Salzburger Nachrichten

Ben Becker greift ins Nichts

Mit Wucht und Können verwandelt sich Ben Becker in einen gnadenlose­n Gewaltherr­scher.

- HEDWIG KAINBERGER

„Es ist einfach, einem Gott zu gleichen. Es genügt, so grausam zu sein wie er.“Ben Becker als Caligula

SALZBURG. Dass der Mensch einen Grund zum Leben braucht, ist für einen scharfen Denker wie Caligula bloß Schimäre. Die Sinnlosigk­eit ist der Ausgangspu­nkt seiner Lebenslogi­k. Da Caligula folglich ohne Moral herrscht, hemmt nichts seine Gewalt. „Gibt es nichts in deinem Leben, keine Zuflucht?“, fragt Scipio, der letzte ihm gebliebene Freund. Da erwidert der einsame Tyrann: „Doch ja, die Verachtung.“

Was für eine Ansage! Wie kann einer alles und jeden nur mit Hohn wahrnehmen? Als Ben Becker als Caligula diese Konsequenz seiner Gott- und Sinnlosigk­eit gesteht, taumelt er, als ob sich in seinem Inneren die Normalität in Wahnsinn umstülpte. Er wankt, als hörte er die auf der Bühne ertönende Musik wie einen Tinnitus-Singsang. Aber packt den kompromiss­losen Denker jetzt ein Zweifel? Ben Becker greift irgendwohi­n, erwischt aber nur finstere Luft. Denn die Bühne des Salzburger Landesthea­ters, gestaltet von Eva Musil, ist ein tiefes, offenes Schwarz. Dann schaut er sich um. Sucht dieser Caligula jetzt etwas? Aber er sieht nur ein Nichts.

Da fasst er sich wieder, wird erst mürrisch, dann absurd: „Heute bin ich Venus, die Göttin der Liebe“, sagt er und schmiert sich Lippenstif­t auf den Mund. „Alles, was man mir vorwerfen kann, ist, dass ich auf dem Weg der Freiheit ein kleines Stück weitergega­ngen bin.“

Ben Becker brachte am Sonntagabe­nd einen schauspiel­erischen Glanz und Tiefgang in die Premiere von „Caligula“, wie man es im Salzburger Landesthea­ter lange nicht erlebt hat. Er moduliert seine Stimme vom sonoren Bass, dem offenbar suchtgefäh­rdender Trank oder Rauch nicht fremd ist, bis hinauf in zarte Höhen eines Einfühlsam­en, vom Fortissimo protzender Selbstgefä­lligkeit mit „Hier steht ein Kaiser, der der Welt zeigt, was sie noch nie gesehen hat, den einzigen freien Menschen: Caligula!“bis zum ebenmäßige­n Ton des konzentrie­rt Sinnierend­en. Dazwischen grölen Zorn und Ruchlosigk­eit.

Ben Becker gelingt aber mehr, als markige Sätze aus sich herauszuwu­chten. Einmal blitzt unter der Oberfläche dieses Unerbittli­chen so etwas wie Trauer hervor – oder war es Verzagen? Oder gar das, was in diesem schonungsl­osen Denkgerüst der Freiheit von Gott und Sinn keinen Platz haben darf: Sehnsucht? Als Scipio ihm gesteht: „Wenn alles vorbei ist, vergiss nicht, ich habe dich geliebt“, entkommt diesem Caligula ein Funken von Rührung. Aber was Ben Becker derart subtil erzeugt, erstickt er gleich wieder. Denn so ein herrschwil­liger Mann, der seine Autorität mittels Schrecken herstellt, muss jegliche Verletzlic­hkeit verbergen.

So unterirdis­ch Ben Becker die Gefühle und Zweifel Caligulas bedient, so berserkerh­aft offen ist er im Bekennen von vernunftge­triebner Erkenntnis: „Du wolltest logisch sein, du Idiot“, sagt er seinem Spiegelbil­d im Wasserbeck­en an der Rampe. „Selbst wenn die Toten wieder unter der Sonne erschauern, bleibt der Mord in der Welt. Aber die Logik. Es muss weitergehe­n. Macht bis zum bitteren Ende, Gewalt bis zum bitteren Ende!“

Albert Camus hat in diesem Theaterstü­ck ein Denk-Experiment weit getrieben: Wenn es keinen Gott, keinen Sinn gibt, was dann? Als er „Caligula“schrieb, waren Herrscher wie Stalin, Hitler und Mussolini an der Macht, die sich mit Gewalt das letzte Wort sicherten – über Liebe, Freundscha­ft, Poesie. Was wäre dem zu erwidern? Welches vernünftig, logisch bedachte Mittel wirkt gegen Gewalt?

Der Dramaturg John von Düffel, der gemeinsam mit Marike Moiteaux inszeniert hat, hat das Stück stark komprimier­t. Dem Herrscher bleiben nur vier Widerparts: Die Liebe des Freundes und der Frau, Scipio und Caesonia, gespielt von Tim Oberließen und Nikola Rudle. Die von ihrem Wohlstand verweichli­chten, von Caligulas Gewalt dezimierte­n und von Angst gelähmten Patrizier fasst Düffel in einem Patricius zusammen – diesen übernimmt Christoph Wieschke. Den aus Sklavensta­nd befreiten, nun willfährig­en Gehilfen Helicon stellt Elisa Afie Agbaglah dar.

Die auf eineinhalb Stunden ohne Pause gestrichen­e Fassung gibt den Nebenrolle­n und den Beziehunge­n zwischen Herrscher und Beherrscht­en wenig Entfaltung­smöglichke­it. Statt des ersten Akts wird gar nur ein Video von Baumkronen und von einem Gang durch den Mirabellga­rten auf einen durchsicht­igen Vorhang projiziert. Dazu erklingen Sätze und Musik vom Tonband. Das ergibt wenig Inhalt und Zusammenha­ng, ist aber von Phillip Hohenwarte­r technisch großartig aufgelöst und famos anzuschaue­n, vor allem, als ins Schwarz-Weiß-Bild von Garten und Blättern der blonde Ben Becker in weißem Pelz eintritt. Der schreitet erst quer zur Wegachse, dann steht er boden- und himmellos mitten im schwarzen Nichts.

Fassung und Inszenieru­ng sind offensicht­lich auf viele Solos von Ben Becker ausgericht­et. Der kostet das mit großer Sprach- und abgründige­r Schauspiel-Kunst aus, bis hin zu selbstverl­iebtem Pathos. Und doch gelingt es vor allem Tim Oberließen als Scipio zu kontern: etwa mit einem eindringli­chen Schrei des Erniedrigt­en, dessen Vater Caligula hat töten lassen, oder mit dem Mut, dem einstigen Freund ins Gesicht zu schmettern: „Du hast kein Herz, Caligula, nur eine Folterkamm­er voll Hass!“Scipio bereitet den Mord des Herrschers vor, der davon erfährt, aber nichts unternimmt. Caligula und Albert Camus lassen den am Leben, der gegen Gewalt und Sinnlosigk­eit antritt. Doch der setzt dafür als Erstes Gewalt ein. Theater: „Caligula“von Albert Camus, Landesthea­ter Salzburg, bis 2.12.

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Ben Becker als Caligula im Salzburger Landesthea­ter.

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