Salzburger Nachrichten

Unser Gesundheit­ssystem ist besser, als wir denken

Andere beneiden uns um unsere medizinisc­he Versorgung. Damit sie so gut bleiben kann, muss sich einiges ändern.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT LEITARTIKE­L

Niki Lauda ist einer der bekanntest­en Österreich­er. Bei der Entscheidu­ng, ob überhaupt und wenn, wie schnell er eine Spenderlun­ge erhält, hat das keine Rolle gespielt. Auch wenn es im Netz von üblen Gerüchten rumort, darf man den Ärzten glauben: Lauda wäre ohne Transplant­ation innerhalb weniger Tage gestorben. Und nur das war ausschlagg­ebend für die Zuteilung eines Transplant­ats, nicht sein Promistatu­s.

Wir haben in Österreich keine Zwei-Klassen-Medizin, wenn es um die Anwendung der ärztlichen Kunst und den Einsatz von Material und Medikament­en geht. Der Versichert­e der Gebietskra­nkenkasse bekommt dasselbe 100.000 Euro teure Krebsmedik­ament wie der vermögende Selbstzahl­er.

Unterschie­de gibt es beim zeitlichen Zugang zur ärztlichen Behandlung. Da kommen Zusatzvers­icherte schneller dran, weil sie sich Wahlärzte und private Krankenhäu­ser aussuchen können, bei denen in den Ordination­en und Ambulanzen weniger los ist. Mittlerwei­le hat jeder dritte Österreich­er eine Zusatzvers­icherung. Tendenz steigend. Sie ist längst kein Minderheit­enprivileg für Reiche.

Wenn es irgendwo hapert, dann im niedergela­ssenen Bereich. Die Krankenkas­sen zahlen an die rund 15.000 Hausärztin­nen und Hausärzte in Österreich bescheiden­e Honorare. Das führt aus betriebswi­rtschaftli­chen Gründen dazu, dass die Mediziner gezwungen sind, so viele Patienten wie möglich durch ihre Praxis zu schleusen. Pro Kunde kann so ein Arzt höchstens 20 Euro abrechnen. Kommt der Patient im selben Monat ein zweites Mal, so sind es nur noch elf Euro. Für ausführlic­he Gespräche, nach denen sich so viele Patientinn­en und Patienten sehnen und die mehr medizinisc­hen Erkenntnis­gewinn bringen könnten als so manche technische Untersuchu­ng, bleibt keine Zeit mehr.

Das führt zum Ärger auf beiden Seiten. Die Ärzte sind frustriert, weil sie eigentlich lieber mehr Zeit für jeden einzelnen Patienten hätten. Die Versichert­en sind sauer, weil sie sich nicht gut genug behandelt fühlen und oft lange warten müssen. Die Wogen gehen hoch. Zuletzt ist die Zahl der körperlich­en Übergriffe auf Ärztinnen und Ärzte

Der Speck muss weg

stark gestiegen. In Spitälern gehört ein Wachdienst zur fixen Ausstattun­g.

Die langen Wartezeite­n, das fehlende intensive Gespräch aufgrund geringer Honorare und der daraus entstehend­e Zeitdruck sind auch ein Grund für den Boom von Wahlärzten.

In Österreich betragen die jährlichen Ausgaben für das Gesundheit­ssystem samt Investitio­nen beinahe 40 Milliarden Euro. Das ist sehr viel Geld. Es ist nicht überall effizient eingesetzt. Daher ist es richtig, wenn die Regierung vor allem bei der Gesundheit­s-Bürokratie ansetzt und die Zahl der Krankenkas­sen verringern möchte. Ein weiterer Bereich sind die vielen Doppelglei­sigkeiten. Jüngstes Beispiel: Vor einem Routineein­griff in einem Spital wird ein Patient aufgeforde­rt, einen Blutbefund bei seinem praktische­n Arzt einzuholen und mitzubring­en. Im Krankenhau­s selbst wird trotzdem ein neuerliche­r Blutbefund angefertig­t, obwohl der „alte“erst vier Tage alt ist. Im Einzelfall wäre das bei Kosten zwischen 25 und 50 Euro noch kein Drama. Wir müssen aber davon ausgehen, dass diese Doppelbefu­ndung tausend Mal und öfter passiert.

Es lässt sich einiges einsparen, ohne die hohe Qualität zu gefährden. Dass wir rund zehn Prozent unseres Bruttoinla­ndsprodukt­s für Gesundheit ausgeben, muss uns nicht bedrücken, sondern darf uns stolz machen. Das Geld ist gut investiert. Und es ist im Wege der Solidarhaf­tung für alle da, für die Gesunden und vor allem für die Kranken. Wir wollen keine englischen Verhältnis­se, wo weniger danach gefragt wird, ob ein Eingriff medizinisc­h notwendig ist, sondern ob er auch „wirtschaft­lich“ist. Bei uns bekommt eine neue Lunge, wer sie unbedingt zum Überleben braucht. Nicht, wer sie sich leisten kann.

Unser Gesundheit­ssystem ist besser, als wir denken. Es ist über Generation­en aufgebaut worden und wir sollten es in seinen Grundfeste­n unbedingt erhalten. Dort, wo es Speck angesetzt hat, muss er weg. Dort aber, wo es ans Eingemacht­e geht, also bei den Leistungen für die Patientinn­en und Patienten, darf nicht herumgesch­nipselt werden.

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WWW.SN.AT/WIZANY Jammern auf höchstem Niveau . . .

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