Ein verkümmertes Säugetier aus industrieller Haltung
Der Mensch ist Allesfresser und kann kochen. Dieser Tatsache verdankt er seinen Erfolg auf Erden – und seiner Ungenießbarkeit.
Versuchen wir etwas Licht in das Essverhalten des Menschen zu bringen. Diesem sind so gut wie keine Grenzen gesetzt. Das bewies besonders eindrucksvoll der Franzose Michel Lotito. Von 1966 bis zu seinem Tod im Jahr 2007 hat er 18 Fahrräder, 15 Supermarktwagen, sieben Fernseher, sechs Leuchter, zwei Betten, ein Paar Ski, ein Leichtflugzeug vom Typ Cessna 150, einen Computer und einen Sarg mitsamt Griffen verspeist. Sein Lieblingsgericht war die Fahrradkette. Überhaupt scheint der Mensch beim Essen gern eine Art Kitzel zu verspüren. So kam es in den 1930er-Jahren in den USA zu einer rasend schnellen Verbreitung einer neuen Essmode: In Studentenkreisen galt es plötzlich als chic, lebende Goldfische zu schlucken. Im Gegensatz zu Austern, die ja auch lebend geschlürft werden, konnte sich das goldene Zappel-Sushi aber nicht durchsetzen.
Ebenfalls in den 1930er-Jahren entstand in Tusla (Oklahoma) ein anderer Trend:
T. W. Stalling, der Leiter der lokalen Gesundheitsbehörde, rief dazu auf, eine Krähenplage „aufzuessen“. Das berichtet Michael Walkden auf seiner Homepage The Recipes Project. Sogar im noblen Hotel Sherman in Chicago standen damals Krähen auf der Karte. Der Küchenchef Fernand Pointreau ertüftelte folgendes Rezept:
Den nackten Vogel in einer Pfanne mit Butter und etwas Knoblauch anbraten, mit etwas Weißwein ablöschen und drei Esslöffel Kalbsjus sowie Soja-Sauce über das Fleisch der Krähe gießen. Dann zwei Stunden lang köcheln lassen. Zum Schluss noch Pilze, frittierte Speckwürfel und gebräunte Zwiebel beifügen.
Der Spuk mit den Krähen als Hauptgericht hatte in den USA erst 1947 ein Ende. Aber auch in Österreich und Deutschland sind noch viele Rezepte zur Zubereitung von Krähen erhalten. Man sollte aber die Finger von ihnen lassen. „Erstens stehen sie unter Artenschutz“, sagt der Lieferinger Koch und Jäger Tobias Brand- stätter. „Zweitens sollte man kein Fleisch von Aasfressern essen.“Das Wort „Aasfresser“führt uns kulinarisch auf eine weitere Spur. Kürzlich erzählte mir ein Orthopäde bei einem rosa gebratenen Kalbsfilet, dass dieser Fleischteil aus dem Rückenmuskel des Kalbs geschnitten wird. Halb im Scherz meinte er, dass sich der Mensch wohl nur deshalb so gut durchgesetzt hat, weil ihn kein normales Tier fressen mag. Der Rückenmuskel des modernen Menschen sei in der Regel nämlich derart verformt und zäh, dass er nur genießbar wird, wenn er stundenlang in Rotwein geschmort wird (Rezept siehe Coq au Vin). Und seine Innereien seien wegen der darin enthaltenen Gifte sowieso gänzlich ungenießbar. Kulinarisch betrachtet stammen die meisten Menschen also aus industrieller Säugetierhaltung. Das sagt viel aus – über unsere Lebensqualität.