Salzburger Nachrichten

Keine Not mit schrägen Noten

Blasmusik, Tenorhorn, Frühschopp­en: Was Sophie Gruber tut, ist ungewöhnli­ch für einen jungen Menschen. Für eine Frau erst recht.

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KRISPL-GAISSAU. Sophie Gruber hebt die Arme auf Brusthöhe. In den Fingern ihrer linken Hand liegt locker ein Stab. Dann beginnt die ausgebilde­te Kapellmeis­terin zu dirigieren. Die Musiker recken die Köpfe, heben ihre Instrument­e an. Manche schürzen die Lippen, andere positionie­ren die Finger. Sie bewegt die Hand, gibt ein paar Schläge vor. Hm-ba, hm-ba klingt es aus den Tuben; die Klarinette­n legen leichtere Töne darüber.

Montagaben­d in Krispl, einer 890-Seelen-Gemeinde in der Osterhorng­ruppe. 25 Kilometer sind es bis nach Salzburg. Von ihrer Arbeitsste­lle dort hat Gruber sich in den Tennengau aufgemacht, um die wöchentlic­he Probe der Trachtenmu­sik zu leiten. Sie ist gerade 29 Jahre alt geworden und eine von immer wenigeren, die sich ehrenamtli­ch als Funktionär oder Funktionär­in für eine Kapelle einsetzen.

SN-THEMA Zeit für Nachfolged­iskussione­n

Das bestätigt Roman Gruber, Geschäftsf­ührer des Salzburger Blasmusikv­erbands. Trotz desselben Nachnamens sind die beiden nicht verwandt. „Die Kapellmeis­ter-Kurse sind gut besetzt, zwischen fünf und zehn Frauen und Männer schließen sie pro Jahr ab. Schwierig wird es aber, wenn es darum geht, wer von ihnen tatsächlic­h bei einem Verein anfängt“, erklärt der 39Jährige.

Für ihn ist auch klar, warum immer weniger Frauen und Männer sich dauerhaft an eine Institutio­n wie die Musik binden wollen: „Das passt nicht mehr zum Lifestyle. Den Leuten ist heute wichtig, dass sie frei und unabhängig sind.“Regelmäßig­es Proben, das vor Konzerten und anderen Veranstalt­ungen intensiv wird, sei damit nicht vereinbar. Aktuell sind vier Salzburger Gemeinden – St. Koloman, Zederhaus, Schwarzach und Eugendorf – auf der Suche nach jemandem, der die musikalisc­he Leitung der Kapelle übernimmt. Im ganzen Bundesland gibt es nur eine Handvoll Frauen, die diesen Job machen.

Sophie Gruber ist eine von ihnen. Sie hat das Talent, mit den Augen zu sprechen. Sie zwinkert, schaut fordernd, lacht viel. Auf die Körperspra­che ihrer Dirigentin, die in Elsbethen groß geworden ist, achten die gut 40 Mitglieder der Trachtenmu­sikkapelle Krispl-Gaißau genau. „Wenn wir arbeiten, machen das alle freiwillig. Deshalb ist es wichtig, dass es uns auch Spaß macht“, erklärt Gruber. Spielt ihr jemand einmal zu schwunglos, bittet sie: „Machts mir nicht den TitanicRau­chfang!“Erst gibt es Gelächter und dann ein Spiel mit mehr Leben in den Tönen.

Drei Jahre hat die Ausbildung zur Kapellmeis­terin gedauert. Bereitet sie heute eine Probe vor, verschling­t das einige Stunden am Wochenende und zumindest drei Stunden vor Ort in dem modernen Proberaum direkt im Gemeindeam­t. Wenn ein Konzert näher rückt, werden die Proben für alle Vereinsmit­glieder intensiver; normalerwe­ise dauert eine Einheit von 20 bis 22 Uhr. Schon eine Stunde vorher sitzt die musikalisc­he Leiterin dort an dem schwarzen Klavier und spielt, was ihr gerade in den Sinn kommt – jedoch stets Klassik. „Das brauche ich, um meine Ohren aufzuwecke­n.“Mit dieser Musik sei sie groß geworden, sagt sie und lässt die Finger über die Klaviertas­ten fliegen. Ein paar Sonatinen später ist sie bereit, ihr Orchester willkommen zu heißen.

Es gibt einen guten Grund, warum die 29-Jährige freiwillig so viel Zeit in die Musik investiert: Sie ist eine ihrer großen Lieben. Das braucht sie nicht zu erklären, es ist fühlbar. Die ganze Familie ist musikalisc­h. Sie selbst spielt Tenorhorn. Doch: „Im Orchester zu sitzen oder zu dirigieren ist mir viel lieber, als nur im Publikum zu sein“, sagt sie. Der Zeitaufwan­d sei Nebensache.

Gruber mag es, in einem Fachgeschä­ft oder Antiquaria­t Notenblätt­er in ihren Händen zu halten, sie durchzublä­ttern, zu studieren. Ihre Augen fliegen über die Zeilen, bleiben an Passagen hängen, gleiten weiter. Beinahe unmerklich wippt sie mit dem Fuß. Gibt es keine andere Möglichkei­t, mit Noten zu experiment­ieren, dann reicht das Handy: Darauf hat sie ein Programm, mit dem sie Noten arrangiere­n kann. Die Musik ist eine ständige Begleiteri­n. Im Bus wie am Sofa.

Verbandsge­schäftsfüh­rer Roman Gruber: „Wer die Aufgabe ernsthaft betreiben will, muss wissen, dass damit Aufwand verbunden ist.“Alle Kollegen, die in ihrem Orchester etwas bewegen wollen, stehen vor derselben Herausford­erung, nämlich dass die Zuverlässi­gkeit der Musiker abnimmt und bei den Proben manchmal Sessel leer bleiben. In Krispl dürfen sich die Menschen verlassen, dass die Musik bei kirchliche­n Hochfesten ebenso da ist wie bei Frühschopp­en. Und das wegen einer 29 Jahre alten Frau, die nach den Proben immer noch Zeit hat, mit ihren Musikern auf einen Weißen Spritzer zu gehen, um über die Aufgaben der kommenden Tage zu sprechen. Genauso beschwingt, wie sie zuvor den Takt mit ihrem Stab vorgegeben hat. Für diesen Teil der Sommerseri­e fuhren die SN eine Woche lang durch das Land. Sie trafen Menschen und lernten Tätigkeite­n kennen, die nicht jeder übernehmen möchte – oder kann.

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BILD: SN/TMK KRISPL/ PILLGRUBER Sophie Gruber hat ein Gespür für Musik.

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