„Ich schenke Herrn Blümel eine Idee“
Als Wiener Stadträtin ist Veronica Kaup-Hasler eine mächtige Kulturpolitikerin. Was plant sie?
WIEN. Veronica Kaup-Hasler ist unter Zugzwang. Seit Ende Mai, ihrem Antritt für die SPÖ als Wiener Kulturstadträtin, haben drei Intendanten ihre Rückzüge kundgetan. Jetzt hat sie Wiener Festwochen, Volkstheater und Kunsthalle neu zu ordnen. Dies und einiges mehr geht sie mit erfrischender Tatkraft an. SN: Sie haben die Leitung der Wiener Festwochen ausgeschrieben, doch sogleich den interimistischen Leiter, Christophe Slagmuylder, als Favoriten genannt. Veronica Kaup-Hasler: Ja, denn ich bin von seiner Qualifikation überzeugt. Er hat das belgische KunstenFestivalDesArts mit Fokus auf Tanz und Theater zu einem der spannendsten Festivals in Europa gemacht. Daher habe ich ihn eingeladen, sich zu bewerben. SN: Wie fair kann eine Ausschreibung noch sein, wenn Sie Ihre Präferenz kundtun? Mit dem Abschied von Tomas Zierhofer-Kin mussten wir rasch handeln. Ich konnte Christophe Slagmuylder für die interimistische Leitung der Wiener Festwochen gewinnen, weil dies eine herausragende Aufgabe ist. Er verzichtet dafür auf die Leitung von „Theater der Welt“in Düsseldorf. Natürlich ist er jetzt an einer langfristigen Perspektive in Wien interessiert.
Wir sind zur Ausschreibung verpflichtet, und es kann sich jeder bewerben. Ich schließe niemanden aus. Aber Christophe Slagmuylder gehört zu den besten dieses Faches. SN: Werden das letztlich Sie als Stadträtin entscheiden? Die Entscheidung fällt in Absprache mit Generalversammlung und Aufsichtsrat, vor allem dessen Vorsitzendem Rudolf Scholten. Wir werden die Bewerbungen anschauen, aber ich kann schon sagen: In Europa gibt es nicht viele Festivals vergleichbarer Größe. Der Pool an Kandidaten mit interdisziplinärer Erfahrung ist überschaubar. SN: Wann entscheiden Sie? Voraussichtlich im Herbst. Nach Ende der Bewerbungsfrist am 15. September sollte man sich einige Wochen Zeit nehmen, um Kandidaten und Kandidatinnen einzuladen. SN: Was tun Sie mit der Kunsthalle Wien? Nicolaus Schafhausen wird ab März 2019 weg sein. Bei den Wiener Festwochen ist die Nachfolge dringend zu klären. Doch bei Volkstheater und Kunsthalle ist das anders. Da muss man Zeit geben und sich nehmen. Ich will keine Tabula rasa, aber ich möchte diesen Herbst nutzen, um einen Prozess zu öffnen und nachzudenken.
Nicolaus Schafhausen macht das Programm für 2019. So bleibt Zeit für fundamentale Fragen: Was ist die Aufgabe der Kunsthalle? Welche Schwierigkeiten hat der jetzige Standort (im Museumsquartier zwischen Mumok und Leopold Museum, Anm.)? Wir können und sollen über andere Standorte nachdenken, damit nicht alles in den inneren Stadtbezirken konzentriert ist. SN: Die Kunsthalle könnte den einstigen Hofstall verlassen? Generell ist das Museumsquartier ein großer Erfolg. Aber die Planungen dafür sind vor fast dreißig Jahren gemacht worden. Die Kunsthalle ist darin versteckt, ihre Ausstellungen sind für die Öffentlichkeit quasi unsichtbar. Das ist schwierig für jede künstlerische Positionierung. Dieser Frage müssen wir uns stellen: Wie kann die Kunsthalle sichtbarer und mobiler werden und eine aktivere Rolle übernehmen?
Dazu werde ich zu einem Thinktank einladen. Erst sollten wir miteinander nachdenken und dann eine Ausschreibung formulieren. SN: Kann das heuer gelingen? Ja, unbedingt! Je früher wir Sicherheit schaffen und langfristige Verträge abschließen, umso besser kann man arbeiten. Erst muss man sich fürs Nachdenken Zeit nehmen, dann muss man schnell sein. So werden auch unübliche Lösungen realisierbar. Ich denke gerne in Zeiträumen bis 2030 oder 2040. Was ist jetzt zu entscheiden, um die Stadt in eine spannende Zukunft zu bringen? Dabei schaden Aktionismus und Oberflächlichkeit; die ziehen weite Flurschäden nach sich. SN: Wie passen Ihre Pläne für die Kunsthalle zum Künstlerhaus am Karlsplatz? Das ist ein wichtiges Thema. Aber im Künstlerhaus ist jetzt Herr Haselsteiner, der mit der Albertina die Sammlung Essl zeigen will. Da habe ich direkt keinen Einfluss.
Allerdings bin ich für Stadtkino und Brut im selben Gebäudekomplex verantwortlich. Da bin ich im konstruktiven Gespräch mit Herrn Haselsteiner, dass diese Klammer à la longue bleibt. Wir sollten dies als interdisziplinären Ort zusammendenken – Arthouse Cinema, Performance und freies Theater sowie bildende Kunst. Das wäre ein neuralgischer Punkt für Zeitgenössisches, damit der Karlsplatz mit Musikverein und Wien Museum eine Zone unterschiedlicher Kultur bleibt. SN: Was planen Sie für das Volkstheater nach Anna Badora? Zunächst ist das Profil des Volkstheaters zu hinterfragen. Welche Art Theater braucht Wien? Wo ist eine Lücke? Das ist nicht so einfach. Unter anderem weiß man ja noch nicht genau, was Martin Kušej am Burgtheater machen wird.
„Die Begegnungen mit dem Kulturminister sind immer zu kurz.“
Jedenfalls muss das Volkstheater ein schärferes Profil entwickeln als bisher. Die Subventionsgeber (Wien und Bund, Anm.) müssen professionelles Arbeiten ermöglichen. Weiters ist zu klären: Wer soll das Publikum sein? Vielleicht muss man sich da von Traditionen verabschieden und zu neuen Ufern aufbrechen. SN: Welche Modelle gibt es? Ich kann mir – wie bisher – ein von Schauspielern getragenes Theater vorstellen, obwohl dies auch andere in Anspruch nehmen (wie Burgtheater und Josefstädter Theater, Anm.). Möglich wäre auch eine Ausrichtung auf Inhalte – bestimmte Literatur oder Themen. Ein anderes Modell wäre ein Theater, das internationale Koproduktionen und Gastspiele im Spielplan hat.
Dazu möchte ich viele Gespräche führen – mit Leuten, die das Volkstheater leiten wollen, aber auch mit anderen. Ich möchte die Frage, was „Volkstheater“heute in dieser Stadt bedeuten könnte, auch an eine interessierte Öffentlichkeit richten – also an das Publikum. Wir überlegen, wie wir diesen Vorgang gestalten. SN: Das dürfte mühsam werden. Ja, aber bevor Kulturpolitik sich einfach nur mit Ausschreibungen begnügt, müssen wir ins Gestalten kommen. Dafür müssen wir Prozesse auch ins Stolpern bringen. Wenn das Zeit braucht, bedeutet das nicht Entscheidungsunlust, sondern die Suche nach dem Wissen vieler. SN: Wann kann ein neues Volkstheater beginnen? Noch haben wir zwei volle Saisonen mit Anna Badora. Das gibt uns Zeit zum Nachdenken. Aber wenn wir das Profil haben, kann es schnell gehen. Bis Mitte 2019 sollte das zu entscheiden sein. SN: Dazu brauchen Sie auch den Bund als Subventionsgeber. Ja, wir brauchen die vom Bund bereits zugesagten Mittel für die Sanierung des Volkstheaters. Die Stadt Wien hat ihren Anteil geleistet, jener des Bundes steht aus. Ich möchte den Bund auch am Nachdenkprozess beteiligen. SN: Was ist Ihr Eindruck von Kulturminister Gernot Blümel? Das ist noch schwer zu bewerten. Der Minister ist in dem MonsterRessort und die EU-Präsidentschaft sehr eingespannt. Die Begegnungen mit ihm sind immer zu kurz. SN: Was sonst haben Sie sich für den Herbst vorgenommen? Ich möchte für mehr Transparenz bei den Förderungen sorgen und die Veröffentlichung von Daten beschleunigen. Dann werden wir mit dem Kulturausschuss des Gemeinderates nach Brüssel und Gent reisen, um dortige Theater anzuschauen. Denken Sie an Jan Lauwers, Wim Vandekeybus, Jan Fabre, Anne Teresa De Keersmaeker oder Johan Simons! In Belgien haben sich viele Künstler so entwickelt, dass sie das europäische Theater maßgeblich beeinflussen. Inwiefern sind dortige Strukturen besser als bei uns?
Zudem möchte ich etwas gegen die Prekarisierung der Künstler unternehmen. Zunächst muss es um Produktionsbedingungen in der freien Szene gehen. Einige Gruppen müssen ja, um ihren Subventionsgebern Freude zu machen, zehn Inszenierungen pro Jahr schaffen. Das soll konzentrierter werden: mehr Vorbereitung, mehr spielen, mehr Publikum, höhere Qualität. Wir müssen beitragen, die freie Szene besser zu vernetzen. Dafür brauchen wir auch Bund und Länder.
Ein Vorbild kann auch die Tanzplattform sein, bei der in fünf Tagen Performances vorgestellt werden. Das ist wie eine Börse: Das führt zu Einladungen für Gastspiele und zu Festivals. Auch das ist eine Idee, die ich hiermit Herrn Blümel schenke.