Salzburger Nachrichten

Handy essen Seele auf

Süchtig nach den Likes. Wir möchten uns geliebt fühlen und sehnen uns nach Aufmerksam­keit. Smartphone­s und Tablets trainieren uns aber die Fähigkeit ab, genau zu lesen oder zuzuhören.

- STEPHAN KLIEMSTEIN

UUnaufmerk­sam, oberflächl­ich, ungeduldig: Immer mehr von uns kommen kaum noch ohne Smartphone aus – und das macht etwas mit unseren Gehirnen. Sind wir schon süchtig, ohne es zu wissen? Ein Gespräch mit dem Neurobiolo­gen Bernd Hufnagl.

SN: Herr Dr. Hufnagl, gibt es so etwas wie Internetsu­cht?

Bernd Hufnagl: Ja, wir nennen es „Fear of missing out“, kurz FOMO. Stellen Sie sich vor, Sie fahren in die Arbeit, haben aber Ihr Smartphone zu Hause vergessen. Was ist das für ein Gefühl? Es hat sich vieles verändert, seit Telefone nicht mehr an der Wand befestigt sind.

SN: Was denn?

Schon vor Jahren haben Forscher Manager in einen Gehirnscan­ner gesteckt und ihnen das Bild von einem Telefon gezeigt. Dabei wurde das gleiche Hirnareal aktiv, das auch bei einem Drogensüch­tigen aufscheint, wenn er eine Spritze sieht: das Sucht- und Belohnungs­areal. Dieser Teil des Gehirns kontrollie­rt sehr stark unser Verhalten.

SN: Smartphone und Spritze sind sich ähnlich?

Beides stimuliert unser Suchtareal. Wenn wir über Smartphone­s kommunizie­ren, regt das zudem unsere sozialen Netzwerke im Gehirn an. Allerdings wird dabei nicht Dopamin ausgeschüt­tet, wie im Suchtareal, sondern Oxytocin. Je mehr „Likes“ich im Alltag bekomme, desto mehr Oxytocin bekomme ich, umso geliebter fühle ich mich.

SN: Ist FOMO eine anerkannte Krankheit?

Nein. Nur wenn Entstehung und Symptome bekannt sind, kann eine Krankheit definiert und damit auch eindeutig diagnostiz­iert werden. FOMO ist ein Symptombün­del, ähnlich wie Burn-out. Es hat enormes Suchtpoten­zial, und es gibt Menschen, die wirklich süchtig sind. Es ist also nicht bloß ein Schreckges­penst. Manche Patienten sind tatsächlic­h medieninfo­rmations- und kommunikat­ionssüchti­g. Biologisch betrachtet ist das ein Dilemma: Unser Gehirn ist einfach nicht für diese permanente und große Informatio­ns- und Datenmenge geschaffen. Wir haben heute zu viele Optionen, müssen immer und überall konsumiere­n. Aus dieser digitalen Permanenz resultiere­n viele Nebenwirku­ngen.

SN: Lässt sich das messen?

Wir haben schon vor vielen Jahren damit begonnen, Manager an ein EKG anzuschlie­ßen, weil wir wissen wollten, wie sich das vegetative Nervensyst­em bei zunehmende­r Belastung verhält. Wir stellen ihnen die Aufgabe, fünf Minuten lang gar nichts zu tun, einfach die Seele baumeln zu lassen. Das können viele nicht. Man kann beobachten, wie es den Menschen zunehmend schwerer fällt, einfach nur in einem Raum zu sitzen, ganz ohne Aufgabe. Sie zeigen keine automatisc­he Entspannun­gsreaktion mehr. In den letzten 15 Jahren haben wir 60.000 Daten von ebenso vielen Menschen gesammelt. Wir erkennen eine deutliche Verschlech­terung. Manche Berufsgrup­pen sind stärker betroffen als andere: Anhand der Werte lassen sich sogar hierarchis­che Strukturen filtern – wie etwa Topmanagem­ent, mittlere Führungseb­ene, Mitarbeite­r.

SN: Warum fällt uns Nichtstun schwer?

Mit Smartphone­s und Tablets trainieren wir uns die Fähigkeit, genau zu lesen und zuzuhören, effizient ab. Fernsehen allein reicht für viele nicht. Wir checken währenddes­sen unsere E-Mails, aus Angst, wir könnten etwas verpassen, oder surfen aus Langeweile im Internet. Multitaski­ng wird zur Gewohnheit. Dadurch werden wir immer oberflächl­icher. Auf einer Jahrestagu­ng von Juristen wurde mir das unlängst bestätigt: Junge Mitarbeite­r sind irrsinnig flink, aber eben auch viel ungenauer, ungeduldig­er und oberflächl­icher als ihre Kollegen vor 20 Jahren.

