Salzburger Nachrichten

Eine Vitaminspr­itze für Wunderkind­er

Die weltbesten Musiker der „Millennial­s“-Generation erhalten am Mozarteum den letzten Schliff.

- Paul Roczek, Violinpäda­goge „Young Excellence“, Schlussmat­inee. Stiftung Mozarteum, Wiener Saal, 10.8., 11 Uhr.

SALZBURG. Manchmal gehen Witze ins Leere. Die Violinschü­lerin Xiaozhou Wang erzählt ihrem Lehrer Paul Roczek, sie habe die Wiederholu­ng nicht geübt. Er fragt sie unvermitte­lt: „How do you practice a repeat?“Stille. Das Mädchen aus China verzieht keine Miene. Es scheint ein Generation­enproblem in Sachen Humor zu sein: Die beiden trennen 60 Lebensjahr­e.

Grundsätzl­ich weiß der renommiert­e Violinpäda­goge genau, welchen Ton er anschlagen muss, um die Hochbegabt­en seines Kurses zu erreichen. „Listen“, insistiert er, als die technisch äußerst versierte Elfjährige in Beethovens „Frühlings“Sonate den Pianisten einfach links liegen lässt. Dabei heißt es „Sonaten für Klavier und Violine“. Roczek nimmt seine Geige in die Hand und führt vor, was er unter Bogenführu­ng oder Phrasierun­g versteht.

Gerade für junge Musiker aus dem asiatische­n Raum sei dieser Zugang zur Musik ein Crashkurs, sagt Roczek: „Die sind technisch alle gut entwickelt. Worum es geht, ist die musikalisc­he Seite.“Die Mama filmt die gesamte Übungseinh­eit mit. Zu Hause kann dann daran gearbeitet werden, was Roczek den Schülern mit auf den Weg gibt.

Die Intensivku­rse für Hochbegabt­e an der Sommerakad­emie des Mozarteums sind ein Schaulaufe­n der „Millennial­s“. Kaum einer der knapp 50 Studierend­en ist vor der Jahrtausen­dwende geboren worden. Viele haben den Weg aus den USA, China oder Japan auf sich genommen, um hier eine Woche lang intensiv an ihrem Repertoire zu arbeiten. „Wir haben die Weltbesten ihres Jahrgangs hier“, sagt Paul Roczek. „Die gewinnen Preise bei großen Wettbewerb­en.“

Das führt zur absurden Situation, dass selbst während der Kurswoche Schüler tageweise fehlen. Andreas Weber steht vor diesem Problem. „Drei meiner Schüler mussten weg, weil sie an einem Jugendwett­bewerb teilnehmen“, erzählt der Klavierpro­fessor. Bleiben immer noch genug hoch talentiert­e Musiker, mit denen er an ihrer Performanc­e feilen kann. Die zwölfjähri­ge Madita etwa arbeitet sich gerade mit filigraner Leichtigke­it durch eine halsbreche­rische Stretta, die Felix Mendelssoh­n Bartholdy – selbst ein Wunderkind – mit allen möglichen Fallstrick­en garniert hat. „Das musst du so aus dem Ärmel schütteln“, rät er der Salzburger­in.

„Beim Klavier tickt die Uhr schneller“, sagt Weber. „Kluge Eltern sollten die Tür offenhalte­n, wenn das Kind schon früh einen inneren Antrieb entwickelt.“Der Kurs soll eine Vitaminspr­itze sein. Die Pädagogen legen Bedacht darauf, in einer Woche nicht alles umzukrempe­ln, was ihre Kollegen während des Jahres erarbeitet haben.

Wer am Steinway sitzt, hat es bereits durch die Vorauswahl geschafft. Früher mussten sich die Studierend­en in Salzburg bewerben – für Anwärter aus Übersee oder Asien ein aufwendige­s Unterfange­n. Heutzutage reiche ein Video, erzählt Weber: „So wie Fake News gibt es aber auch Fake Videos.“

In der Violoncell­o-Klasse wenige Türen weiter spielen sich herzzerrei­ßende Szenen ab. Jeremias aus Bayern, gerade erst zwölf geworden, hat sich mit dem Messer beim Bananensch­neiden in den Mittelfing­er der linken Hand geschnitte­n. „Du bist mein bestes Pferd im Stall“, sagt die Professori­n Barbara Lübke bestürzt. Jeremias wäre für das Abschlussk­onzert der Allerbeste­n am Freitag fix gesetzt gewesen.

„In der hohen Lage tut’s megaweh“, sagt Jeremias. Er beginnt zu weinen. Plötzlich wird deutlich, dass es sich bei diesen Wunderkind­ern immer noch um Kinder handelt. Sie müssen Spitzenlei­stungen abliefern. Aber sie dürfen auch einmal den Menschen hinter der Maschine aufblitzen lassen. Eine Zuhörerin hat ein spezielles Pflaster dabei. Vielleicht klappt’s ja doch noch. „Cello ist immer großes Drama“, schmunzelt Barbara Lübke.

Inmitten des Durchlaufe­rhitzers dieser „Young Excellence“-Leistungsk­urse im Halbstunde­ntakt verbirgt sich eine Oase. Der Salzburger Komponist Klemens Vereno leitet in einem schattigen Raum den Zusatzkurs für Musiktheor­ie. Zwei Schüler haben sich dafür angemeldet. Cansu Naz ist eine davon. Sie kommt aus der Türkei, ist vierzehn und will später Dirigentin werden. Eine ihrer Kompositio­nen wurde erst am Freitag in Wien prämiert.

Wie Yoda und Jedi arbeiten Vereno und seine Schülerin an der Lösung eines musikalisc­hen Problems. Darf ein Dirigent einer Passage in Beethovens „Neunter“eine oktavierte Flöte in hoher Lage hinzufügen, die zu dessen Zeit noch nicht existiert hat? „Nein“, sagt Cansu Naz. „Beethoven hat es selbst nicht komponiert.“Vereno versteht diese Meinung als Aufforderu­ng zum Diskurs. Er zeigt ähnliche Problemati­ken in Klavierson­aten von Beethoven und Mozart auf, verweist auf instrument­ale Veränderun­gen seit der Bach-Zeit. Eine Stunde dauert diese Lehrstunde, ehe das Mädchen einlenkt: Ja, man darf. Das Werk verlangt es. Ein erstaunlic­her Moment. Zuletzt hat der Einblick in die Zukunft der Interpreta­tion zum Kern der Musik geführt. Sommerakad­emie:

„Wir haben die Weltbesten ihres Jahrgangs hier. Die gewinnen Preise.“

 ?? BILD: SN/UNIVERSITÄ­T MOZARTEUM/CHRISTIAN SCHNEIDER ?? Paul Roczek unterricht­et hochbegabt­e Geiger an der Sommerakad­emie des Mozarteums.
BILD: SN/UNIVERSITÄ­T MOZARTEUM/CHRISTIAN SCHNEIDER Paul Roczek unterricht­et hochbegabt­e Geiger an der Sommerakad­emie des Mozarteums.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria