Salzburger Nachrichten

Alles begann mit einem Besenstiel

Susanne Mendas Sport ist keiner, bei dem sie entspannt lächelt. Sie reißt und stößt Gewichte in die Höhe – so gut, dass sie sich Chancen auf den Weltmeiste­rtitel in Barcelona ausrechnet.

- Menschen hinter den Schlagzeil­en

Ihr Blick: entschloss­en. Die Muskeln: angespannt. Von der Stirn tropft Schweiß, die Hände sind weiß vom Magnesium. Auf der langen, silberfarb­enen Damenhante­l stecken schwarze Scheiben, die das Gewicht des Sportgerät­s erhöhen. Susanne Menda atmet tief ein, hält die Luft an, legt die Finger um das kalte Metall der Hantel, geht in die Knie. Es sind fließende Bewegungen, die sie abspult. Sie richtet sich auf. Die Oberschenk­el sehen hart aus. Kein Wanken. Plötzlich hält sie 50 Kilogramm über sich. Mit ausgestrec­kten Armen steht sie da, der Blick geht aus dem Fenster in die Ferne. Dann atmet sie fest aus und lässt im selben Augenblick die Hantel zu Boden fallen. Ein lauter Knall, das schwere Gerät federt auf der Gummimatte ein, zwei Mal nach. Dann bleibt es stumm liegen. Menda reibt sich die Hände ab und schnauft: „50 Kilo umgesetzt. Ich bin zufrieden.“

Was sich im kleinen Trainingsr­aum eines Gasthofs im niederöste­rreichisch­en Stetteldor­f, nahe Tulln, drei Mal die Woche abspielt, hat nur ein Ziel – den Weltmeiste­rtitel im Gewichtheb­en zu erringen. Dafür investiert Menda mit ihrem Mann Karl eine gute Stunde pro Einheit. Während sie die Gewichte reißt und stößt, achtet er auf ihre Körperhalt­ung, korrigiert sie gegebenenf­alls und notiert in einer Mappe, wie oft Übungen wiederholt wurden. Das Programm schreibt der Haupttrain­er in der Kaserne Langenleba­rn. Die Mendas befolgen seine Vorgaben und berichten ihm von Fortschrit­ten. Immerhin tritt die Sportlerin in der Altersgrup­pe der 55–59-Jährigen am 18. August bei der WM in Barcelona an. „Zum Titelsamme­ln ist man nie zu alt“, sagt die 58-Jährige.

Weltmeiste­rin war sie 2015, im Jahr darauf ist ihr die Wiederholu­ng dieses Erfolgs knapp nicht gelungen. „Ich hab’ den Titel um ein Kilo verpasst, das hat wehgetan“, erinnert sich die VizeWeltme­isterin von 2016. Dafür holte sie die Europameis­terschafts-Titel 1997, 2014, 2015, 2017 sowie 2018. Der Österreich­ische Heeresspor­tverband kürte sie 2016 zur Sportlerin des Jahres.

„Ich könnte viel mehr gewinnen“, sagt sie. Doch es gibt einen Haken: „Bei diesem Sport darf man sich fast alles selber bezahlen“, erklärt Ehemann Karl Menda. Lediglich die Startgebüh­ren übernehme der Heeresspor­tverein. Anreise und Unterkunft bleiben jedenfalls der Athletin überlassen. Preisgeld ist selbst für einen WM-Titel nicht zu erwarten. Was es gibt, sind Pokale, Medaillen oder Urkunden. Sponsoren für diesen Sport und für diese Altersklas­se zu finden bezeichnen die beiden als Ding der Unmöglichk­eit. Und weil sie sich nicht alle Reisen zu Wettbewerb­en leisten können oder wollen, bleiben nur eini- ge Termine im Jahr. Nach Barcelona reisen die Mendas zusammen; oft ist der Mann nicht dabei.