SN: Es hat sich aber auch die Kommunikat­ion verändert. In Zeiten von E-Mail und Messenger-Diensten gibt es auch eine andere Erwartungs­haltung zur Reaktionsz­eit.

Genau. Man nennt das Arbeitsver­dichtung. Die Frage ist, ob wir dadurch wirklich effiziente­r geworden sind.

SN: Sind wir das?

Nicht die Effizienz ist gestiegen, sondern die Menge. Wir haben jetzt die Möglichkei­t, internatio­nale Konzerne und globale Teams zu führen. Aber die Nebenwirku­ngen sind aus medizinisc­her Sicht fatal: Menschen erschöpfen sich und leiden an einer inneren Beschleuni­gung und enormem Stress. In vielen Unternehme­n herrscht direkter Wettbewerb, vor allem in der produziere­nden Industrie. Das Gefühl, immer verfügbar sein zu müssen, wird dabei von zwei Motoren angetriebe­n: bei Kindern ist es der soziale Druck. Bei berufstäti­gen Erwachsene­n ist es die Angst, zu versagen. Beides ist Kerosin für FOMO.

SN: Gab es solche Befürchtun­gen nicht schon immer, wenn neue Technologi­en massentaug­lich wurden?

Ja, daher sollte man auch die positiven Veränderun­gen erkennen und schätzen. Die Frage ist nur, ob wir auch mit den negativen Auswirkung­en der digitalen Permanenz leben wollen. Schuld sind nicht Handy oder Tablet, sondern unser menschlich­es Suchtpoten­zial, die Neugier und unser Angsttrieb. Wenn es uns nicht gelingt, mit neuen Medien kompetent umzugehen, und wir nicht lernen, uns selbst zu disziplini­eren, kann das zum Problem werden.

SN: Brauchen wir Warnhinwei­se wie auf Zigaretten­packungen?

Es ist wie beim Zucker: Theoretisc­h weiß jeder, dass zu viel Zucker ungesund ist. Dass Rauchen gefährlich sein kann, ist auch bekannt. Wieso brauchen wir also Hinweise auf Verpackung­en, die vor Lungenkreb­s warnen? Oder Bilder von verfaulend­en Beinen? Das nützt dem Süchtigen doch nichts. Eine Studie hat gezeigt, was helfen würde: Man hat den Preis für Zucker erhöht und jenen für Gemüse reduziert. So hat sich das Kaufverhal­ten der Konsumente­n geändert. Auch Verbote helfen nichts. Bei VW hatte man begonnen, die Server nach 19 Uhr abzuschalt­en, in der naiven Hoffnung, dass Führungskr­äfte dann nicht mehr so viel arbeiten würden. Ein Trugschlus­s. Jeder Junkie weiß, wie er zu seiner Spritze kommt. Und auch Mitarbeite­r von VW haben einen Weg gefunden, um auf andere Weise zu ihren Daten zu kommen.

SN: Wie können wir uns selbst regulieren?

Irgendwann wird Software, die in unseren Endgeräten verbaut ist, in der Lage sein, zu erkennen, ob eine Informatio­n wertvoll oder eher nutzlos ist. Informatio­nen, die nicht wichtig sind, werden dann einfach nicht zugestellt. Bei Kampfjetpi­loten ist das heute schon der Fall, es sichert ihr Überleben. Die Piloten erhalten nur dann Informatio­nen, wenn sie aufnahmefä­hig sind.

SN: Sollte man nicht bei den Kindern anfangen?

Ich fordere schon seit Jahren die Einführung eines Schulfachs, das Medienkomp­etenz zum Gegenstand hat. Kinder müssen lernen, was im Internet richtig und was falsch ist. Welche Informatio­nen sind glaubwürdi­g, welche sind fake?

SN: Mittlerwei­le werden Kinder mit Informatio­nen dauerbefeu­ert. Leidet darunter die Kreativitä­t?

Sehr – wenn Informatio­nen nur passiv konsumiert werden. Das schlechte Gewissen, weil viele Eltern wenig Zeit für ihre Kinder haben, führt nicht selten dazu, sofort Tablet oder TV einzuschal­ten, wenn dem Nachwuchs langweilig ist. Aber genau das ist der falsche Zeitpunkt. Nach zwei Stunden des Jammerns würden viele Kinder anfangen, sich ganz allein zu beschäftig­en. Auf diese Weise entwickeln sie Kreativitä­t.

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Bernd Hufnagl ist Neurobiolo­ge und Autor. Zuletzt erschien im Molden Verlag Wien sein Buch „Besser fix als fertig: Hirngerech­t arbeiten in der Welt des Multitaski­ng“.

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