Handy essen Seele auf
Süchtig nach den Likes. Wir möchten uns geliebt fühlen und sehnen uns nach Aufmerksamkeit. Smartphones und Tablets trainieren uns aber die Fähigkeit ab, genau zu lesen oder zuzuhören.
UUnaufmerksam, oberflächlich, ungeduldig: Immer mehr von uns kommen kaum noch ohne Smartphone aus – und das macht etwas mit unseren Gehirnen. Sind wir schon süchtig, ohne es zu wissen? Ein Gespräch mit dem Neurobiologen Bernd Hufnagl.
SN: Herr Dr. Hufnagl, gibt es so etwas wie Internetsucht?
Bernd Hufnagl: Ja, wir nennen es „Fear of missing out“, kurz FOMO. Stellen Sie sich vor, Sie fahren in die Arbeit, haben aber Ihr Smartphone zu Hause vergessen. Was ist das für ein Gefühl? Es hat sich vieles verändert, seit Telefone nicht mehr an der Wand befestigt sind.
SN: Was denn?
Schon vor Jahren haben Forscher Manager in einen Gehirnscanner gesteckt und ihnen das Bild von einem Telefon gezeigt. Dabei wurde das gleiche Hirnareal aktiv, das auch bei einem Drogensüchtigen aufscheint, wenn er eine Spritze sieht: das Sucht- und Belohnungsareal. Dieser Teil des Gehirns kontrolliert sehr stark unser Verhalten.
SN: Smartphone und Spritze sind sich ähnlich?
Beides stimuliert unser Suchtareal. Wenn wir über Smartphones kommunizieren, regt das zudem unsere sozialen Netzwerke im Gehirn an. Allerdings wird dabei nicht Dopamin ausgeschüttet, wie im Suchtareal, sondern Oxytocin. Je mehr „Likes“ich im Alltag bekomme, desto mehr Oxytocin bekomme ich, umso geliebter fühle ich mich.
SN: Ist FOMO eine anerkannte Krankheit?
Nein. Nur wenn Entstehung und Symptome bekannt sind, kann eine Krankheit definiert und damit auch eindeutig diagnostiziert werden. FOMO ist ein Symptombündel, ähnlich wie Burn-out. Es hat enormes Suchtpotenzial, und es gibt Menschen, die wirklich süchtig sind. Es ist also nicht bloß ein Schreckgespenst. Manche Patienten sind tatsächlich medieninformations- und kommunikationssüchtig. Biologisch betrachtet ist das ein Dilemma: Unser Gehirn ist einfach nicht für diese permanente und große Informations- und Datenmenge geschaffen. Wir haben heute zu viele Optionen, müssen immer und überall konsumieren. Aus dieser digitalen Permanenz resultieren viele Nebenwirkungen.
SN: Lässt sich das messen?
Wir haben schon vor vielen Jahren damit begonnen, Manager an ein EKG anzuschließen, weil wir wissen wollten, wie sich das vegetative Nervensystem bei zunehmender Belastung verhält. Wir stellen ihnen die Aufgabe, fünf Minuten lang gar nichts zu tun, einfach die Seele baumeln zu lassen. Das können viele nicht. Man kann beobachten, wie es den Menschen zunehmend schwerer fällt, einfach nur in einem Raum zu sitzen, ganz ohne Aufgabe. Sie zeigen keine automatische Entspannungsreaktion mehr. In den letzten 15 Jahren haben wir 60.000 Daten von ebenso vielen Menschen gesammelt. Wir erkennen eine deutliche Verschlechterung. Manche Berufsgruppen sind stärker betroffen als andere: Anhand der Werte lassen sich sogar hierarchische Strukturen filtern – wie etwa Topmanagement, mittlere Führungsebene, Mitarbeiter.
SN: Warum fällt uns Nichtstun schwer?
Mit Smartphones und Tablets trainieren wir uns die Fähigkeit, genau zu lesen und zuzuhören, effizient ab. Fernsehen allein reicht für viele nicht. Wir checken währenddessen unsere E-Mails, aus Angst, wir könnten etwas verpassen, oder surfen aus Langeweile im Internet. Multitasking wird zur Gewohnheit. Dadurch werden wir immer oberflächlicher. Auf einer Jahrestagung von Juristen wurde mir das unlängst bestätigt: Junge Mitarbeiter sind irrsinnig flink, aber eben auch viel ungenauer, ungeduldiger und oberflächlicher als ihre Kollegen vor 20 Jahren.
