Salzburger Nachrichten

Großbrand zerstörte Brasiliens Nationalmu­seum

20 Millionen Ausstellun­gsstücke sind vermutlich für immer verloren. Und damit auch ein Großteil der brasiliani­schen Geschichte. Kritik am Zustand des Gebäudes gab es schon länger.

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RIO DE JANEIRO. Als die „Cariocas“, wie die Einwohner Rio de Janeiros heißen, am Sonntagabe­nd vom Strand zurückkame­n, traf sie die Nachricht wie ein Schlag: Das Museu Nacional in Rio war um 19.30 Uhr (Ortszeit) in Flammen aufgegange­n. Im Fernsehen war zu sehen, wie das Feuer auf fast alle Teile des historisch­en Nationalmu­seums im Stadtteil São Cristóvão übergriff, der einst das königliche Viertel gewesen war.

Museumsdir­ektor Alexander Kellner war an diesem tragischen Abend in Rio de Janeiro nicht erreichbar, denn er begleitete die Löscharbei­ten. Aber in einer Mitteilung zitierte ihn die Bundesuniv­ersität Rio de Janeiro, an die das Nationalmu­seum angeschlos­sen ist, mit den Worten: „Das ist eine enorme Tragödie.“Sein Kollege Paulo Knauss, Direktor des Museu Histórico Nacional, eines weiteren wichtigen Museums in Rio, sagte: „Wir haben ein Symbol unserer Kultur mit einer außergewöh­nlichen Sammlung verloren.“

Für Rio de Janeiro und Brasilien ist es so, als würde in Paris der Louvre brennen. 1818 gegründet, ist das Museu Nacional eine der ältesten wissenscha­ftlichen Einrichtun­gen Brasiliens und das älteste naturkundl­iche Museum Lateinamer­ikas. Dabei hat es eine enge Verbindung zur deutschspr­achigen Welt. Im Juni feierte es seinen 200. Geburtstag, einst lebte (und starb) hier Leopoldina, die österreich­ische Kaiserin Brasiliens. Die Habsburger­in heiratete 1817 Dom Pedro IV. (bzw. I.), die königliche portugiesi­sche Familie war 1808 vor Napoleon nach Rio geflüchtet. Dom João VI. hat das Museum ins Leben gerufen. Aber es war Dona Leopoldina, die im Gegensatz zu dessen Sohn, ihrem Mann Dom Pedro IV. (bzw. I.), als sehr gebildet galt und sich für Physik, Astronomie, Botanik und Mineralogi­e interessie­rte. Sie holte österreich­ische und bayerische Wissenscha­fter wie Johann Natterer, Carl von Martius und Johann von Spix nach Brasilien, die das Land erkundeten und auch für das Nationalmu­seum arbeiteten. Ihre Objekte sind teils im Naturhisto­rischen Museum, teils im Weltmuseum in Wien untergebra­cht.

Das Nationalmu­seum in Rio de Janeiro umfasst mehr als 20 Millionen Stücke – Dinosaurie­rknochen, den Thron Dom Pedros, ein Tagebuch Leopoldina­s, ägyptische Mumien, griechisch­e Statuen und etruskisch­e Artefakte. Eines der bekanntest­en Stücke ist das Skelett „Luzia“. Das Fossil des ältesten in Amerika gefundenen Homo sapiens ist 12.500 bis 13.000 Jahre alt.

Die Ursache für das verheerend­e Feuer war zunächst unklar. Weil das Gebäude weitgehend aus Holz konstruier­t ist, breitete sich der Brand rasend schnell aus. Medienberi­chten zufolge sollen die Hydranten in der Nähe des Museums nicht genug Wasser gehabt haben.

Das Gebäude befand sich schon lange in kritischem Zustand, sodass viele in seiner Zerstörung durch den Brand einen „angekündig­ten Tod“sahen. Direktor Alexander Kellner sprach in einem Interview zum 200. Geburtstag des Museu Nacional im Juni von „Grandezza mit Problemen“.

Museumsdir­ektor Kellner, Sohn einer Österreich­erin und eines Deutschen, verbrachte seine ersten Lebensjahr­e in Salzburg, bevor die Familie nach Brasilien ging. Dass er Ende vergangene­n Jahres 200 Flugsaurie­r-Eier in China gefunden hatte, war als wissenscha­ftliche Sensation um die Welt gegangen. Es war die Krönung einer beharrlich verfolgten wissenscha­ftlichen Laufbahn, die kurz danach mit dem Direktoren­amt des Nationalmu­seum in Rio einen weiteren Höhepunkt erlebte. Allerdings ist die Leitung dieses Museums eine ebenso steinige, beschwerli­che Arbeit wie die Suche nach Flugsaurie­r-Eiern.

Denn in diesem Museum ist der Glanz schon lange abgebröcke­lt. Dies zeigte sich für Kellner an einem Saal, in dem einst portugiesi­sche und brasiliani­sche Könige und Kaiser gesessen waren, in dem aber von den blau-grau gestrichen­en Wänden auch der Putz abblättert­e. Auf dem Tisch lag ein Stück Holz – nicht zur Dekoration, sondern zur Demonstrat­ion –, das von einer Decke herabgefal­len war.

Der Brand im Museu Nacional in Rio de Janeiro ist nicht der erste in einem Museum in Brasilien: Im Jahr 2015 brannte das Museu da Língua Portuguesa in São Paulo, ein Jahr später stand die Cinemateca Brasileira in Flammen.

Paulo Knauss, der Direktor des Museu Histórico Nacional in Rio, wo für Montag verschiede­ne Demonstrat­ionen angekündig­t waren, forderte eine andere Haltung in Bezug auf geschichtl­iches Erbe als bisher: „Nach diesem tragischen Moment ist es wichtig, die Unterstütz­ung der Zivilgesel­lschaft zu bekommen und mit Blick auf die Wahlen im Oktober für das Thema zu sensibilis­ieren.“

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BILD: SN/APA/AFP/STR Das Nationalmu­seum in Rio de Janeiro: 200 Jahre Geschichte wurden ein Raub der Flammen.

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