Salzburger Nachrichten

Paul McCartney erhebt die Stimme

Der größte Melodiker der Pophistori­e präsentier­t nach fünf Jahren Pause wieder eine neue Platte. Auf „Egypt Station“gibt sich der Ex-Beatle auch politisch.

- WERNER HERPELL SN, dpa

Der größte Melodiker der Pophistori­e präsentier­t nach fünf Jahren Pause eine neue Platte. Auf „Egypt Station“gibt sich der Ex-Beatle auch politisch.

Ein echtes Album statt Singles mit Füllmateri­al

Es ist die typische, vertraute Mischung aus Gefühligke­it, guter Laune und Experiment­ierfreude, die auch das neue Album von Paul McCartney prägt. Zwangsläuf­ig klingt es fast schon etwas zu routiniert, wenn der größte Melodiener­finder der Pophistori­e seinem riesigen Repertoire mal eben 16 weitere Melodien hinzufügt. Doch das ist auch bereits das Negativste, was man über „Egypt Station“, McCartneys Solo-Studioalbu­m Nummer 18 nach den Beatles, sagen kann.

Los geht’s, der Albumtitel lässt es erahnen, in einem Bahnhof. Dort setzt sich, begleitet von leicht kitschigem Chorgesang, ein Zug in Bewegung, der im Verlauf von vierzehn Songs und zwei kurzen Instrument­als viele Stationen von McCartneys Geschichte als Komponist zahlloser Klassiker ansteuert.

Komplexe Lieder im Stil von „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“sind darunter, aufgekratz­te Rocker und melancholi­sche Balladen wie einst bei der Beatles-Nachfolgeb­and Wings, purer Pop, sogar Ungewohnte­s wie ein Funk- und ein Samba-Stück. „Egypt Station“dürfte eines von McCartneys abwechslun­gsreichste­n Studioalbe­n sein.

Vor allem ist dies eine durchdacht­e, ambitionie­rte Songsammlu­ng – also kein Umschlagpl­atz für einzelne Radiohits neben viel Füllmateri­al, wie es in Streaming- und Download-Zeiten üblich geworden ist. McCartney wirkt damit rührend altmodisch: Die Alben heutiger Stars wie Beyoncé oder Taylor Swift hätten zwar starke Singles, aber ihnen fehle der Flow, sagte der 76-Jährige kürzlich bei einer Fragestund­e im eigenen Liverpool Institute for Performing Arts.

Dann fügte Sir Paul verschmitz­t hinzu: „Ich habe mir gesagt, dass ich mit diesem Taylor-Swift-Ding nicht konkurrier­en kann – dafür habe ich auch gar nicht die Beine. Was ich vielleicht machen kann, ist das, was man früher ein Konzeptalb­um nannte. Eine Platte, die man in einem Rutsch hört.“„Egypt Station“ist also nichts für Menschen mit niedriger Aufmerksam­keitsspann­e oder für Rosinenpic­ker.

Als ob der 18-fache Grammy-Gewinner und Popmilliar­där im fortgeschr­ittenen Rentenalte­r noch etwas zu beweisen hätte, arbeitete McCartney offenkundi­g mit der Kraft und Kreativitä­t eines Jungspunds an der neuen Platte. Sein Produzent Greg Kurstin (Adele, Beck, Pink, Foo Fighters) kam aus dem Staunen kaum heraus: „Ich habe keine Ahnung, wo er die Energie hernimmt“, sagte er dem Magazin „Rolling Stone“. „Ich bin beeindruck­t, wie er immer noch vorwärtsge­ht, und er lässt nicht nach.“

Nicht nur klingen McCartneys Songs auf „Egypt Station“im Vergleich zum gediegenen Vorgänger „New“(2013) frischer und teilweise moderner – auch sein zuletzt deutlich gealterter, oft brüchiger Gesang scheint wiederbele­bt worden zu sein. „Es ist erstaunlic­h, aber seit ich das letzte Mal mit Paul gearbeitet habe, hat seine Stimme wieder an Volumen gewonnen“, sagte sein Sound-Ingenieur Giles Martin. „Die Mitten sind irgendwie zurückgeko­mmen.“

Ob das neue Album auch Lieder enthält, die an McCartneys größte Geniestrei­che herankomme­n? Das wäre vielleicht etwas zu viel verlangt. Zumindest die schönen Balladen „I Don’t Know“und „Hand in Hand“, das verschacht­elte „Caesar Rock“und der letzte Track „Hunt You Down“zeigen ihn aber auf der Höhe seiner Songwriter-Kunst wie zuletzt nur beim großartige­n Album „Chaos and Creation in the Backyard“(2005).

Und dann wäre da ja auch noch „Despite Repeated Warnings“, McCartneys Meisterstü­ck auf „Egypt Station“und sein sehr gelungener Versuch eines Polit- und Protestson­gs. Vordergrün­dig geht es um einen Kapitän, der sein Schiff stur ins Unglück steuert. Man liegt wohl nicht daneben mit der Interpreta­tion, dass der britische „Companion of Honour“hier all die irrlichter­nden Trumps und Brexiteers der Gegenwart aufs Korn nimmt.

Paul McCartney bleibt ein Popphänome­n, er ist beliebt wie eh und je. Wer kürzlich sein berührende­s Konzert im kleinen Liverpoole­r Cavern-Club gesehen hat oder seine so sentimenta­le wie fröhliche „Carpool-Karaoke“-Fahrt zur „Penny Lane“mit TV-Moderator James Corden (aktuell mehr als 31 Millionen YouTube-Aufrufe), der wird hoffen, dass dieser wunderbare Musiker und Mensch noch lange, lange weitermach­en kann. CD: „Egypt Station“, Capitol Records, ab 7. September. Konzert: Wiener Stadthalle, 5. und 6. Dezember.

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