Mehr als Bier und Scheinwerfer
Zwei unterschiedliche Traditionsunternehmen prägen Wieselburg im Mostviertel – eine Brauerei und ein auf Vorderlichter spezialisierter Autozulieferer. Was die beiden verbindet, was sie trennt und wer der Stadt den Stempel aufdrückt.
WIESELBURG. 4143 Einwohner hat die Stadtgemeinde Wieselburg im Bezirk Scheibbs in Niederösterreich. Was sie mit den – von der Einwohnerzahl vergleichbaren – Orten Lenzing, Güssing oder Göss verbindet, ist die Tatsache, dass der Name für ein Produkt steht, das landesweit bekannt ist. „Wieselburg? Dazu fällt mir nur das Bier ein“, lautet eine typische Reaktion auch von Nicht-Biertrinkern.
Dem Besucher springt die heute am Ortsrand gelegene Brauerei nicht gleich ins Auge, die Hauptstraße führt in einiger Entfernung daran vorbei. Die Eisenbahn fährt direkt an der neuen, erweiterten Brauerei vorbei.
Ihre Präsenz macht sich aber indirekt deutlich bemerkbar. Kaum ein Lokal, das hier nicht das heimische Gebräu bewirbt und anbietet, das Brauhaus Wieselburg sogar „braufrisch vom Frischetank“– also direkt aus der Brauerei, das gibt es nur hier.
Ihre Geschichte reicht zurück bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts. Der Aufstieg über die lokale Bedeutung hinaus begann im Jahr 1770, als Josef Schauer die kleine Braustätte kaufte und in der Folge zu einer „richtigen Brauerei erweiterte“, wie es auf der Homepage heißt. Nach Zukäufen von Braubetrieben etwa in Krems und Melk war Wieselburg 1925 einer der fünf Gründungsbetriebe der Brau Union, des größten Brauereiverbunds des Landes, dem auch das Hofbräu Kaltenhausen angehört.
Heute produziert die Brauerei Wieselburg jährlich rund eine Million Hektoliter Bier, das sind 17 bis 20 Prozent der gesamten Brau Union, sagt Braumeister Christian Huber. Dass man dafür lediglich 256 Mitarbeiter beschäftigt, belege den hohen Automatisierungsgrad in der traditionsreichen Brauerei, die sich damit auch im 21. Jahrhundert erfolgreich behaupten kann.
Seit der Übernahme durch den niederländischen Heineken-Konzern 2003 begann man in Wieselburg auch internationale Biere herzustellen. Sie machen heute 15 bis 20 Prozent der Gesamtproduktion aus, sagt Braumeister Christian Huber. Darunter befinden sich auch in Lizenz erzeugte Sorten wie Tiger Beer (Singapur), Sol oder Desperados aus Mexiko, „die machen wir nur für den Export“, sagt Huber. Hauptprodukte aus Wieselburg sind – in dieser Reihenfolge – Kaiser, Wieselburger und Heineken.
Eine Art Gegenmodell zur altehrwürdigen Brauerei, die dank moderner Technik, gut ausgebildeter Mitarbeiter und großer Kapazitäten den Sprung ins digitale Zeitalter geschafft hat, ist die ZKW-Gruppe oder „der Zizala“, wie man ihn hier auch nennt. Anders als die Brauerei sind die zahlreichen Gebäude des Autozulieferers auch von der Straße aus gut sichtbar. Kein Wunder, nimmt das 151.700 Quadratmeter große Stammwerk doch knapp drei Prozent der Stadtfläche ein und ist mit Abstand der größte Arbeitgeber. Insgesamt 3200 Personen sind hier beschäftigt – das entspricht drei Vierteln der Gesamtbevölkerung Wieselburgs.
