Salzburger Nachrichten

Reinhardt wird unterschät­zt

Ein Schleier der Berühmthei­t verdeckt viele innovative und heute noch relevante Leistungen des Gründers der Salzburger Festspiele.

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Neue Blicke auf Max Reinhardt tun not. Seine Innovation­en für das Theater sind derart vorbildlic­h, dass sie eine neue Auseinande­rsetzung wert wären. Vor allem: „Was war er für ein Mensch? Welche Zweifel, welche Ängste hatte er?“Und was habe er in den frühen Jahren seiner Karriere 1918 bis 1924 alles konzipiert und angefangen – seine Berliner Bühnen, Kauf von Schloss Leopoldskr­on, Gründung der Salzburger Festspiele, Übernahme des Josefstädt­er Theaters in Wien bis hin zur ersten Inszenieru­ng in den USA. Solche Fragen regte Edda Fuhrich, die Doyenne der Max-Reinhardt-Forschung, am Mittwoch in Salzburg an. Der Theaterwis­senschafte­r Peter Marx aus Köln ergänzte: Das heutige Image Max Reinhardts sei nur ein Schleier, der über ein riesiges, hocheffizi­entes System gebreitet sei. Derzeit werde nur „ein schmaler Bruchteil“seines Schaffens wahrgenomm­en, sagte Peter Marx. Kaum beachtet werde etwa, wie sehr es Reinhardt gelungen sei, die liberale Utopie für ein Theater als unideologi­scher Freiraum abseits des Staates umzusetzen. Dem NS-Regime sei es später gelungen, solche „Möglichkei­t von Privatthea­ter im Kern zu zerstören“.

Spiel und Sinnlichke­it seien die Kernelemen­te von Max Reinhardts Theaterarb­eit, sagte Peter Marx. Er sei kein Dogmatiker gewesen, habe keine Manifeste geschriebe­n. Er habe bloß Geschichte­n erzählt – „so sinnlich und packend, wie es geht.“

Die heutige Brisanz von Max Reinhardts Schaffen wurde am Mittwoch in einem Symposium in Schloss Leopoldskr­on deutlich, mit dem die Salzburger Festspiele und das Salzburg Global Seminar eine vorerst dreijährig­e Zusammenar­beit beginnen. Deren Auftakt falle in das Jubiläumsj­ahr 100 Jahre nach Max Reinhardts Kauf von Leopoldskr­on, sagte Clare Shine vom Salzburg Global Seminar. Diese Kooperatio­n sei bis zum 100-Jahr-Jubiläum der Salzburger Festspiele angelegt, ergänzte deren Präsidenti­n Helga Rabl-Stadler.

Max Reinhardt sei ein Vertreter der Avantgarde, der das europäisch­e Theater so verändert habe, dass dies heute noch wirksam sei, erläuterte die Theaterwis­senschafte­rin Erika Fischer-Lichte aus Berlin. Reinhardt habe gesellscha­ftliche Veränderun­gen aufgegriff­en – wie die damals neue Körperkult-Bewegung, die neuen Lebensbedi­ngungen in der Großstadt oder das sich neu formende Verhältnis von Individuum und Gesellscha­ft. Die aus diesen Trends entstanden­e Kulturkris­e habe Max Reinhardt spielerisc­h zu bewältigen versucht, er habe neue Methoden der körperlich­en Wahrnehmun­gen und der Gemeinscha­ftsbildung entwickelt. Aber anders als die damals entstehend­en politische­n Bewegungen, die in totalitäre­n Systemen wie Kommunismu­s und Nationalso­zialismus münden sollten, habe Reinhardt die Zuschauer weder moralisch erziehen noch sie im Publikum als passive Objekte behandeln wollen.

Marielle Silhouette von der Universitä­t Paris-Nanterre hob hervor: Im Reinhardt’schen Theater seien Zuschauer gleich wichtig gewesen wie Schauspiel­er. Anders gesagt: Diese Art von Schauspiel entsteht nicht für, sondern nur mit Zuschauern. Marielle Silhouette stellte in Salzburg auch ein neues Projekt vor: Ein digitaler Atlas des Lebens, Schaffens und Wirkens von Max Reinhardt wird aufgebaut. Dafür würden nun – nach dem Institut für Theaterwis­senschaft der Universitä­t Wien – weiter Partner und Geldgeber gesucht, um ausgehend von den Salzburger Festspiele­n digitale Dokumente über das Werk und Wirken Max Reinhardts interaktiv aufzuberei­ten.

Dass Max Reinhardt vor 100 Jahren für den Kauf von Leopoldskr­on als Neureicher bezichtigt worden sei, der in der Welt von Not und Hunger protze, sei absurd, sagte André Heller, Multimedia­künstler und derzeit vor allem Gartenersc­haffer, zum Abschluss des Symposiums. Auch in Zeiten großer Bitternis könne die Schönheit gewaltigen Halt geben. Max Reinhardt habe zutiefst verstanden, über welch „mächtiges Arsenal“er mit Theater, Musik, Malerei, Tanz und Literatur verfügt habe, um die Welt mit Zwischentö­nen zu versorgen und gegen Verhärtung vorzubeuge­n. Max Reinhardt sei kein apolitisch­er Künstler gewesen, doch weder links noch rechts einzuordne­n, sagte André Heller. „Er war ein Verfeinere­r in hohen Graden“, und er habe gut verstanden, die Leute zum Lachen zu bringen.

„Max Reinhardt war ein Verfeinere­r in hohen Graden.“André Heller, Künstler

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BILD: SN/SCHLOSS LEOPOLDSKR­ON Max Reinhardt in Salzburg.
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