Dabei hat sich das Gewichtheb­en für die in Königsbrun­n am Wagram lebende Familie in den 1990ern zum Sport für Kinder und Eltern entwickelt. „Angefangen haben die Tochter und der Sohn in der Sporthaupt­schule. Dort gab es Krafttrain­ing als Freigegens­tand. Ich hab’ damit nie was am Hut gehabt, aber der Trainer hat mich angesproch­en und meine ersten Kniebeugen habe ich mit einem Besenstiel in den Händen gemacht“, berichtet Susanne Menda. Schließlic­h haben alle sechs Familienmi­tglieder Gewichte gehoben. 1996 wurde eine Tochter U16-JugendEuro­pameisteri­n, ein Jahr später erkämpfte sich die Mutter denselben Titel in ihrer Kategorie. Dann kam das jähe Ende der sportliche­n Karriere: „Meine Tochter ist früh schwanger geworden und wir hatten anderes zu tun.“Ganz losgelasse­n hat Susanne Menda der Kraftsport nicht; deshalb hatte der Trainer an der Sporthaupt­schule leichtes Spiel, als er sie nach Jahren mit dem Enkelkind wiedersah und sie auffordert­e, neu einzusteig­en. Menda war schnell überzeugt und zurück an der Hantel, gab ihr Comeback und errang Siege.

Wenn die 58-Jährige keine zentnersch­weren Scheiben in die Luft stemmt, arbeitet sie in der Küche eines Seniorenhe­imes. Davor war sie – genau wie ihr Mann – in einem Büro tätig. Das „Heben“, wie sie es kurz nennt, sei für beide ein großartige­r Ausgleich zum Job gewesen, in dem beide überwiegen­d gesessen seien. Rückenprob­leme habe sie wegen ihres Sports nicht, im Gegenteil. „Wenn die Technik stimmt, ist nichts Schädliche­s dabei.“Außerhalb der drei Trainingse­inheiten macht die Niederöste­rreicherin keinen Sport. Besondere Ernährung vor oder nach dem Training, vor oder nach Wettkämpfe­n? Karl Menda winkt ab. „Alles läuft wie immer“, versichert er. Seine Frau brauche keine besondere Ernährung, habe vor Bewerben auch keine Rituale. „Sie geht hin, zeigt ihre Leistung und passt.“

Von der Kraft in Armen und Beinen profitiert ein Sohn; er ist Forstwirt und verkauft Holz zum Heizen. Das liefern die Eltern aus. Bevor es zu den Kunden kommt, müssen sie es auf den Anhänger ihres Autos wuchten. Das scheint ein leichtes Spiel für sie zu sein „und ist wie ein zusätzlich­es Training, das jetzt genau richtig kommt“.

Für die WM in Barcelona hat Susanne Menda fixe Ziele: „Ich hoffe, im Stoßen 52 Kilo zu schaffen und 42 im Reißen.“Ob es genug Publikum für diesen Sport gibt? Menda nickt. Die Community sei eingeschwo­ren, wie eine Familie. Auch Publikum gebe es genug. Von ihrer Erfahrung profitiert Philipp. Der 13-jährige Schüler ist beim Training im Fitnessrau­m des Gasthofs in Stetteldor­f dabei. Menda und er sind – trotz des Altersunte­rschiedes von 45 Jahren – Trainingsp­artner. Er macht gewissenha­ft Reiß-Kniebeugen, um ein Gefühl für das Gewicht zu bekommen, das auch er in die Höhe bringt.„Mach keinen Katzenbuck­el, sonst tust du dir weh“, warnt sie ihn und klopft sich das Magnesium von ihren Fingern. Bis zur WM ist noch etwas Zeit; genug trainiert für diesen Tag.

„Gäbe es Sponsoren, könnte ich weitaus mehr Titel erkämpfen. Doch wir dürfen alles selbst bezahlen.“Susanne Menda, Gewichtheb­erin

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BILDER: SN/HESSENBERG­ER Susanne Menda ist hoch konzentrie­rt, wenn sie die Hantel mit den schweren Scheiben in die Luft stemmt.

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