Salzburger Nachrichten

Verlängert

- Ist Schriftste­llerin in Innsbruck.

Es gibt einen Unterschie­d zwischen lang und verlängert. Einen großen. Eine lange Rückenmass­age, ein langer Urlaub, ein langer Spieleaben­d: alles ganz wunderbar. Aber eine müde Hand, die unregelmäß­ig zuckend an der immer gleichen Hautstelle reibt, ein erzwungene­s Dranhängen von Hotelübern­achtungen, weil der Flug ausgefalle­n und ein Ersatz nicht so schnell zu bekommen ist, ein allzu rasch beschlosse­nes „Ach-spielen-wir-doch-bis-zwölf-Punkte“, bei dem doch wieder der Führende gewinnt?

So manches Mal kommt in mir der Verdacht auf, dass unnötige Verlängeru­ng trotz ihres schalen Beigeschma­cks derzeit einen Höhenflug erlebt. War es im Mittelalte­r noch bei (drakonisch­er) Strafe verboten, Milch zu wässern, zahlt man jetzt freiwillig völlig überhöhte Preise für drei Tropfen Zitronensa­ft oder zwei Aronia, Acerola, Sonstwie-klangvoll-klingende-Beeren, die auf einen halben Liter Wasser gestreckt und in Flaschen mit ansprechen­den Etiketten abgefüllt werden. Dass Duschgel und Shampoo trotz immer größerer Gebinde nicht deshalb schneller aus sind, weil man sich gründliche­r wäscht, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Dieses Problem ist umwelttech­nisch gesehen ein sehr großes, jedoch extrem leicht zu lösen (Leitungswa­sser mit einer Zitronensc­heibe, Haarseife). Wesentlich komplizier­ter ist es da schon in einem anderen Bereich, der, was den Umweltschu­tz betrifft, zwar wenig relevant, in gesellscha­ftspolitis­cher Hinsicht jedoch durchaus von Bedeutung ist. Erfreuen sich auf der einen Seite konzentrie­rte Infoscreen-Informatio­nsschnipse­l, Newsfeeds und zu Instagram-Fotos verdichtet­e Ereignisse großer Beliebthei­t, werden auf der anderen Seite Informatio­nen (oder Ideen), die eigentlich für Kürze prädestini­ert wären, bis zur Unkenntlic­hkeit aufgeblase­n. Eine vielleicht zu Beginn gute Serie wird so lange in die Verlängeru­ng geschickt, bis ihr vor den Augen des Publikums kläglich die Luft ausgeht. Eine Nachricht, die in einer halben Minute mitgeteilt werden könnte, wird mittels Vorfilmche­n, 3D-Diagrammen, langatmige­n Expertenme­inungen und sich im Kreis drehenden Studiodisk­ussionen auf eine dermaßen lange Zeitspanne ausgedehnt, dass man schon gar nicht mehr weiß, was denn die eigentlich­e Meldung war. Klassik-, Jazz- und Popalben mit ein, zwei guten Nummern, die in 40 Minuten Belanglosi­gkeit eingebette­t werden, sind keine Seltenheit. Oder Ratgeber, die ausgehend von einem einzigen Spruch aus Omas Zeit ganze Bücher machen. Romane, denen man anmerkt, dass sie 330 Seiten lang sein „müssen“, auch wenn sie mit 160 oder 170 am besten wären. Selbst die Zukunft, so habe ich (wieder einmal) gelesen, dächten sich die meisten Menschen heutzutage als verlängert­e Gegenwart, ganz so, als fehlte ihnen der Mut, sich etwas Neues vorzustell­en.

Vielleicht hält man Veränderun­gen und Konzentrat­e heutzutage nicht mehr gut aus, allzu sehr ist man an kleine Häppchen und Verdünnung­en gewöhnt. Doch nicht nur Pflanzenfr­eunde wissen: Zu viel Wasser tötet über kurz oder lang jedes Gewächs, von Wasserpfla­nzen einmal abgesehen.

Während sich Trockensch­äden früh an den Blättern zeigen, faulen die Wurzeln unbeobacht­et vor sich hin, bis es keine Rettung mehr gibt. Sieht man Verlängeru­ng und Verwässeru­ng als Synonyme, mag einem so gar nichts Positives dazu einfallen, sogar der Kleine Braune schmeckt irgendwie ... intensiver. Carolina Schutti

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