Salzburger Nachrichten

Unbeeindru­ckt von Gewitter und Sturm

Draußen regnete es so stark, dass es ins Festspielh­aus tropfte. Grigory Sokolov spielte Haydn, Schubert und sechs Zugaben.

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Dass sich bei Konzerten mit dem Pianisten Grigory Sokolov Außergewöh­nliches begibt, weiß man längst, auch wenn es immer wieder unvorherse­hbare Überraschu­ngen gibt. Was sich jedoch am Mittwoch im Großen Festspielh­aus zutrug, war mehr als ungewöhnli­ch: Mitten im ersten Teil des Konzerts entstand auf den teuren Plätzen vorn in der Mitte nicht zu besänftige­nde Unruhe. Leute sprangen auf und drängten – dezent, aber doch – zu den Saalausgän­gen.

Sokolov aber blieb so stoisch ruhig wie immer, ließ sich nicht ablenken, war ganz auf die programmie­rten Haydn-Sonaten fixiert und tat, als geschehe nichts Ungewöhnli­ches. Kein Wunder, er saß ja – wie sich bald herausstel­lte – zum Unterschie­d von etlichen Zuhörern im Trockenen, während diese von oben auf wunderbare Weise besprenkel­t wurden.

Erst in der Pause des Konzerts stellte sich heraus, dass vom Dach des inzwischen doch einige Jahrzehnte alten Festspielh­auses Wasser eingedrung­en war. Katastroph­ale Regengüsse („Starkregen“) wie heute hat es damals eben noch nicht gegeben, auch nicht Zuschauer, die darauf geradezu unpanisch reagierten und geordnet dem Regen entflohen.

Weniger geordnet und fixen Schemata folgend waren die Klavierson­aten Joseph Haydns, die Sokolov im ersten Teil des Konzerts spielte und denen er eine kapriziöse Note gab, die diese Musik deutlich von Mozart und dem frühen Beethoven abhebt. Kurz angerissen­e Töne und mannigfach­e Sforzati sorgen darin – wie in Haydns Symphonien – für unkonventi­onelle Überraschu­ngen. Dass diese Sonaten selten gespielt werden, macht Begegnung umso interessan­ter.

Nach der Pause freilich wendete sich das Blatt zum Bekannten hin, zu Franz Schuberts Impromptus, D 935, die dem Pianisten Gelegenhei­t gaben, sein volles Repertoire an Finessen auszuspiel­en. Da haben die mechanisch­en Durchzähl-Zeiten vollends ihr Recht verloren, regieren Rubati und andere Tempoabwei­chungen. Auch andere dynamische Vorschläge des Notentexte­s unterliege­n keiner allzu strikten Regulierun­g. Umso auffällige­r waren die überrasche­nden Akzente im Bassbereic­h, die Schuberts Musik Momente der Unruhe und Ungemütlic­hkeit verliehen.

Vollends erreicht wurde das Reich der stets die Grenzen wahrenden Freiheit bei den insgesamt die sechs Zugaben, die von Rameau über Schubert und Chopin bis zu Claude Debussy und Alexander Skrjabin reichten und den ganzen Horizont von Sokolovs pianistisc­her Fantasie andeuteten.

Man kann sich eigentlich kaum vorstellen, dass dieser Pianist so lange nur einem kleinen Kreis von Eingeweiht­en ein Begriff war und dass ihm eigentlich erst nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n das zuerkannt wurde, was man Ruhm zu nennen pflegt. Heute wird er zu Recht hoch geschätzt. Vor allem seine Bereitscha­ft, Zugaben zu konzediere­n, feuert die Begeisteru­ng der Zuhörer an. Nur Zufallshör­er und Sokolov-Anfänger ließen sich daher auch am Mittwoch diesen letzten, nicht als Programm fixierten Teil des Abends entgehen.

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BILD: SN/SF/BORRELLI Grigory Sokolov

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