Es gibt viel zu wenige Lehrlinge
Es fehlen nicht Lehrstellen, sondern Lehrlinge. Das sagt der Gründer einer Initiative, die Migranten fit für den Arbeitsmarkt machen will.
Der deutliche Rückgang bei der Zahl der Arbeitslosen hält an. In Österreich waren im August offiziell 288.186 Personen arbeitslos gemeldet, das entspricht im Jahresabstand einem Rückgang um 23.306 Personen oder um 7,5 Prozent. Auffällig ist, dass der Rückgang bei Männern mit –9,1 Prozent deutlich höher ausfiel als bei Frauen, wo er –5,7 Prozent betrug. Einschließlich der 56.465 Menschen in Schulung waren damit per Ende August laut Arbeitsmarktservice AMS insgesamt 344.651 Personen ohne Job.
Deutlich kleiner geworden ist laut Sozialministerium auch die Lücke an offenen Lehrstellen. Demnach stehen 8390 Lehrstellensuchenden 6653 gemeldete, sofort verfügbare Lehrstellen gegenüber. Dieser Sichtweise widerspricht Bernhard Ehrlich, der Initiator der Aktion „10.000 Chancen“, die sich für die Integration von Lehrstellensuchenden mit Handicaps einsetzt. Er sieht statt einer Lehrstellenlücke einen chronischen Mangel an Lehrstellensuchenden.
Viele Unternehmen würden angesichts der anhaltend starken Konjunkturentwicklung händeringend nach Lehrlingen suchen. „Die Lage ist angesichts des Fachkräftemangels nach wie vor sehr dramatisch, aber viele Unternehmen melden ihre aktive Suche gar nicht mehr“, sagt Ehrlich.
Die Aufgabe der im Zuge der Flüchtlingswelle von 2015 entstandenen Initiative sieht Ehrlich darin, benachteiligte Jugendliche in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. „10.000 Chancen“ist nicht zu verwechseln mit der „Aktion 20.000“, mit der die vorige Bundesregierung ältere Langzeitarbeitslose in Beschäftigung bringen wollte. Die Aktion wurde von der aktuellen Regierung allerdings eingestellt.
Zurück zu den Lehrlingen. Ursprünglich zielte die Initiative nur auf Migranten ab. Geeignete zugewanderte Jugendliche sollten fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden, um einen Beitrag zur Verringerung des Fachkräftemangels zu leisten. Denn „der Lehrling von heute ist die Fachkraft von morgen“, sagt Ehrlich. Mittlerweile wurde die Zielgruppe auf sämtliche auf dem Arbeitsmarkt benachteiligte Jugendliche erweitert und schließt somit auch Menschen mit (leichten) Behinderungen ein. Mit rund 80 Prozent liegt der Schwerpunkt immer noch auf der Vermittlung von Lehrstellen für junge Migranten. Langsam verschiebe sich das Verhältnis in Richtung 70 zu 30 Prozent.
„10.000 Chancen“übernimmt die Vorauswahl, bereitet Jugendliche mit Handicaps auf dem Arbeitsmarkt für eine erfolgreiche Bewerbung vor und organisiert sogenannte Speed Datings. In bis zu siebenminütigen Bewerbungsgesprächen treffen Vertreter von Unternehmen, die Lehrlinge suchen – wie ÖBB, Post, Metro, Fielmann, H&M, Thalia, T-Mobile oder Forstinger –, mit je 120 Kandidaten aus einem Bundesland zusammen. Ziel ist es, offe- ne Stellen mit geeigneten Kandidaten zu besetzen. Die nächsten Vorauswahlen finden im November statt (6. 11. Wien, 12. 11. Graz, 13. 11. Linz, 14. 11. St. Pölten, siehe auch www.10000chancen.com).
Vier Kriterien sind unentbehrliche Voraussetzung für eine Betreuung durch „10.000 Chancen“: ausreichende Deutschkenntnisse, ein Pflichtschulabschluss, eine Arbeitserlaubnis und vor allem der 100-prozentige Wille zum Arbeiten.
Die aktuelle Debatte über Lehrstellen für Asylbewerber und -berechtigte läuft für Ehrlich völlig falsch. Von gut 10.000 Asylberechtigten unter 25 Jahren suchten zuletzt laut AMS rund 1500 eine Lehrstelle. Aber auch „asylberechtigt heißt noch lange nicht, dass jemand die Voraussetzungen für eine Lehre erfüllt“. Laut Ehrlich benötigt der erste Arbeitsmarkt „sogar dringend Flüchtlinge, speziell im Bereich der Mangelberufe“. Gerade bei Handwerksberufen fehle teils die Bereitschaft österreichischer Jugendlicher, während etwa junge Afghanen dafür oftmals Interesse und Begabung zeigten. Laut einer Studie der Wirtschaftskammer fehlen landesweit 162.000 Fachkräfte, das trifft drei von vier Unternehmen.
Ehrlich ortet Schwächen im Schnittstellenmanagement des AMS, „auch die Wirtschaftskammer hat seit Jahren keine Lösung für das Problem“. Die Lage sei dramatisch. Ein Lösungsansatz könnte eine umfassende Reform der RotWeiß-Rot-Card sein, die in der jetzigen Form nicht funktioniere. „Dass man damit Leute aus Asien rekrutieren möchte und nicht Menschen, die schon im Land sind und lernen wollen, ist nicht nachvollziehbar.“