Der Hüter der Pastete
Warum der Hohlwegwirt mehr ist als ein Gasthaus. Ernst Kronreif hielt 41 Jahre an der Pastete fest. Jetzt ist sie fast schon wieder modern.
Durch diese Hohle Gasse muss der Reisende kommen ...“– das dürfte sich Johannes Kronreif gedacht haben, als er den Hohlwegwirt am 23. September 1874 erworben hat. Damals war das Anwesen noch eine Landwirtschaft mit einem Kramerladen. Und vor allem eine Poststelle. „Wirt und Post. Das war früher die perfekte Kombination“, sagt Ernst Kronreif. Dass er mit seinem Hohlwegwirt in der Serie „Die Letzten ihrer Art“dabei ist, das freut ihn ganz besonders. „Als mich meine erste Frau verließ, da meinte sie zum Abschied, ich sei eine aussterbende Rasse“, erinnert er sich zwischen blank polierten Schöpfern, Sieben und Wendern, die an einer Leiste hängen. Von modernen Küchengeräten keine Spur. Kronreif hat sich schon 1977 einer Leidenschaft verschrieben, die seit Jahrhunderten als kulinarische Königsdisziplin gilt. Er bereitet Pasteten zu. Das sind Delikatessen, die in der Vergangenheit etwas in Verruf gerieten, weil sich die Lebensmittelindustrie dieser Technik annahm, mit der man – sagen wir mal – nicht ganz so edle Zutaten „verstecken“kann. Man könnte auch sagen: Die Pasteten der Lebensmittelindustrie sind eine erbärmliche Farce gegenüber jenen von Kronreif. Denn statt Gelatine gibt Kronreif Obers in seine vollendete Farce. Spätestens jetzt fällt auf: Allein die zwei konträren Bedeutungen des Wortes „Farce“machen die Sache interessant. Denn als eine Farce gilt sowohl die Füllung einer Fleisch- oder Fischpastete als auch eine komödiantische Posse oder Verhöhnung.
Für Kronreif ist die Farce immer nur Arbeit. Und ohne Erfahrung und Fachwissen gehe da gar nix. „Man muss mit dem Herzen dabei sein“, erklärt er. So ein Satz klingt im Zusammenhang mit Kochen immer sehr französisch. Und das ist er auch. Denn in die hohe Kunst der Zubereitung von Pasteten wurde Kronreif 1977 bei Rudolf Katzenberger (1912–1999) eingeweiht. Dieser führte mit dem „Adler“in Rastatt das damals wohl frankophilste Restaurant Deutschlands. Ein weiterer Lehrling Katzenbergers war übrigens der Gastrosoph und Koch Vincent Klink. Dieser beschrieb den alten Meister einmal so: Katzenberger wirkte, sicher zwei Meter groß, mit seinem Schnauzbart wie eine Mischung aus Nietzsche und Clemenceau. Der Mann war in Süddeutschland eine Institution, verfügte über ein fabelhaftes Ego und hätte sicher nichts dagegen gehabt, wenn man ihn mit Majestät angesprochen hätte. Auf Katzenberger dürfte also noch der Ruf der Pastete als königlichste aller königlichen Speisen abgefärbt haben.
In Europa tauchte diese Speise erstmals um 1000 n. Chr. auf. Ihre Blütezeit begann aber erst in der Renaissance. Wer damals in adeligen und klerikalen Kreisen seinen Gästen Pasteten servieren lassen konnte, der galt als eine Art sichtbarer Oberer der Oberen Zehntausend. So soll 1452 zu Ehren des Herzogs Philippe le Bon eine Pastete serviert worden sein, auf der ein Orchester spielte. Auch von jungen Damen, die Pasteten entstiegen, wurde berichtet.
Kronreif pflegt heute das Motto „small is beautiful“. Die Pasteten sind kleiner, die Abwechslung größer. Seine Farce wird fast immer von kurz gebratenen Edelteilen zusammengehalten. Von der Rehrückenpastete, der Krebsschwanzpastete, der Räucheraalpastete bis zur Lammfiletpastete und zur Gänseleberterrine mit Trüffelkern: Jede ist ein Genuss – und alle zusammen sind ein kulinarischer Gottesdienst.
Was aber nicht heißt, dass im Hohlwegwirt nur geschlemmt wird. Der Betrieb ist auch schon eine kleine Ewigkeit für seine mediterrane Küche bekannt. Da hat Ernst Kronreif viel seiner Mutter Ida zu verdanken. Und vor allem seiner Tante Katharina, die seit Jahrzehnten in Triest daheim ist. Von ihr ließ er sich etwa zu dem Gericht Carpaccio vom Zucchini mit Kernöl und geriebenem Adneter Käse inspirieren.
Auch in der Liebe hat sich bei Kronreif alles verändert. Er ist jetzt mit Biljana verheiratet. Weshalb es neben der venezianischen und triestinischen Küche nun sehr viele istrische Einflüsse auf der Karte des Hohlwegwirts gibt. Trotzdem: Biljana ist vor allem von der Pastetenproduktion ihres Manns begeistert. „Es gibt nicht mehr viele, die so was können – das hat Zukunft.“