SN: Es hat sich aber auch die Kommunikation verändert. In Zeiten von E-Mail und Messenger-Diensten gibt es auch eine andere Erwartungshaltung zur Reaktionszeit.
Genau. Man nennt das Arbeitsverdichtung. Die Frage ist, ob wir dadurch wirklich effizienter geworden sind.
SN: Sind wir das?
Nicht die Effizienz ist gestiegen, sondern die Menge. Wir haben jetzt die Möglichkeit, internationale Konzerne und globale Teams zu führen. Aber die Nebenwirkungen sind aus medizinischer Sicht fatal: Menschen erschöpfen sich und leiden an einer inneren Beschleunigung und enormem Stress. In vielen Unternehmen herrscht direkter Wettbewerb, vor allem in der produzierenden Industrie. Das Gefühl, immer verfügbar sein zu müssen, wird dabei von zwei Motoren angetrieben: bei Kindern ist es der soziale Druck. Bei berufstätigen Erwachsenen ist es die Angst, zu versagen. Beides ist Kerosin für FOMO.
SN: Gab es solche Befürchtungen nicht schon immer, wenn neue Technologien massentauglich wurden?
Ja, daher sollte man auch die positiven Veränderungen erkennen und schätzen. Die Frage ist nur, ob wir auch mit den negativen Auswirkungen der digitalen Permanenz leben wollen. Schuld sind nicht Handy oder Tablet, sondern unser menschliches Suchtpotenzial, die Neugier und unser Angsttrieb. Wenn es uns nicht gelingt, mit neuen Medien kompetent umzugehen, und wir nicht lernen, uns selbst zu disziplinieren, kann das zum Problem werden.
SN: Brauchen wir Warnhinweise wie auf Zigarettenpackungen?
Es ist wie beim Zucker: Theoretisch weiß jeder, dass zu viel Zucker ungesund ist. Dass Rauchen gefährlich sein kann, ist auch bekannt. Wieso brauchen wir also Hinweise auf Verpackungen, die vor Lungenkrebs warnen? Oder Bilder von verfaulenden Beinen? Das nützt dem Süchtigen doch nichts. Eine Studie hat gezeigt, was helfen würde: Man hat den Preis für Zucker erhöht und jenen für Gemüse reduziert. So hat sich das Kaufverhalten der Konsumenten geändert. Auch Verbote helfen nichts. Bei VW hatte man begonnen, die Server nach 19 Uhr abzuschalten, in der naiven Hoffnung, dass Führungskräfte dann nicht mehr so viel arbeiten würden. Ein Trugschluss. Jeder Junkie weiß, wie er zu seiner Spritze kommt. Und auch Mitarbeiter von VW haben einen Weg gefunden, um auf andere Weise zu ihren Daten zu kommen.
SN: Wie können wir uns selbst regulieren?
Irgendwann wird Software, die in unseren Endgeräten verbaut ist, in der Lage sein, zu erkennen, ob eine Information wertvoll oder eher nutzlos ist. Informationen, die nicht wichtig sind, werden dann einfach nicht zugestellt. Bei Kampfjetpiloten ist das heute schon der Fall, es sichert ihr Überleben. Die Piloten erhalten nur dann Informationen, wenn sie aufnahmefähig sind.
SN: Sollte man nicht bei den Kindern anfangen?
Ich fordere schon seit Jahren die Einführung eines Schulfachs, das Medienkompetenz zum Gegenstand hat. Kinder müssen lernen, was im Internet richtig und was falsch ist. Welche Informationen sind glaubwürdig, welche sind fake?
SN: Mittlerweile werden Kinder mit Informationen dauerbefeuert. Leidet darunter die Kreativität?
Sehr – wenn Informationen nur passiv konsumiert werden. Das schlechte Gewissen, weil viele Eltern wenig Zeit für ihre Kinder haben, führt nicht selten dazu, sofort Tablet oder TV einzuschalten, wenn dem Nachwuchs langweilig ist. Aber genau das ist der falsche Zeitpunkt. Nach zwei Stunden des Jammerns würden viele Kinder anfangen, sich ganz allein zu beschäftigen. Auf diese Weise entwickeln sie Kreativität.