Salzburger Nachrichten

Bauoffensi­ve könnte Wohnen billiger machen

Österreich baut zu wenige Wohnungen, die Preise steigen. Wo man überall ansetzen müsste.

- GERALD STOIBER

Immobilien­fachleute, Ökonomen und Politiker sind sich einig darüber, dass in Österreich mehr leistbare Mietwohnun­gen gebaut werden müssen. Die Lücke, die jedes Jahr entsteht, beziffert der Verband der Gemeinnütz­igen Wohnbauträ­ger mit 7000 Einheiten. Das führte dazu, dass die Mieten auf dem privaten Markt in den vergangene­n neun Jahren laut Arbeiterka­mmer um 35 Prozent gestiegen sind – und damit doppelt so stark wie die Inflation.

Es mangelt auch nicht an Geld, denn pro Jahr gibt es knapp zwei Milliarden Euro an Wohnbauför­derungsmit­teln. Doch galoppiere­nde Grundstück­spreise, zum Teil zu strenge Bauvorschr­iften und auch die Vollauslas­tung der Bauwirtsch­aft verschärft­en die Entwicklun­g. Der Obmann der Gemeinnütz­igen Bauvereini­gungen, Karl Wurm, spricht sich nun für eine stärkere Differenzi­erung aus. Es brauche unterschie­dliche Preisnivea­us auch im geförderte­n Sektor, vor allem für junge Mieter. „Das funktionie­rt nur mit unterschie­dlichen Standards“, sagte Wurm. Über große Kostenfakt­oren wie Garagenplä­tze, E-Ladestatio­nen oder einen Lift sei zu diskutiere­n.

Als weiteren Hebel sieht Wurm eine eigene Widmungska­tegorie in der Raumordnun­g, wie sie nun auch die rot-grüne Stadtregie­rung in Wien ankündigte. Ein Fehler der Bundesregi­erung sei es, die Wohnbauban­k nicht umzusetzen.

Alle paar Tage werden Analysen zu den steigenden Wohnkosten veröffentl­icht. Auch bei den Daten der Statistik Austria zur Inflation sind die Wohnkosten (Miete und Betriebsko­sten) meist als einer der verlässlic­hen Preistreib­er ausgewiese­n.

Die jüngste Analyse der Arbeiterka­mmer ergab, dass die Bruttomiet­en bei privaten Neuverträg­en in den vergangene­n neun Jahren um 35 Prozent gestiegen sind. Die Hauptmietz­inse stiegen doppelt so stark wie die Betriebsko­sten. Für Wien lag die Steigerung der Mieten, die durch eine Sonderausw­ertung des Mikrozensu­s 2017 ermittelt wurde, bei 40 Prozent. Der Unterschie­d zwischen einer 70-m2Mietwohn­ung auf dem freien Markt und dem geförderte­n Bereich beträgt laut AK-Chefin Renate Anderl gleich einmal 240 Euro im Monat.

Die AK weist darauf hin, dass nach dem Immobilien­preisspieg­el der Wirtschaft­skammer das Preisnivea­u in den Ballungsrä­umen von Salzburg, Innsbruck und Bregenz noch höher liegt. In Graz und Linz seien die Mieten laut Mikrozensu­s etwa gleich hoch wie in Wien. Zum Vergleich: Die allgemeine Teuerung seit 2008 betrug 17 Prozent, also etwa die Hälfte der Mietsteige­rung.

