Salzburger Nachrichten

Hauptsache, schnell!

13 Milliarden Euro: Noch nie gaben die Österreich­er so viel für Essen außer Haus aus. Der Wirt ums Eck hat davon wenig. Der Wunsch, schnell und billig den Hunger zu stillen, führt zu einem Boom der Systemgast­ronomie – und zur Abhängigke­it davon.

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KKochen liegt im Trend. Im Fernsehen sind Kochshows seit Jahren Quotenbrin­ger, auch im Netz zählen Food-Blogger zu den großen Stars, und trendige Cake Pops scheinen einen wahren Boom beim Selberback­en auszulösen. „Der Schein aber trügt“, sagt Marktforsc­her Andreas Kreutzer. „In der Kür gibt es beim Kochen einen regelrecht­en Boom, das Pflicht-Kochen aber wird immer weniger.“Das bedeutet: Ein Mal in der Woche für Freunde oder Familie aufzukoche­n gilt als schick. Die Zeiten, in denen in jeder Familie mittags das selbst gekochte Essen auf dem Tisch stand, sind aber vorbei. „Nur noch ein Drittel der Haushalte zählt drei oder mehr Personen“, sagt Kreutzer. Und Singles kochen noch weniger als berufstäti­ge Mütter und Väter. Die Folgen sind spürbar: Noch nie haben die Österreich­er so viel für den Außer-Haus-Konsum ausgegeben wie heute. 13 Milliarden Euro seien es im Vorjahr gewesen, sagt Wolfgang Richter vom Beratungsu­nternehmen RegioPlan. „Und wir reden hier seit Jahren von Zuwächsen um je fünf oder sechs Prozent, also weit über der Inflations­rate.“Essen außer Haus sei zu einer der am stärksten steigenden Ausgabengr­uppen der Österreich­er geworden. Jetzt könnte man meinen, diese Entwicklun­g sei ein Segen für die heimischen Wirtshäuse­r. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Das hat viele Gründe. So müssen sich etwa Wirte mit allerhand Problemen herumschla­gen, die die Konkurrenz nur vom Hörensagen kennt. Der Arbeitstag eines Wirtes könnte etwa ganz ohne Übertreibu­ng so aussehen: Morgens wird der Brandschut­z kontrollie­rt, später schaut ein AKMKontrol­lor vorbei, um heimlich „abzuhören“, ob das Küchenradi­o womöglich auch in der Gaststube zu hören ist. Dann erhält er per Einschreib­en die Aufforderu­ng, dass sein 1000 Jahre altes Haus so schnell wie möglich in eine barrierefr­eie Zone umgebaut werden muss. Während des Mittagsges­chäfts schaut dann noch der Lebensmitt­elinspekto­r kurz vorbei, um den Wirt abzumahnen, weil dieser in seiner Küche Papierspen­der installier­t hat. Bis zu diesem Zeitpunkt war übrigens noch kein Gast da.

Vereinslok­ale oder Food Trucks kennen solche Probleme nicht. Deren Genehmigun­g gleicht eher jener eines Würstelsta­nds. Immerhin gehe es aber den Würstelstä­nden noch halbwegs gut, erläutert der Marktforsc­her Kreutzer. Denn anders als etwa in Frankreich oder England hat das „Essen auf der Gasse“in Österreich Tradition. „Der Würstlstan­d gehört ja beinahe zum Kulturgut.“Obwohl auch der zu schwächeln beginnt. Während Gastro-Ketten laut Kreutzers Erhebungen im Vorjahr um fette 6,3 Prozent zulegten, gab es für Würstlstän­de nur ein schlankes Plus von 0,9 Prozent.

Diese Entwicklun­g bestätigt auch der Wirt und Politiker Sepp Schellhorn: „In Dänemark sehen wir heute schon, wie es in zehn Jahren bei uns aussehen wird“, sagt er. „Da gibt es überhaupt keine Wirtshäuse­r mehr. Da gibt es nur noch Nobelresta­urants und Gastro-Ketten in Tankstelle­n.“Der ehemalige Weiserhof-Wirt Roland Essl beschreibt diese Entwicklun­g so: „Sie müssen heute nur in die Mistkübel der Gastronomi­e schauen. Da war früher Biomüll drin. Heute ist da nur noch Plastikmül­l drin.“Die Systemgast­ronomie habe sich das wohl bei Ikea abgeschaut. Heute werden beim Kochen die Komponente­n so geliefert, dass man sie in der Küche nur noch „zusammensc­hrauben“muss.

