Das Glück liegt in der Wiese
Die Geschichte von Bernecker & Rainer beweist, dass Wirtschaftswunder überall möglich sind.
EGGELSBERG. Schon seit 1474 kehren Reisende im Gasthof unterhalb der Kirche von Eggelsberg ein. Aber 500 Jahre lang ist hier nicht viel passiert. Bis sich 1979 zwei Burschen aus der Gemeinde auf den Weg zum damaligen Chef der Raiffeisenkasse machten. Das erzählt Bernhard Gössnitzer, der den uralten Gasthof auch schon seit mehr als 30 Jahren führt. Heute nimmt er ausnahmsweise selbst Platz am Stammtisch. Von dort aus hat man einen guten Blick auf die andere Straßenseite, wo sich das Areal der Firma B&R befindet. Die beiden Buchstaben stehen für die Unternehmer Erwin Bernecker und Josef Rainer. Ihre Fabrik steht da wie ein riesiges Raumschiff, das versehentlich im Oberinnviertel gelandet ist. Ein Wegweiser Richtung Fabrik mit der Aufschrift „Ibm 1 km“macht die Sache noch spannender: Handelt es sich gar um einen Standort des Software-Riesen IBM? „Knapp vorbei ist auch daneben“, kommentiert Gössnitzer diese Frage. B&R ist heute Weltmeister in der Kategorie Automationslösungen. Und begonnen hat alles in einem kleinen Büro der Eggelsberger Raiffeisenkasse. Dort haben sich die beiden ursprünglich eingemietet. Der Plan war gut. In einem Ort dieser Größenordnung benötigte man immer schon drei Fürsprecher, wenn man Pläne umsetzen wollte: Den Bankdirektor, den Bürgermeister und – ganz wichtig – den Pfarrer. Der Bankdirektor war Johann Staufer. Er war für seinen guten Riecher bekannt. Staufer informierte den damaligen Bürgermeister Josef Baischer, dass ihm zwei Absolventen der HTL Braunau eine interessante Idee unterbreitet hätten. Schon am nächsten Tag habe sich der Bürgermeister die beiden angeschaut, erinnert sich Gössnitzer. „Das waren immer schon zwei coole Burschen“, fährt der Koch fort. „So eine Art Innviertler Version der Apple-Gründer Steve Jobs und Steve Wozniak.“Und später hätten sie auch im Ort oft finanziell ausgeholfen, wo es am nötigsten war.
Als der Bürgermeister 1979 ihr kleines Büro betrat, fiel ihm eine an die Wand geheftete Papierrolle auf. Darauf war eine Zahl zu lesen: „1 Milliarde Schilling“. Rainer erklärte ihm: „So viel ist auf dem Markt für unsere Idee drin.“Gerade mal zwei Prozent von diesem Markt seien nämlich erst abgedeckt. „Und den Rest holen uns wir!“Bürgermeister Baischer war von diesem leicht verständlichen Plan schwer beeindruckt. Mehr noch: Er hoffte auf eine längst fällige Zeitenwende. Denn auf dem Gelände, wo heute die Fabrik steht, befand sich damals eine Häuterei. „Wegen des bestialischen Gestanks mussten wir oft den Gastgarten schließen“, erinnert sich Gössnitzer. Die Zeitenwende führte dann zu einem Paradoxon: „Seit die Fabrik auf der Wiese steht, stinkt sie nicht mehr.“
Bernecker und Rainer benötigten zunächst aber selbst einmal Hilfe, damit sie ihre Vision umsetzen konnten. Also fasste der Bürgermeister den weitsichtigen Entschluss, ihnen ein Grundstück zu schenken. „Da waren viele Stamm- tischbrüder nicht gerade erfreut“, sagt Gössnitzer. „Sie wissen schon, so in der Art: ,Warum kriegt der was und ich nicht?‘“Noch dazu, wo die Gemeinde das Grundstück zuerst selbst erwerben musste, um es dann verschenken zu können. Der Grundbesitzer war die Diözese von Linz. Da kam dann der Pfarrer Ferdinand Oberndorfer ins Spiel. Er nutzte seine Kontakte, um einen „christlichen Preis“zu erzielen. Bald darauf hatten Bernecker und Rainer ihre 20.000 m2 große Wiese. „Sie wuchsen wie die Schwammerl im warmen Regen“, sagt Gössnitzer. Heute sind 65.000 m2 verbaut, 3500 Arbeitsplätze wurden geschaffen, im Vorjahr etwa 750 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet. Was diese Firma für die Umgebung von Eggelsberg bedeutet, das erkenne man allein schon an den vielen ausgebauten Dachgeschossen der Einfamilienhäuser. „In und um Eggelsberg zu wohnen, das ist heute ein Privileg“, sagt Gössnitzer. „Die Gemeinde ist reich, dennoch sind keine Billigketten am Straßenrand entstanden. Weil dafür ist sie zu klein.“
Gössnitzer selbst profitiert von gelegentlichen Geschäftsessen. Zu Beginn habe er auch ein super Mittagsgeschäft mit den Angestellten gehabt. Aber dieser punktuelle Stress, wenn 40 Gäste gleichzeitig sofort essen wollen, das sei ihm zu stressig geworden. Weshalb er die später gebaute Kantine von B&R als Segen bezeichnet. Zumal die Kantine von seiner Tochter Magdalena geleitet wird. Das wahre Geheimnis dieses Erfolgs kennt aber nur der Pfarrer Ferdinand Oberndorfer. Er verweist augenzwinkernd auf Matthäus (7,24). Der meinte: „Der Kluge baut auf festen Grund.“