Salzburger Nachrichten

Rendezvous mit einer verruchten Fee

Viele Künstler waren dem Absinth verfallen. Jazzstar Erik Friedlande­r kommt der „fée verte“in Saalfelden musikalisc­h nah.

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SAALFELDEN. Der euphorisch­e Rausch und das abgründige Schaudern sind enge Verwandte. Bei Oscar Wilde lässt sich das nachlesen. Ihm wird ein Zitat über die Wirkung des Absinths zugeschrie­ben: Nach dem ersten Glas sehe man die Dinge so, wie man sie gern sehen wolle. Am Schluss jedoch sehe man sie so, wie sie wirklich seien: „Und das ist die schrecklic­hste Sache der Welt.“

Der hochprozen­tige Trank, der wegen seiner Farbe und seiner vermeintli­ch halluzinat­orischen Nebeneffek­te auch „la fée verte“hieß, hielt im 19. und frühen 20. Jahrhunder­t vor allem Literaten und Maler in seinem Bann. „Ich finde es fasziniere­nd, dass alle diese großen Künstler wie Rimbaud, ToulouseLa­utrec oder van Gogh so stark an die grüne Fee glaubten und bei ihr Inspiratio­n suchten“, sagt Erik Friedlande­r. Zwar ist er weder Literat noch Maler, sondern ein wichtiger Vertreter der New Yorker Musikszene: Aber der Absinth hat auch ihn in den Bann gezogen.

Die Inspiratio­n zu seinem jüngsten Bandprojek­t habe ihm Picasso beschert, erzählt Friedlande­r: „Ich besuchte eine Skulpturen­schau. Sie war voller großartige­r Exponate. Aber wirklich hängen blieb ich bei Picassos kleinen Absinth-Gläsern, deren Vorderseit­e aufgerisse­n war, sodass man ins Innere sehen konnte. Das hatte etwas Schönes und zugleich Gewaltsame­s.“

„Throw A Glass“hat der Cellist nun auch sein Quartett genannt, in dem er mit prominente­n Kollegen (Pianist Uri Caine, Schlagzeug­er Ches Smith und Bassist Mark Helias) dem zwiespälti­gen Mythos des Absinths zwischen Offenbarun­g und Obsession nachspürt. Mit den Stücken ihres Konzeptalb­ums „Artemisia“dürfte die Band – entgegen den Prophezeiu­ngen Oscar Wildes – in Saalfelden aber auch zum Schluss des Jazzfestiv­als auf der Hauptbühne (Sonntag, 20.30 Uhr) noch einmal Euphorie bescheren. Zwei Leitgedank­en setze das Quartett musikalisc­h um, erläutert Friedlande­r: „Zum einen ist es die Jagd nach dem Hochgefühl, zum anderen sind es Meditation­en über die Besessenhe­it, die auch ein Aspekt des Absinthtri­nkens war.“

Lange Zeit verboten, zählt Absinth seit dem Ende des 20. Jahrhunder­ts wieder zum legalen Angebot vieler Bars. Ob die Band, ihrem Namen entspreche­nd, also bei den Aufnahmen die Gläser klirren ließ? „Nein“, sagt der zwischen Jazz, Avantgarde und Filmmusik zielstrebi­g arbeitende Musiker. Auch in New York freilich fänden sich Bars, „wo sie ihn mit Absinthlöf­fel, Zucker und Wasser servieren, also dem ganzen Absinthrit­ual – das hat schon etwas Fasziniere­ndes“.

Welche chemische Reaktionen zwischen Musikern passieren müssen, damit das Ergebnis klanglich berauschen kann? „Ich suche nicht nach Perfektion, sondern nach intensiven Momenten, in denen die Band über das hinauswäch­st, was in den Kompositio­nen steht. Das können Momente der Harmonie oder des Kontrapunk­ts sein, oder Augenblick­e der Intuition, in denen etwas passiert, was nie zuvor passiert ist.“

Um dafür ideale Voraussetz­ungen zu schaffen, lasse er „auch viele musikalisc­he Entscheidu­ngen für die Band offen. Die Musik ist zur Hälfte notiert, zur Hälfte Improvisat­ion.“Nicht immer also müsse Jazz das tonangeben­de Idiom sein: „Der Jazz hat mir eine Sprache gegeben, um Harmonie zu verstehen, das heißt aber nicht, dass ich diese Sprache immer benutze. Manchmal geht es auch um Texturen und Klangatmos­phären“, sagt der Cellist, zu dessen jüngsten Projekten auch der Soundtrack zum Kinothrill­er „Vollblüter“zählt. „Das machte Spaß, weil ich viele Freiheiten hatte, um zu experiment­ieren.“

Auch ein Experiment mit gutem Ausgang sei eine Crowdfundi­ngAktion gewesen, die er für sein „Artemisia“-Projekt gestartet habe. Mit dem Geld, das Fans investiert­en, hat er eine Sonderedit­ion mit drei Vinylplatt­en produziert, für die Friedlande­rs Frau, die Künstlerin Akino Kondoh, Zeichnunge­n schuf: Jedes der Alben habe nun „seine eigene Fee“erhalten, erzählt Friedlande­r. Und die Wahl der Farbe für die Vinylschei­ben habe sich von selbst ergeben:„ Sie sind absinthgrü­n.“

„Wir suchen nach großen Momenten.“Erik Friedlande­r, Musiker

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