Unser Gesundheitssystem ist besser, als wir denken
Andere beneiden uns um unsere medizinische Versorgung. Damit sie so gut bleiben kann, muss sich einiges ändern.
Niki Lauda ist einer der bekanntesten Österreicher. Bei der Entscheidung, ob überhaupt und wenn, wie schnell er eine Spenderlunge erhält, hat das keine Rolle gespielt. Auch wenn es im Netz von üblen Gerüchten rumort, darf man den Ärzten glauben: Lauda wäre ohne Transplantation innerhalb weniger Tage gestorben. Und nur das war ausschlaggebend für die Zuteilung eines Transplantats, nicht sein Promistatus.
Wir haben in Österreich keine Zwei-Klassen-Medizin, wenn es um die Anwendung der ärztlichen Kunst und den Einsatz von Material und Medikamenten geht. Der Versicherte der Gebietskrankenkasse bekommt dasselbe 100.000 Euro teure Krebsmedikament wie der vermögende Selbstzahler.
Unterschiede gibt es beim zeitlichen Zugang zur ärztlichen Behandlung. Da kommen Zusatzversicherte schneller dran, weil sie sich Wahlärzte und private Krankenhäuser aussuchen können, bei denen in den Ordinationen und Ambulanzen weniger los ist. Mittlerweile hat jeder dritte Österreicher eine Zusatzversicherung. Tendenz steigend. Sie ist längst kein Minderheitenprivileg für Reiche.
Wenn es irgendwo hapert, dann im niedergelassenen Bereich. Die Krankenkassen zahlen an die rund 15.000 Hausärztinnen und Hausärzte in Österreich bescheidene Honorare. Das führt aus betriebswirtschaftlichen Gründen dazu, dass die Mediziner gezwungen sind, so viele Patienten wie möglich durch ihre Praxis zu schleusen. Pro Kunde kann so ein Arzt höchstens 20 Euro abrechnen. Kommt der Patient im selben Monat ein zweites Mal, so sind es nur noch elf Euro. Für ausführliche Gespräche, nach denen sich so viele Patientinnen und Patienten sehnen und die mehr medizinischen Erkenntnisgewinn bringen könnten als so manche technische Untersuchung, bleibt keine Zeit mehr.
Das führt zum Ärger auf beiden Seiten. Die Ärzte sind frustriert, weil sie eigentlich lieber mehr Zeit für jeden einzelnen Patienten hätten. Die Versicherten sind sauer, weil sie sich nicht gut genug behandelt fühlen und oft lange warten müssen. Die Wogen gehen hoch. Zuletzt ist die Zahl der körperlichen Übergriffe auf Ärztinnen und Ärzte
Der Speck muss weg
stark gestiegen. In Spitälern gehört ein Wachdienst zur fixen Ausstattung.
Die langen Wartezeiten, das fehlende intensive Gespräch aufgrund geringer Honorare und der daraus entstehende Zeitdruck sind auch ein Grund für den Boom von Wahlärzten.
In Österreich betragen die jährlichen Ausgaben für das Gesundheitssystem samt Investitionen beinahe 40 Milliarden Euro. Das ist sehr viel Geld. Es ist nicht überall effizient eingesetzt. Daher ist es richtig, wenn die Regierung vor allem bei der Gesundheits-Bürokratie ansetzt und die Zahl der Krankenkassen verringern möchte. Ein weiterer Bereich sind die vielen Doppelgleisigkeiten. Jüngstes Beispiel: Vor einem Routineeingriff in einem Spital wird ein Patient aufgefordert, einen Blutbefund bei seinem praktischen Arzt einzuholen und mitzubringen. Im Krankenhaus selbst wird trotzdem ein neuerlicher Blutbefund angefertigt, obwohl der „alte“erst vier Tage alt ist. Im Einzelfall wäre das bei Kosten zwischen 25 und 50 Euro noch kein Drama. Wir müssen aber davon ausgehen, dass diese Doppelbefundung tausend Mal und öfter passiert.
Es lässt sich einiges einsparen, ohne die hohe Qualität zu gefährden. Dass wir rund zehn Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Gesundheit ausgeben, muss uns nicht bedrücken, sondern darf uns stolz machen. Das Geld ist gut investiert. Und es ist im Wege der Solidarhaftung für alle da, für die Gesunden und vor allem für die Kranken. Wir wollen keine englischen Verhältnisse, wo weniger danach gefragt wird, ob ein Eingriff medizinisch notwendig ist, sondern ob er auch „wirtschaftlich“ist. Bei uns bekommt eine neue Lunge, wer sie unbedingt zum Überleben braucht. Nicht, wer sie sich leisten kann.
Unser Gesundheitssystem ist besser, als wir denken. Es ist über Generationen aufgebaut worden und wir sollten es in seinen Grundfesten unbedingt erhalten. Dort, wo es Speck angesetzt hat, muss er weg. Dort aber, wo es ans Eingemachte geht, also bei den Leistungen für die Patientinnen und Patienten, darf nicht herumgeschnipselt werden.