Auch ZKW ist stolz auf seine Tradition, die freilich vergleichsweise kurz zurückreicht. 1938, also vor 80 Jahren, gründete Karl Zizala in Wien – diese drei Buchstaben bilden den Firmennamen – ein Unternehmen, das zunächst Metallkomponenten für Motorräder und Lkw herstellte, darunter Stoßdämpfer, Rückspiegel und Gepäckträger. 1954 übersiedelte man nach Wieselburg. Zugleich begann die Spezialisierung auf Elektronik und innovative Lichtsysteme. Seit 1989 baut ZKW Pkw-Hauptscheinwerfer in Serie.
ZKW mag im Inland weniger bekannt sein, in Autozulieferer-Kreisen dagegen sind die drei Buchstaben längst ein klingender Name. Heute ist das Unternehmen ein weltweit führender Hersteller für Fahrzeug-Vorderscheinwerfer. Vor allem im höherwertigen Premium- Segment ist man stark vertreten. Zu den zahlreichen Kunden gehören klingende Namen wie Rolls-Royce, Porsche, Jaguar Land Rover, Audi, VW, Volvo, Buick oder KTM.
Ende April machte das Unternehmen Schlagzeilen anlässlich der Übernahme durch den südkoreanischen Elektronikriesen LG zum Kaufpreis von 1,1 Mrd. Euro. Verkäufer war die Familie des deutschen Industriellen Ulrich Mommert, die ZKW 1982 übernommen hatte.
Wenn die Brauerei Wieselburg auf eine längere Geschichte verweisen kann, dann leuchten die Scheinwerfer von ZKW aber zweifellos weiter in die Zukunft. Am Stammsitz Wieselburg beschäftigt man sich bereits intensiv mit den Megatrends der Zukunft. Denn „die Bedeutung von Licht am Fahrzeug wird sich ändern“, sagt ZKW-Chef Oliver Schubert.
Scheinwerfer werden nicht nur immer leistungsstärker und zugleich kleiner und leichter, sondern „sie werden zunehmend Signale aussenden und mit anderen Fahrzeugen kommunizieren“, sagt Schubert. Kameras und Sensoren sind Schlüsseltechnologien für selbstfahrende Autos, wie sie schon in wenigen Jahren auf den Straßen anzutreffen sein werden.
Welcher der beiden Leitbetriebe drückt der Stadt nun stärker seinen Stempel auf, wer hat die größere Bedeutung? Bürgermeister Günther Leichtfried antwortet diplomatisch, wenn er von den zwei „wesentli- chen Eckpfeilern“oder „Leuchttürmen“der Wieselburger Wirtschaft spricht. „Beide verschaffen uns ein Alleinstellungsmerkmal und geben uns eine besondere Identität.“Freilich: Regional besser in den Köpfen der Menschen verankert sei die Brauerei, als Arbeitgeber wichtiger aber die ZKW. Vor allem der Autozulieferer ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass es in Wieselburg mehr Arbeitsplätze als Einwohner gibt, darunter auch viele in Kleinund Mittelbetrieben.
Dass die Stadt mittlerweile unbestrittenes wirtschaftliches Zentrum zwischen Amstetten und St. Pölten ist, liegt freilich noch an anderen Faktoren. Auch die Funktion Wieselburgs als „Tor zur Eisenstraße“spielt eine Rolle, hier haben sich schon früh wichtige Versorgungsund eisenverarbeitende Betriebe angesiedelt. Dazu kommt die Rolle als wichtige Einkaufs- und Messestadt, die mit Dutzenden Veranstaltungen jährlich rund 300.000 Besucher anlockt.
Rivalität zwischen den beiden Leuchttürmen Wieselburgs gebe es nicht, versichern übereinstimmend der Bürgermeister, die Unternehmen selbst und auch die Einwohner. „Wir mögen und wir brauchen sie beide“, sagt ein Wieselburger. Dass er recht hat, belegt die äußerst geringe Fluktuation in beiden Betrieben, die Mitarbeiter sind treu. Beiden Betrieben ist es auch gelungen, dass sie trotz ausländischer Eigentümer als regional und heimisch wahrgenommen werden.
„Beide geben uns besondere Identität.“Günther Leichtfried, Bürgermeister