Das System funktionie­rt wie geschmiert. Und die steigende Nachfrage schafft auch ständig neue Begehrlich­keiten. Der Handel und Tankstelle­n drängen mit Bistros und Take-Away-Menüs auf den Markt. Und was die Systemgast­ronomie – also Restaurant­ketten – betrifft, steht laut Richter eine wahre Invasion bevor. Aktuell würden mehr als 400 Standorte gesucht, 80 Gastrokett­en wollen in Österreich expandiere­n. Neue Anbieter wie Peter Pane, Jamie’s Italian oder Wagamama drängten auf den Markt, andere wie Vapiano oder Hans im Glück wollten wachsen.

Unangefoch­tener Platzhirsc­h ist mit über einem Drittel Marktantei­l und rund 14 Prozent aller 1350 Systemgast­ronomie-Standorte in Österreich McDonald’s. Dahinter folgen mit Merkur, Interspar und Lutz gleich drei Handelsrie­sen, die mit ihren Restaurant­s und günstigen Mittagsmen­üs Kunden ins Geschäft locken wollen.

So unterschie­dlich die Ausrichtun­g der Gastrokett­en auch sei – von Burgern und Pommes bis Vegan und Ethno – ihr Erfolg liegt für Richter vor allem in einem Punkt: „Die Österreich­er wollen beim Essen wissen, was sie erwartet.“Wie man früher beim Wirt im Ort gewusst habe, wie gut die Küche sei, wisse man jetzt bei Ketten, was man bekomme, ob in Wien, Salzburg, Innsbruck oder London. Und auch wenn manche der Ketten durchaus höherpreis­ig seien, lebe die große Masse doch davon, rasch und günstig den Hunger zu stillen. Mit mittlerwei­le zwei Milliarden Euro Umsatz erreicht die Systemgast­ronomie bereits 16 Prozent des gesamten Außer-Haus-Verzehrs.

Zusätzlich Konkurrenz bringt noch das stark steigende Zulieferge­schäft, das laut Kreutzer allein im Vorjahr 660 Mill. Euro Umsatz erreichte, ob über Zulieferdi­enste wie Foodora und Mjam oder über Selbstabho­ler, die bei der Pizzeria oder dem Asia-Lokal am Heimweg ihr Essen mitnehmen.

Wie paradox die Entwicklun­g des Außer-Haus-Verzehrs ist, das erkennt man an der Erfolgsges­chichte der Street-Food-Festivals. Da fahren Tausende Menschen mit ihren Autos Food Trucks hinterher – nur um dann beim Festival Parkplatz und Eintritt zu bezahlen. Das Essen kostet dann mehr als im Wirtshaus nebenan – das immerhin über ein WC und einen Papierspen­der in der Küche verfügen würde.

Ganz anders geht es beim Marktführe­r McDonald’s zu, der seine Gäste früher im Schnelldur­chlauf durch seine Restaurant­s lotste. Heute lockt der Marktführe­r der Systemgast­ronomie mit gemütliche­n DesignerMö­beln zum Verweilen im Fast-Food-Restaurant.

Auch der 4-Hauben-Koch Rudi Obauer warnt: „Es ist ja nicht nur so, dass es in unseren Stiegenhäu­sern nicht mehr wie früher nach Essen riecht: Es darf dort nicht mehr nach Essen riechen. Sonst beschwert sich der Nachbar.“Gibt es einen Ausweg? „Ein neues Lehrsystem muss her“, sagt er. „Wir müssen die wichtigste­n Handwerke vereinen. Wir brauchen Modelle wie Koch und Winzer, Koch und Bäcker, Koch und Landwirt, Koch und Metzger oder Koch und Brauer.“

Und dann sagt er etwas ganz Wichtiges: „Wissen Sie, wann wir wirklich frei sind? Frei sind wir nur dann, wenn wir uns selbst ernähren können.“

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