Salzburger Nachrichten

Der russische Pianist mit dem lockigen Haar

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Die Lichter gehen aus. Es wird still im Großen Festspielh­aus. Pianist Evgeny Kissin erscheint auf der Bühne. Der Applaus setzt ein. Der russische Starpianis­t setzt sich an den Flügel und beginnt Chopin zu spielen. Das Publikum lauscht den herrlichen Klängen. Und doch fällt die Konzentrat­ion schwer. Das Geschehen in der Vorderreih­e lenkt ab. Dort sitzt ein asiatische­s Paar mit seinen drei Töchtern. Ausgeklüge­lt scheint sie, die Sitzordnun­g. Das älteste Mädchen, es ist vielleicht elf Jahre alt, sitzt zur Linken des Vaters. Zu seiner Rechten, also zwischen Mama und Papa, sitzt die Jüngste mit vielleicht fünf Jahren. Zur Rechten der Mutter das dritte Mädchen, es ist im Volksschul­alter.

Entzückend sind die drei Kleinen mit ihren dunklen Kullerauge­n. Nach kurzer Zeit scheint die Jüngste das Interesse an der Musik zu verlieren. Die bemühte Mutter flüstert liebevoll ins Ohr des Mädchens, das daraufhin wieder eine aufrechte Position im Sessel einnimmt. Dann blickt sie zur Schwester und sieht: Diese hat die Hand der Mama ergriffen. Trotzig tut es ihr die Kleine gleich. Der Vater verfolgt das Geschehen lächelnd. Was tun, um dem Kind die Langeweile zu nehmen? Die Mutter packt einen kleinen Block und Kugelschre­iber aus der Handtasche. Und so entsteht mit flinken Strichen eine Zeichnung des Pianisten am Flügel. Besonders auffällig: sein lockiges Haar. Der Vater goutiert das kreative Kunstwerk seiner Tochter mit einem Daumen nach oben und einem stolzen Schmunzeln.

Währenddes­sen spielt Kissin Nocturne E-Dur op. 62/2 zu Ende. Nach den letzten Klängen: Husten, Niesen, lautes Aufatmen, Rascheln. Eine Dame kann sich ein Lachen kaum verkneifen, zu skurril ist die Situation. Nur Sekunden später heißt es aber wieder Luft anhalten. Oder einfach entspannt zuhören. NICOLE.SCHNELL@SN.AT

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