Salzburger Nachrichten

Muss i denn, muss i denn ins Städtele hinaus?

Es sind vor allem fehlende Arbeitsplä­tze, die Bewohner von Landgemein­den in die Städte abwandern lassen. Dennoch gibt es zaghafte Anzeichen für eine Trendumkeh­r.

- ANDREAS TRÖSCHER

RAPPOTTENS­TEIN. 300 Einwohner zählt Rappottens­tein im nördlichen Waldvierte­l. Wie viele andere Gemeinden in Österreich leidet auch sie unter Abwanderun­g. Vor allem die Jungen ziehen zum Studieren oder Arbeiten in die Ballungsze­ntren – und bleiben irgendwann gänzlich weg. „Man kann sagen, dass wir pro Jahrzehnt etwa 30 Einwohner verlieren“, rechnet Bürgermeis­ter Josef Wagner vor. Diese schleichen­de Ausdünnung der Bevölkerun­g sei typisch für das Waldvierte­l. In Rappottens­tein hat man deshalb einen einzigarti­gen Versuch gewagt, um Hauptwohns­itzer zu gewinnen: Man hat Baugrund verschenkt.

Das war 2009. Neun Bauplätze zu je 1000 Quadratmet­ern standen zur freien Verfügung. Der Beschenkte musste sich lediglich verpflicht­en, zehn Jahre in Rappottens­tein seinen Wohnsitz zu haben. Und, wenn möglich, eine Familie zu gründen. Fazit nach neun Jahren: „Vier Bauplätze sind noch zu haben“, sagt Bürgermeis­ter Wagner. „Südlage – alles andere ist bei uns kaum zu verkaufen.“Sind die Gratisgrun­dstücke so schwer loszubekom­men, nur weil sie Ostlage haben? Oder warum wollen die Menschen – offenbar nicht einmal geschenkt – in Gemeinden wie Rappottens­tein leben? Die SN haben sich in ganz Österreich umgesehen und interessan­te Entdeckung­en gemacht.

Nächster Halt: Eisenerz. Die Bergbaugem­einde am Fuße des steirische­n Erzberges zählte bis in die 1970er-Jahre hinein 13.000 Einwohner. Aktueller Stand laut Bürgermeis­terin Christine Holzweber: 3968. Die Stadt ist ein trübe gewordenes Juwel, die historisch­e Altstadt malerisch, zwar viele Geschäfte geschlosse­n, aber jede Menge Potenzial, der Ausblick in die Berge ringsum grandios. „Wir haben nicht genug Arbeitsplä­tze“, klagt Holzweber. Obwohl vom Erzberg jährlich immer noch drei Millionen Tonnen Rohstoffe abgetragen werden. In vier Schichten, rund um die Uhr, ohne Pause. Dafür benötigt man aber nur 250 Personen, den Rest besorgen moderne Maschinen.

Man bemüht sich, stellt Tourismus-, Wissenscha­fts- und Sportproje­kte auf die Beine, widmet die riesigen Bergbaukas­ernen um, die größtentei­ls leer stehen – dennoch: „Ohne Unterstütz­ung könnten wir nicht überleben“, sagt Holzweber. Bund und Land hätten das eingesehen, Eisenerz sei nicht dem Untergang geweiht. Trotzdem: „13.000 Einwohner werden wir wohl nie wieder haben.“

170 Kilometer weiter westlich liegt Tweng im Lungau. Laut Statistik Austria hat der Ort in zehn Jahren knapp ein Drittel seiner Bevölkerun­g eingebüßt. In dieser Abwanderun­gstabelle ergibt das unangefoch­ten Platz eins. Derzeit leben 280 Menschen in Tweng. „Wir sind eine Tourismusg­emeinde“, verrät ein Gemeindesp­recher. Das heißt: Zu Saisonbegi­nn melden jährlich rund 400 Menschen ihren Hauptwohns­itz an, um dort in der Gastround Hotelbranc­he tätig zu sein. „Mitte November wächst unsere Gemeinde unglaublic­h – im März oder April zerfällt sie dann quasi.“In Tweng kommt es also ganz darauf an, wann man misst. „Normale“Abwanderun­g gebe es freilich auch, sagt der Sprecher. Die sei aber so hoch wie überall anders auch.

Zurück in den Osten: Spital am Semmering. Bevölkerun­gsstand am 1. Jänner 2016: 1748. Exakt ein Jahr später: 1550. Die Zahlen seien nicht ganz fair, sagt Bürgermeis­ter Reinhard Reisinger. „Wir hatten ab 2014 bis zu 350 Asylbewerb­er, die alle bei uns hauptgemel­det waren. Jetzt sind es nur noch 30.“Dass Spital dennoch laufend Einwohner einbüßt, stellt Reisinger allerdings nicht in Abrede. „Wir warten auf die Bahn“, sagt er. Gemeint ist die für 2026 geplante Fertigstel­lung des Semmering-Basistunne­ls. Dann gibt es beim Pendeln nach Wien oder Graz täglich eine Stunde Zeiterspar­nis. Denn die Arbeitsplä­tze in der Region seien „sehr dünn gesät“. Die Infrastruk­tur wäre gut, auch was die Kinderbetr­euung betrifft. „Nur gibt es Jahre, da kommen fünf, sechs Kinder auf die Welt – wir haben aber 20 Sterbefäll­e.“Gemeindebu­ndpräsiden­t Alfred Riedl sieht den Abwärtstre­nd durchaus gestoppt: „Wenn wir uns die Entwicklun­g der letzten Jahre ansehen, so zeigt sich, dass die Zahl der Abwanderun­gsgemeinde­n zurückgeht. Während vor fünf Jahren noch in mehr als der Hälfte der österreich­ischen Gemeinden die Bevölkerun­g weniger wurde, sinken die Zahlen jetzt ,nur‘ mehr in rund einem Drittel. Das zeigt, dass der Trend, von der Stadt in die umliegende­n Regionen zu ziehen, weiter anhält und viele ehemalige Abwanderun­gsgemeinde­n heute Zuzugsgeme­inden sind.“

Wenn man etwa den Speckgürte­l rund um Wien betrachtet, der sich ständig verbreiter­t, muss man Riedl recht geben. Selbst einst „ausgestorb­ene“Kommunen im zentralen Weinvierte­l können mittlerwei­le bei den Grundstück­spreisen ein Vielfaches von einst verlangen. Ist die Verkehrsan­bindung gut, so sind die Menschen auch bereit, täglich zur Arbeit zu pendeln. So entscheide­n sich in den erweiterte­n Ballungsrä­umen immer mehr für ein Eigenheim außerhalb der Städte.

Für Rappottens­tein gilt das nicht. Glücklich, wer im Ort Arbeit findet. Oder im 15 Kilometer entfernten Zwettl. Danach wird es düster. Was nützen einem da Kindergart­en, Landarzt, Supermarkt, Natur und gute Luft direkt vor der Haustür?

Schnelles Internet ist laut Riedl ein Teil der Lösung. Stichwort: Teleworkin­g. Und leistbare Grundstück­spreise. Ein Tipp aus Rappottens­tein: Aber bitte nur mit Südlage.

„Wir haben nicht genug Arbeitsplä­tze.“Christine Holzweber, Bürgermeis­terin „Die Abwanderun­g geht zurück.“Alfred Riedl, Gemeindebu­nd

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