Eine Vitaminspritze für Wunderkinder
Die weltbesten Musiker der „Millennials“-Generation erhalten am Mozarteum den letzten Schliff.
SALZBURG. Manchmal gehen Witze ins Leere. Die Violinschülerin Xiaozhou Wang erzählt ihrem Lehrer Paul Roczek, sie habe die Wiederholung nicht geübt. Er fragt sie unvermittelt: „How do you practice a repeat?“Stille. Das Mädchen aus China verzieht keine Miene. Es scheint ein Generationenproblem in Sachen Humor zu sein: Die beiden trennen 60 Lebensjahre.
Grundsätzlich weiß der renommierte Violinpädagoge genau, welchen Ton er anschlagen muss, um die Hochbegabten seines Kurses zu erreichen. „Listen“, insistiert er, als die technisch äußerst versierte Elfjährige in Beethovens „Frühlings“Sonate den Pianisten einfach links liegen lässt. Dabei heißt es „Sonaten für Klavier und Violine“. Roczek nimmt seine Geige in die Hand und führt vor, was er unter Bogenführung oder Phrasierung versteht.
Gerade für junge Musiker aus dem asiatischen Raum sei dieser Zugang zur Musik ein Crashkurs, sagt Roczek: „Die sind technisch alle gut entwickelt. Worum es geht, ist die musikalische Seite.“Die Mama filmt die gesamte Übungseinheit mit. Zu Hause kann dann daran gearbeitet werden, was Roczek den Schülern mit auf den Weg gibt.
Die Intensivkurse für Hochbegabte an der Sommerakademie des Mozarteums sind ein Schaulaufen der „Millennials“. Kaum einer der knapp 50 Studierenden ist vor der Jahrtausendwende geboren worden. Viele haben den Weg aus den USA, China oder Japan auf sich genommen, um hier eine Woche lang intensiv an ihrem Repertoire zu arbeiten. „Wir haben die Weltbesten ihres Jahrgangs hier“, sagt Paul Roczek. „Die gewinnen Preise bei großen Wettbewerben.“
Das führt zur absurden Situation, dass selbst während der Kurswoche Schüler tageweise fehlen. Andreas Weber steht vor diesem Problem. „Drei meiner Schüler mussten weg, weil sie an einem Jugendwettbewerb teilnehmen“, erzählt der Klavierprofessor. Bleiben immer noch genug hoch talentierte Musiker, mit denen er an ihrer Performance feilen kann. Die zwölfjährige Madita etwa arbeitet sich gerade mit filigraner Leichtigkeit durch eine halsbrecherische Stretta, die Felix Mendelssohn Bartholdy – selbst ein Wunderkind – mit allen möglichen Fallstricken garniert hat. „Das musst du so aus dem Ärmel schütteln“, rät er der Salzburgerin.
„Beim Klavier tickt die Uhr schneller“, sagt Weber. „Kluge Eltern sollten die Tür offenhalten, wenn das Kind schon früh einen inneren Antrieb entwickelt.“Der Kurs soll eine Vitaminspritze sein. Die Pädagogen legen Bedacht darauf, in einer Woche nicht alles umzukrempeln, was ihre Kollegen während des Jahres erarbeitet haben.
Wer am Steinway sitzt, hat es bereits durch die Vorauswahl geschafft. Früher mussten sich die Studierenden in Salzburg bewerben – für Anwärter aus Übersee oder Asien ein aufwendiges Unterfangen. Heutzutage reiche ein Video, erzählt Weber: „So wie Fake News gibt es aber auch Fake Videos.“
In der Violoncello-Klasse wenige Türen weiter spielen sich herzzerreißende Szenen ab. Jeremias aus Bayern, gerade erst zwölf geworden, hat sich mit dem Messer beim Bananenschneiden in den Mittelfinger der linken Hand geschnitten. „Du bist mein bestes Pferd im Stall“, sagt die Professorin Barbara Lübke bestürzt. Jeremias wäre für das Abschlusskonzert der Allerbesten am Freitag fix gesetzt gewesen.
„In der hohen Lage tut’s megaweh“, sagt Jeremias. Er beginnt zu weinen. Plötzlich wird deutlich, dass es sich bei diesen Wunderkindern immer noch um Kinder handelt. Sie müssen Spitzenleistungen abliefern. Aber sie dürfen auch einmal den Menschen hinter der Maschine aufblitzen lassen. Eine Zuhörerin hat ein spezielles Pflaster dabei. Vielleicht klappt’s ja doch noch. „Cello ist immer großes Drama“, schmunzelt Barbara Lübke.
Inmitten des Durchlauferhitzers dieser „Young Excellence“-Leistungskurse im Halbstundentakt verbirgt sich eine Oase. Der Salzburger Komponist Klemens Vereno leitet in einem schattigen Raum den Zusatzkurs für Musiktheorie. Zwei Schüler haben sich dafür angemeldet. Cansu Naz ist eine davon. Sie kommt aus der Türkei, ist vierzehn und will später Dirigentin werden. Eine ihrer Kompositionen wurde erst am Freitag in Wien prämiert.
Wie Yoda und Jedi arbeiten Vereno und seine Schülerin an der Lösung eines musikalischen Problems. Darf ein Dirigent einer Passage in Beethovens „Neunter“eine oktavierte Flöte in hoher Lage hinzufügen, die zu dessen Zeit noch nicht existiert hat? „Nein“, sagt Cansu Naz. „Beethoven hat es selbst nicht komponiert.“Vereno versteht diese Meinung als Aufforderung zum Diskurs. Er zeigt ähnliche Problematiken in Klaviersonaten von Beethoven und Mozart auf, verweist auf instrumentale Veränderungen seit der Bach-Zeit. Eine Stunde dauert diese Lehrstunde, ehe das Mädchen einlenkt: Ja, man darf. Das Werk verlangt es. Ein erstaunlicher Moment. Zuletzt hat der Einblick in die Zukunft der Interpretation zum Kern der Musik geführt. Sommerakademie:
„Wir haben die Weltbesten ihres Jahrgangs hier. Die gewinnen Preise.“