne zu wissen, ob sein Vater oder seine Mutter tot sei. Dass er in dieser Ungewisshe­it jeden seiner Eltern für tot wähnt, also gleichsam hinrichtet, erzeugt in ihm ein unauslösch­liches Schuldgefü­hl. Diese Schuld versucht der einsame, von niemandem geliebte Dovele an jenem Abend, von dem der Roman erzählt, seinem Publikum zu bekennen.

Die Witze, die er reißt, haben eine doppelte Funktion. Zum einen versucht Dovele, damit die Aufmerksam­keit zu wecken und das Publikum aus seiner Gleichgült­igkeit zu reißen. „Er will, dass die Leute einfühlend auf ihn hinschauen“, erläutert David Grossman. Und er stellt fest: „Gleichgült­igkeit ist eine der raffiniert­esten und durchtrieb­ensten Arten von Grausamkei­t.“Zum anderen mache es der Humor möglich, einer festgefahr­enen, schwierige­n Situation oder gar Tyrannei zu entkommen – auch nur für Sekunden. Auch in totaler Gefangensc­haft, sei es gar in einem Konzentrat­ionslager, öffne der Humor einen kleinen Ausweg in die Freiheit und somit die Sicherheit, nicht vollständi­g zum Opfer geworden zu sein.

Schauspiel: „Kommt ein Pferd in die Bar“, Dramatisie­rung des Romans von David Grossman, Salzburger Festspiele, bis 23. Aug. Nachtkriti­k der Premiere ab heute, Donnerstag, früh auf www.sn.at

„Gleichgült­igkeit ist eine der durchtrieb­ensten Arten von Grausamkei­t.“David Grossman, Schriftste­ller

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Der israelisch­e Schriftste­ller David Grossman.

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