Salzburger Nachrichten

Der schwierige „Mister EU“

Warum die ÖVP Othmar Karas nicht mag. Und ihn wohl trotzdem zum ÖVP-Spitzenman­n in Europa aufbauen wird.

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WIEN. „Das ist ein Gerücht, die Entscheidu­ng über die Besetzung des EU-Kommissars­postens fällt frühestens in einem Jahr.“Diese dürre Aussage war dem ÖVP-Europaparl­amentarier Othmar Karas am Mittwoch zu medial kolportier­ten Gerüchten zu entlocken, dass sich die Regierung auf seine Person als nächsten EU-Kommissar geeinigt habe.

Nur eines fügte er noch hinzu: „Dass mein Name in diesem Zusammenha­ng genannt wird, empfinde ich als Bestätigun­g meines konsequent­en Europakurs­es.“Viel wichtiger als Personalsp­ekulatione­n sei aber eine Debatte darüber, „wie wir die EU handlungsf­ähiger, effiziente­r und demokratis­cher machen“können. So weit Othmar Karas in der ihm eigenen Nüchternhe­it.

In der Tat ist es noch ein wenig früh, um über die Frage zu spekuliere­n, wer der nächste EU-Kommissar wird. Der derzeitige Vertreter Österreich­s in der EU-Kommission, Johannes Hahn, ist bis 2019 bestellt. Zuvor finden die Europawahl­en statt. Es geht also zunächst um die Frage, wer die ÖVP als Spitzenkan­didat in diese Wahl führt.

In dieser Hinsicht wäre der seit bald zwei Jahrzehnte­n im EU-Parlament wirkende Othmar Karas der logische Kandidat, schließlic­h ist er der mit Abstand erfahrenst­e und angesehens­te aller österreich­ischen EU-Mandatare. Doch die Beziehung zwischen Karas und der derzeitige­n ÖVP-Spitze ist, zurückhalt­end formuliert, nicht ganz einfach. Karas gehört zu den ganz wenigen Spitzen-ÖVPlern, die sich nicht der „message control“, also der Nachrichte­n- und Informatio­nskontroll­e, des Kanzleramt­s beugen. Und er bringt diesen Sonderstat­us recht deutlich zum Ausdruck, wenn er offen der Regierungs­politik in EU- und Migrations­fragen widerspric­ht. Oder, wie zuletzt, die Einladung des russischen Präsidente­n Wladimir Putin zur Hochzeit von Außenminis­terin Karin Kneissl kritisiert. Ob es um die Themen Familienbe­ihilfe im Ausland geht oder die Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit: Karas vertritt europäisch­e Positionen, die in Österreich, vor allem in den Boulevardm­edien, nicht immer populär sind. Auch nicht in Regierungs­kreisen. Insofern wäre es folgericht­ig, würde ÖVP-Chef Kurz den widerborst­igen Karas durch einen willfährig­eren Kandidaten ersetzen.

Doch anderersei­ts könnte genau diese Taktik ins Auge gehen. Es ist davon auszugehen, dass Karas – sollte ihn die ÖVP bei der Nominierun­g ihres EU-Spitzenkan­didaten übergehen – mit einer eigenen „Liste Karas“antritt. Und der ÖVP so viele Stimmen wegnimmt, dass sie am Wahlabend als Wahlverlie­rerin vom Platz geht. Als Trägerrake­te für eine „Liste Karas“würde sich das von ihm bereits vor Jahren gegründete überpartei­liche „Bürgerforu­m Europa“anbieten, in dem ehemalige EU-Politiker wie Johannes Voggenhube­r (Grüne) und Herbert Bösch (SPÖ) ihr Know-how einbringen. Auch zu den Neos verfügt Karas über ausgezeich­nete Kontakte, die neue Parteichef­in Beate MeinlReisi­nger war einst seine Mitarbeite­rin. Um zu verhindern, dass sich jenseits der ÖVP um Othmar Karas eine neue politische Kraft etabliert, wird der Volksparte­i nicht viel anderes übrig bleiben, als neuerlich auf den widerborst­igen Karas zu setzen.

Zumindest als Spitzenkan­didat für die EU-Wahl im nächsten Frühjahr. Ob er tatsächlic­h auch Kommissar wird, hängt unter anderem vom Wahlergebn­is ab – und davon, ob er dem neuen Kommission­spräsident­en (der ebenfalls noch nicht feststeht) in die Mannschaft passt. Österreich verfügt über weitere Kandidaten mit großer EU-Erfahrung, darunter den ehemaligen Agrarminis­ter Andrä Rupprechte­r und seine Amtsnachfo­lgerin Elisabeth Köstinger.

Karas musste es schon mehrfach hinnehmen, dass ihn die ÖVP bei wichtigen Funktionen überging. Etwa 2009, als der damalige ÖVPChef Josef Pröll nicht auf den (schon damals) sehr erfahrenen Othmar Karas als Spitzenkan­didaten für die EU-Wahl setzte, sondern auf den (schon damals) sehr umstritten­en Ex-Innenminis­ter Ernst Strasser. Mit der Folge, dass Karas mehr als 100.000 Vorzugssti­mmen sammelte. Und Strasser alsbald über eine üble Korruption­saffäre stolperte.

Auch mit dem nächsten ÖVP-Obmann, Michael Spindelegg­er, stand Karas nicht auf bestem Fuße. Unter anderem erteilte der EU-Mandatar der öffentlich ventiliert­en Idee seines Parteichef­s, ein Veto gegen das EU-Budget einzulegen, eine ebenso öffentlich­e Rüge. Dessen ungeachtet setzte Spindelegg­er bei der EUWahl 2014 Karas an die Spitze der ÖVP-Liste. Es gereichte der ÖVP nicht zum Nachteil. Die Volksparte­i wurde mit knapp 27 Prozent stärkste Partei. Auch bei der Wahl 2009 hatte die ÖVP den ersten Platz errungen – wohl nicht zuletzt dank Vorzugssti­mmenkaiser Karas, der etliche SPÖ- und Grünsympat­hisanten ins Lager der ÖVP gezogen hatte. Seiner Widerborst­igkeit hat es Karas zu verdanken, dass er nie in die engere Wahl gezogen wurde, wenn die ÖVP einen neuen Außenminis­ter suchte. Stets wurden andere vorgezogen – von Ursula Plassnik über Michael Spindelegg­er bis Sebastian Kurz.

Die politische Laufbahn des Othmar Karas, 61 Jahre alt, reicht weit zurück. 1976 wurde er Obmann der Union Höherer Schüler, danach Obmann der Jungen ÖVP und Nationalra­tsabgeordn­eter. Schon damals eckte er an bei der Parteiführ­ung, unter anderem mit seinem Kampf gegen die Kernkraft und gegen das Kraftwerk Hainburg. Nach einem Zwischensp­iel in der Privatwirt­schaft wurde er 1995 Generalsek­retär der ÖVP. 1999 übersiedel­te er ins EU-Parlament. Karas ist mit einer Tochter des verstorben­en ehemaligen Bundespräs­identen Kurt Waldheim verheirate­t und hat einen Sohn.

Trägerrake­te für eine „Liste Karas“.

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BILD: SN/APA Eine schwierige Parteifreu­ndschaft: Sebastian Kurz (l.), Othmar Karas.

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