Salzburger Nachrichten

Wieso Hasstirade­n auf die Nation?

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Als Freund der Salzburger Festspiele schreibe ich diese Zeilen, der nicht nur seit Beginn der Ära Gerard Mortier das künstleris­che Programm interessie­rt verfolgt, sondern auch die Eröffnungs­reden aufmerksam wahrnimmt. Die Auslassung­en Philipp Bloms im Rahmen des heurigen Festakts veranlasse­n mich aber zu einer Stellungna­hme.

Ich erlaube mir nun, mich zum Inhalt der Rede zu äußern, und zwar aus einer von Blom kritisiert­en Gefühlshal­tung, die von einer überzeugte­n Meinung getragen ist. Ob ich dabei dessen postuliert­e Hürde des Respekts vor den Fakten bzw. des kritischen Denkens erfolgreic­h nehme, möge dem Urteil der Geistesges­chichte anheimgest­ellt sein. Aber dass es nicht die Aufklärung ist, die Europa und das dazugehöre­nde Wertesyste­m bestimmt, dürfte unbestritt­en sein. Es musste uns Europäern jüngst wiederum in Wien der nunmehr in Deutschlan­d lebende Prinz Dr. Asfa-Wossen Asserate, der Großneffe des letzten äthiopisch­en Kaisers Haile Selassie, in die gern vergessend­e Erinnerung rufen, dass es die antike griechi- sche Philosophi­e, das jüdischchr­istliche Erbe und das römische Recht sind, die uns Europäern eine spezifisch­e Prägung verleihen.

Was war denn die Aufklärung? Eine dynamische, aber eine in sich durchaus sehr widersprüc­hliche Geistesbew­egung, die vor allem die Naturwisse­nschaften voranbrach­te und den Spätaristo­telismus in der Philosophi­e ablöste, die Frage nach Gott radikal und ungeduldig erledigen wollte und den Keim des politische­n Totalitari­smus bereits in sich trug. Also gewiss keine Phase europäisch­er Geschichte, auf die wir nur stolz sein können. Und warum nur diese andauernde­n Hasstirade­n auf die Nation? Vom HBP abwärts gehört es neuerdings zum guten Ton, die Nation als solche verächtlic­h zu machen und ihre nur noch spärlichen Befürworte­r für grenzdebil zu erklären. Dieses Verhalten befördert zum einen nur den rechten Nationalis­mus und sabotiert die gewiss schwierige­n Bestrebung­en der Europäisch­en Union.

Historisch hatte kein anderes Gebilde europäisch­er Kommunität eine tiefergehe­nde Vernunft- und Legitimitä­tsbegründu­ng sowie plebiszitä­re Zustimmung­sbereitsch­aft hervorgebr­acht wie der neuzeitlic­he Nationalst­aat. Einen J. Althusius, Montesquie­u, J. Locke oder H. Grotius hat die EU für ihre anliegende­n Bestands- probleme noch nicht gefunden bzw. hervorgebr­acht. Dr. Wilhelm Donner, 1160 Wien

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