Engel und Mönche bauen weiter
25 Jahre Kloster Gut Aich. Wie lässt sich nach 25 Jahren der Erfolg eines Klosters messen? Probieren wir’s mit Gießkanne und Weißwurst.
Bruder Thomas stapft barfuß durch die trockene Wiese. Den nächtlichen Tau haben die ersten Sonnenstrahlen schon gefressen. Zwei Gießkannen trägt Thomas. „Was der Regen nicht erwischt, muss ich erwischen“, sagt er. Wo Wasser gebraucht wird, ist er zur Stelle. Das Wachsen fängt im Kleinen an. Im alten Klostergarten von Gut Aich, wo in Stille gut aufeinander gehört werden kann. Wer braucht was? Wo fehlt was? Die Stille endet am Fuß des Schafbergs im Dorf Winkl bei St. Gilgen an heiligen Ruhetagen. Mariä Himmelfahrt ist so einer. Heuer wird es an diesem Tag 25 Jahre her sei, dass hier ein Brunnen geschlagen wurde. Ein Kloster braucht einen Garten und es braucht einen Brunnen. Und Jahr für Jahr braucht das Kloster mehr Weißwürste. An der Zahl von Weißwürsten lässt sich Glück, wenn nicht gar der Erfolg des Klosters messen. Hunderte Weißwürste müssen her, damit alle Gäste versorgt werden können. Das Kloster ist erfolgreich. Weil es ums Seelenheil geht, lässt sich der Erfolg schwer messen. Aber weil so viele hierherkommen, um Heilung oder Ruhe oder neue Ideen zu suchen, wird was dran sein, an Ideen, die hier nicht hinter Mauern, sondern mitten unter den Leuten gelebt werden. Es geht um Lebendigkeit. Deshalb sind in Winkl alle Feste groß und wichtig. Da kommen die Leute zusammen. Da entwickeln sich Beziehungen. Die Speisung der Messegänger war bei den ersten Gottesdiensten einfacher. Mönche waren da, Helfer und Nachbarn kamen, die sich fragten, „was die da in ihren Kutten wollen“. „Die in den Kutten“wagten ein Experiment: Sie wollten ein Kloster gründen, das ins 21. Jahrhundert passt und doch den benediktinischen Regeln folgt. Benedikt hatte seinen Brüdern zur Zeit der Völkerwanderung Regeln gegeben. Nun soll das „neu gedacht, aber trotzdem nichts zertrümmert werden“, sagt Pater Johannes Pausch. Immer ist eine neue Zeit des Umbruchs, der Bewegung. „Es gibt keine Alternative zum Zusammenleben“, sagt Pausch. 1989 hielt er an der Universität Salzburg eine Vorlesung. Wenn man den 69-Jährigen heute predigen oder Geschichten erzählen hört, ahnt man, dass Pausch damals wohl nicht bloß eine theoretische Vision vorgestellt hat. „Das Europakloster“war das Thema. Der Eiserne Vorhang war gefallen. „Es war zu spüren, dass die Welt sich in eine neue Richtung bewegte“, sagt Bruder Thomas. Und er und ein paar andere wollten dieser Bewegung eine friedliche Grundlage im Kleinen liefern. Elf Jahre lebten die Mönche in Winkl, ehe das Kloster 2004 auch kirchenrechtlich errichtet wurde. Die letzte Gründung eines noch bestehenden Benediktinerklosters liegt gut 860 Jahre zurück. Prior wurde Johannes Pausch. 1993 hatte er mit Bruder Thomas in Winkl das alte Kinderheim der Franziskaner-Schwestern von Au am Inn übernommen. „Wir hatten nichts – aber es kamen die ersten und brauchten was“, erinnert er sich. Irgendwie ging immer alles. Dass bei der Klostererhebung ein Regenbogen über Winkl stand, kann freilich auch nur Zufall sein.
An den offenen Türen hat sich seit den ersten Tagen nichts geändert. Das entspricht dem Evangelium. Mehr noch entspricht es einer Grundhaltung, die sich theoretisch und theologisch aufschlüsseln ließe, die aber auch ohne Theorie spürbar wird. Ein Kloster als Ort der Zuflucht und der Heilung hat seine Bestimmung erreicht, wenn das Kloster in und mit der Zeit lebt – und für Menschen dieser Zeit. Das klingt nach modischer Anpassung, ist aber das Gegenteil: In einer besinnungslos rasenden Zeit geht es um Besinnung auf Nachhaltigkeit – für Geist und Körper.