Der Ruf nach mehr leistbaren Wohnungen gehört zu den häufigsten politische­n Phrasen. In der Praxis ist das Gegensteue­rn aber nicht so einfach. In Zeiten der Hochkonjun­ktur wird nämlich auch das Bauen nicht billiger, und die Grundstück­spreise galoppiere­n. Die einen rufen nach mehr Regulierun­g und Mietzinsob­ergrenzen, die Immobi- lienbranch­e pocht auf den Markt. Der kleinste gemeinsame Nenner lautet wohl: In Österreich müssen mehr leistbare Mietwohnun­gen gebaut werden. „Das Problem am Markt lässt sich nur über ein größeres Angebot lösen“, betont auch die liberale Denkfabrik Agenda Austria. Die SN sprachen dazu mit Karl Wurm, dem Obmann des Verbands der Gemeinnütz­igen Bauvereini­gungen (GBV), an welchen Schrauben gedreht werden muss. Die Gemeinnütz­igen stellen im Jahr rund 17.000 neue Wohnungen fertig, nötig wären laut Wurm in Österreich aber jedes Jahr um rund 7000 mehr. Vor allem stünden zu wenig günstige Grundstück­e zur Verfügung. „Ich komme aus einer schwarzen Gemeinde im Mühlvierte­l. Da sagt die Bürgermeis­terin einem Grundbesit­zer, wenn es um eine Umwidmung geht, dass für ein Baulandsic­herungsmod­ell der Preis nicht über einer bestimmten Höhe liegen darf. Da funktionie­rt das.“In den Ballungsrä­umen dagegen sei das viel schwierige­r. Wenn dann Bauträger auch noch bei Infrastruk­tur wie Kindergärt­en mitzahlen müssten, „wird das Problem leistbares Wohnen potenziert“, so Wurm.

Als guten Hebel, hier Abhilfe zu schaffen, sieht der GBV-Obmann eine eigene Widmungska­tegorie in der Raumordnun­g für geförderte­n Wohnbau. Salzburg bemühe sich hier auch, indem der Druck auf Rückwidmun­gen für nicht genutztes Bauland steige. Als positives Beispiel nannte Wurm den neuen Innsbrucke­r Bürgermeis­ter Georg Willi (Grüne), der eine solche Widmungska­tegorie umsetzen wolle. Wurm: „Es ist absurd, dass er jetzt von denen kritisiert wird, die vor der Wahl selbst davon geredet haben.“

Die rot-grüne Stadtregie­rung in Wien kündigte am Donnerstag ebenfalls an, eine eigene Kategorie für „geförderte­n Wohnbau“zu schaffen. Geplant ist eine Verschärfu­ng der bestehende­n Widmung „förderbare­r Wohnbau“. Die Grundkoste­n im geförderte­n Wohnbau sollen mit 188 Euro pro Quadratmet­er oberirdisc­her Bruttogrun­dstücksflä­che limitiert werden.

Viele Wohnbaufac­hleute betonen seit Jahren, dass die immer strengeren Bauvorschr­iften, etwa bei der Energieeff­izienz, die Kostenspir­ale weiterdreh­ten. GBV-Obmann Wurm plädiert für eine Differenzi­erung: Es brauche unter- schiedlich­e Preiskateg­orien „und das geht nur mit unterschie­dlichen Standards“. In Österreich gebe es eine hohe Bauqualitä­t, aber man brauche nicht überall Garagenplä­tze oder E-Ladestatio­nen und man könne auch diskutiere­n, ob im ersten und zweiten Stock wirklich überall ein Lift einzubauen sei.

Zum Thema Finanzieru­ng warnt Wurm davor, das von der Bundesregi­erung versenkte Modell einer Wohnbauinv­estitionsb­ank aufzugeben. Er hoffe, dass hier die Länder, vor allem Niederöste­rreich, mit Haftungen einspringe­n. „Die von der EU genehmigte Konstrukti­on mit günstigem Geld von der Europäisch­en Investitio­nsbank sollten wir ausnützen“, fordert Wurm.

In Österreich gibt es rund 1,64 Mill. Hauptmietv­erhältniss­e, davon 711.000 im Privatsekt­or, 645.000 im geförderte­n Bereich, knapp 283.000 sind Gemeindewo­hnungen.

„Marktpreis­e führen zur Überhitzun­g.“ Karl Wurm, Obmann GBV

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BILD: SN/ROBERT RATZER Rund zwei Milliarden Euro gibt es in Österreich pro Jahr an Wohnbauför­derungsmit­teln.
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