Muss die Europäische Union zu einem Machtfaktor werden?
Das vereinte Europa droht zwischen bestehenden und aufstrebenden Weltmächten erdrückt zu werden.
Macht ist die Fähigkeit, einem anderen auch gegen dessen Willen ein bestimmtes Verhalten aufzuzwingen. Staaten können Macht vor allem gegen schwächere Staaten oder Gruppen von Staaten ausüben. Umgekehrt kann sich gegen fremden Zwang durchsetzen, wer ökonomisch, gesellschaftlich und auch militärisch einigermaßen stabil ist. Dabei reicht es freilich nicht, nur eine der drei Säulen der Macht aufund auszubauen. Ohne die beiden anderen Standbeine gerät der Versuch, Macht auszuüben oder sich gegen einen mächtigen Gegenspieler zu behaupten, in Schieflage. Militärische Hardpower is nicht effektiv ohne die Softpower von Wirtschaft, Handel und Diplomatie und umgekehrt. Und eine in sich instabile, weil autokratisch oder tyrannisch geführte Gesellschaft kann ökonomisch und militärisch noch so stark sein, sie wird immer bedenkliche Schwächen haben.
Russland ist zwar militärisch auf Expansionskurs und lässt sowohl in der Ukraine wie in Syrien die Muskeln spielen. Doch hat es Wladimir Putin nicht geschafft, dem Land innenpolitische Stabilität durch die Zustimmung der Regierten zu geben – dort herrscht eher Furcht vor dem Herrscher als Vertrauen in ihn. China drängt sich wirtschaftlich weltweit in den Vordergrund und besetzt in Fernost auch militärisch wichtige Positionen.
Die USA schließlich haben unter Donald Trump zu einer offenen Rücksichtslosigkeit gefunden, die das Land für Europa zu einem unsicheren Partner macht. Der Washingtoner Isolationismus könnte auch dazu führen, dass die USA Bündnisse zum Nachteil Europas schließen.
Nur zögerlich beginnt indes in Europa eine Debatte darüber, wie denn die Europäische Union Sicherheit und Stabilität für die Zukunft garantieren könnte. Je weniger man sich auf die alte Schutzmacht USA verlassen kann, desto deutlicher werden die Schwächen des vereinten Europas in der Welt.
In dieser Debatte tauchen nun Schlagwörter auf wie die Remilitarisierung des Kontinents. Nach dem Ende des Kalten Kriegs dachte man rundum, militärische Macht sei nicht mehr so bedeutsam. Die Wehrpflicht wurde weitum abgeschafft. Schweden hat angesichts russischer Drohungen diese Entwicklung umgekehrt, in Deutschland diskutiert man eine neue Dienstpflicht für alle als gesellschaftlichen Kitt (und wohl auch als Möglichkeit, die Reihen der Bundeswehr aufzufüllen).
In manchen Zirkeln schließt die Debatte auch die Frage einer nuklearen Bewaffnung Deutschlands oder auch einer EU-Armee ein, um weiterhin bei den Mächtigsten mitreden zu dürfen. Auch wenn einen der Gedanke an eine solche Entwicklung schockiert, dürfen wir uns der Diskussion darüber nicht verweigern. Sie ist notwendig, und sei es nur, um Alternativen dazu zu finden.