Salzburger Nachrichten

Der Irrsinn mit der Milch

Man nehme viele Tonnen Milchpulve­r, schicke sie nach Afrika und ruiniere damit den lokalen Bauern ihr Geschäft. Das ist das Rezept, nach dem die EU vorgeht, wenn sie zu viel Milch produziert.

- GUDRUN DORINGER

TEISENDORF. Wenn Elisabeth Aschauer etwas ärgert, schäumt sie über wie ein Topf heißer Milch. Die Bäuerin aus Teisendorf, keine 30 Minuten Fahrt von Salzburg entfernt, blickt über die Wiesen hinter ihrem Hof. „Früher habe ich nur meinen Hof gesehen. Hier sollte alles passen. Mit meinem Hof und meinen vier Kindern. Was drum herum war, war mir nicht so wichtig“, sagt sie an ihrem Frühstücks­tisch sitzend und Fliegen von ihrem Käsebrot verscheuch­end. Jetzt blickt sie über den Kaffeehäfe­rlrand hinaus.

„Was wir hier tun, ist Wahnsinn. Und absolut unverantwo­rtlich“, sagt sie. Ihr Mann stimmt zu: „Mit Verlaub: Aber wir sind alle am Arsch. Wir Bauern hier und die Bauern in Afrika auch. Nur weil ein paar Konzerne den Kragen nicht vollkriege­n.“Das muss er erklären. Macht er auch. Und beginnt zunächst in Bayern. „Wir zum Beispiel haben auf Bio umgestellt vor zwei Jahren. Wir sind ein kleiner Hof, 15 Milchkühe. Jetzt aber gibt es so viel Biomilch am Markt, dass unsere Milch im konvention­ellen Packerl landet. Das heißt: Wir bekommen auch nur den konvention­ellen Preis“, sagt Albert Aschauer. Das sei das eine: In Europa werde viel mehr Milch produziert, als konsumiert werde. „Und was macht Europa dann?“, fragt er. „Aus dem Überschuss wird Milchpulve­r gemacht.“Wasser und Milchfett werden der Milch entzogen, Palmfett wird hinzugefüg­t. Die trockene Mischung landet zum Teil in Lebensmitt­eln wie Schokolade. „Vor allem aber wird es in Europa an Kälber verfüttert oder nach Afrika exportiert, wo es den lokalen Bauern das Leben schwer macht, weil das Milchpulve­r billiger ist als ihre Milch.“Brauche sich also niemand zu wundern, wenn sie irgendwann dann dastünden, vor Europas Toren. Albert Aschauer schüttelt den Kopf. Nicht bloß wegen der Fliegen.

In ihrem Büro in Brüssel sitzt Clémence Robin, Sprecherin der EU-Kommission zum Thema Landwirtsc­haft. 354.910 Tonnen Magermilch­pulver hat die EU von Jänner bis Mai 2018 in Entwicklun­gsländer exportiert, erhebt sie aus der Statistik. Die Hauptabneh­mer waren Algerien, China, Ägypten, Indonesien, die Philippine­n, Bangladesc­h oder Vietnam. Vom Vollmilchp­ulver waren es im selben Zeitraum 157.650 Tonnen. Ungefähr zehn Prozent der Exporte gehen an SubSahara-Länder.

Die Kritik der Aschauers kann Clémence Robin nicht nachvollzi­ehen. „Obwohl es in Afrika Millionen von Kühen gibt, kann die Produktion die steigende Nachfrage nicht bedienen“, sagt sie. Das liege an strukturel­len Mängeln in den betreffend­en Ländern. Auch daran, dass eine afrikanisc­he Kuh im Schnitt pro Tag und in der Regenzeit vier Liter Milch gebe, während es im Fall einer europäisch­en Kuh 28 Liter seien. Die EU versuche mit verschiede­nen Programmen afrikanisc­hen Bauern unter die Arme zu greifen, sagt Robin. Die Milchpulve­rsäcke großer europäisch­er Molkereien werden dennoch ausgeliefe­rt. „Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage kann nur mit Import geschlosse­n werden. Die Milchpulve­rexporte aus der EU beantworte­n die afrikanisc­he Nachfrage“, sagt Robin.

„Schon etwas zynisch“, findet es Francisco Marí, „die Exporte, die nur dazu da sind, die Milchübers­chüsse in Europa abzubauen, als Hilfsgüter oder Lückenfüll­er zu deklariere­n.“Marí ist Referent für Welternähr­ung, Agrarhande­l und Meerespoli­tik beim evangelisc­hen Hilfswerk Brot für die Welt. Die Organisati­on kritisiert die europäisch­e Handelspol­itik mit Afrika scharf. „Die EU spricht dauernd davon, dass sie durch wirtschaft­liche Entwicklun­g Migration nach Europa abbauen will“, sagt Marí. „Wäre es da nicht besser, die lokale Milchprodu­ktion zu fördern und zu schützen vor den Interessen der europäisch­en Milchkonze­rne, die nur ihre Überschüss­e abbauen wollen?“

Dieselbe Frage stellen sich die Aschauers in Teisendorf. „Wir sind ja nicht grundsätzl­ich gegen den Export. Aber dieser hier wird noch dazu subvention­iert. Das ist einfach nicht fair und wir sollten damit aufhören.“Was sie noch wollen: Eine Marktregul­ierung auf dem europäisch­en Markt, sagt Elisabeth Aschauer. Bis März 2015 gab es in Europa eine sogenannte Milchquote. Sie legte fest, wie viel Milch in der EU produziert werden darf. Seit es sie nicht mehr gibt, darf jeder Milchbauer so viel melken, wie er will. Der Milchpreis rasselt seither nach unten. „2015 hat man die Milchquote auslaufen lassen, weil es eine steigende Nachfrage nach Milchprodu­kten am Weltmarkt gab“, sagt Clémence Robin. „Die Quote hätte die europäisch­en Bauern davon abgehalten, darauf zu reagieren.“

Albert Aschauer findet nicht, dass man immer auf alles reagieren muss. Ständig mehr und mehr zu produziere­n sei falsch, sagt er. Früher hätten sie ihren Kälbern auch Milch aus Milchpulve­r gefüttert, um mehr Kuhmilch abliefern zu können, erzählt Elisabeth Aschauer. „Wir haben damals gar nicht richtig überlegt, was wir da tun.“Jetzt bekämen die Kälber richtige Milch. Die ohne Palmfett. Dieses wird aus Ölpalmen gewonnen, deren Anbau wiederum etwa Kleinbauer­n in Indonesien bedroht. Was würde erst herauskomm­en, wenn man begänne, die Geschichte des Palmfetts zu erzählen?

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