Lang schon ist die Kirche in Winkl auch an „normalen“Sonntagen bummvoll. An hohen kirchlichen Feiertagen legt der Gottesdienst das Dorf lahm. Straßerl und Wege rund um das Kloster sind lang vor dem Z’sammläuten verparkt. Das Experiment ist geglückt. Es glückte auch, weil es eine simple Prämisse gibt, unter der gebetet, gearbeitet, nachgedacht, gesungen, geschwiegen, ausgeruht oder ein Segen gespendet wird: Es geht darum, mitten im Leben zeitgemäße Lebenskompetenz zu vermitteln. „Wenn ich in einem kleinen Ort ein paar Leute habe, die sagen, das packen wir, mit Augenmaß, mit Gesprächen, mit Initiativen, dann geht es“, sagt Pausch. Es geht um eine Kleinheit, die ins Große strahlt, die erfüllt, was in der Gründungsurkunde der Hinweis auf „die höhere Ehre Gottes“als klösterliche Aufgabe definiert. Es geht um nichts spirituell Abgehobenes, sondern ums „gemeinsam Leben“. Pausch hilft da seine Biografie. „Ich bin ein Wirtsbua“, sagt er. Dieser Geist erfüllt das Kloster beim Umgang mit und beim Zugang auf Menschen. Gegen Vorbehalte in der eigenen Familie hatte Pausch seinen Weg ins Mönchstum durchgesetzt. Der Großvater schnappte sich den Buben einmal und beobachtete die Messebesucher. „Schau, wie saugrantig die Leute aus der Kirche kommen und wie fröhlich sie sind, wenn sie aus dem Wirtshaus kommen“, sagte der Großvater. Das hat sich der Bub gemerkt. Bei ihm soll keiner grantig gehen.
Den Mönchen ist klar, dass dieses Experiment nie endet. Anderswo sind Klöster unter Schutz gestellt, aber Gut Aich ist kein Denkmal. „Es ist eine ewige Baustelle“, sagt Pausch. In die schwerste Krise stürzte man vor etwa fünf Jahren. In kurzer Zeit verließen drei Brüder das Kloster. „Da stand alles zur Diskussion“, sagt Bruder Thomas. Auch Aufgeben war eine Option. „Ich wäre wohl nicht mehr in ein anderes Kloster gegangen“, sagt er. Musste er nicht. Neue Strukturen wurden geschaffen. 25 Jahre nach Beginn des Experiments steht Gut Aich, mit offiziellem Namen „Europakloster“, als kleines Unternehmen da: Kunstwerkstätten, Hildegard-Heilzentrum, Klosterladen, umfangreiches Kursangebot. Rund 40 Personen werden beschäftigt. Im Mittelpunkt steht die Kräuterheilkunde. Auch da schlägt Pauschs Biografie durch. Sein Pfarrer in der Oberpfalz gab ihm Grundwissen mit, das er im Klostergarten umsetzt. „Wir müssen mit dem leben, was wir haben“, sagt er.
Das Kloster wurde zu einem grenzenlosen, spirituellen und sozialen Zentrum mit internationalem Ruf. „Unsere Engel sind sehr geschäftstüchtig“, sagt Pausch schmunzelnd. Mit diesem Schmunzeln schaut er in den Regalen einer großen österreichischen Supermarktkette auch von Gläsern mit Gewürzmischungen. „Das machen wir aber nicht selber“, sagt er, „wir haben denen nur teuer unser Know-how verkauft.“Sonntags in der Kirche gibt es Gut-Aich-Know-how gratis.
Die so geschäftstüchtigen Engel hätten einst schon gebaut, als „rundherum nur Probleme waren“, sagt Pausch. Und es wird weitergebaut, um die Grundfeste einer Idee des respektvollen Miteinanders stabil zu halten. Eng ist es geworden, im Kreuzgang und in der Klosterkirche und im Gästehaus. Aus ein paar Messebesuchern wurden ein paar Hundert. In der Nachbarschaft werden Pfarrgemeinden zusammengelegt. In Winkl wurde vergangenes Jahr der Beschluss gefasst, in fünf bis sieben Jahren ein neues Kloster und eine Kirche zu bauen. „Es wird ganz sicher keine Halleluja-Bude“, sagt Pausch. Für öffentlichkeitswirksames Repräsentationsbeten hat keiner Zeit. „Das wird keine Gewaltaktion. Wir schauen wie bei allem anderen auch, was notwendig ist. Eine Kirche macht nur Sinn, wenn sie gebraucht wird“, sagt Pausch – und wenn keiner grantig herauskommt.