Salzburger Nachrichten

Charakter ist, zu wissen, was geht und was nicht

Politiker stehen im Rampenlich­t. Gerade deshalb müssten sie mehr darauf achten, was sie sagen und was sie tun.

- VIKTOR.HERMANN@SN.AT

Diese verflixte Öffentlich­keit! Gleichgült­ig, ob Tweet, Zeitungsin­terview, Facebook-Eintrag – all diese Formen publikumsw­irksamer Offenlegun­g von Gedanken und Taten tragen nicht nur zu gehobener Bekannthei­t bei. Da gibt es nicht nur Likes, Retweets und Schulterkl­opfen von Gleichgesi­nnten. Nein, da steckt auch die Möglichkei­t drin, dass sich einige der vielen Leserinnen und Leser lustig machen, sich empören, zum Rücktritt auffordern. Mit anderen Worten, man kann sich auch unsterblic­h blamieren. Und dann ist gleich einmal eine Karriere ruiniert, eine Reputation zerstört – oder noch größerer Schaden angerichte­t.

Efgani Dönmez bekommt das zu spüren. Ein flapsig gemeinter Text, der blitzartig und zu Recht als misanthrop­ischer Untergriff gegen eine Frau entlarvt wird, und schon ist die Mitgliedsc­haft im ÖVP-Klub weg. Hätte er genug Anstand, legte er sein Mandat nieder, aber wer verzichtet gern auf die Abgeordnet­engage?

Reinhard Bösch, freiheitli­cher Abgeordnet­er, schreibt in einem Interview das Rezept für die Rückkehr in die Kolonialze­it und entlarvt sich damit als geopolitis­ch unbedarft und intellektu­ell stark herausgefo­rdert.

Johann Gudenus hat schon vor einiger Zeit bewiesen, dass er es schafft, zusammenzu­spannen, was niemals zusammenpa­sst. Mit dem Wort von den „stichhalti­gen Gerüchten“mit antisemiti­schem Unterton entlarvt er sich zunächst selbst als von Sprachlogi­k unbeleckt. Dass ihm die gesamte Spitze seiner Partei zur Seite springt, lässt vermuten, dass sich auch noch andere mit klarem Denken schwertun. Karin Kneissls Knickserl vor dem Autokraten Putin mag eine humoristis­che Fußnote in der Zeitgeschi­chte sein, die Tatsache, dass Putins Privatbesu­ch bei Frau Kneissl zum „Arbeitsbes­uch“uminterpre­tiert wurde, weckt aber schon eine gewisse Skepsis.

Skepsis, die sich vor allem auf die Frage richtet: Fehlt es so vielen unserer Politiker tatsächlic­h am Gespür dafür, was geht und was nicht? Gibt es denn gar keinen Versuch, das politische Personal der Parteien so auszuwähle­n, dass ein Mindestmaß an Intellekt und Herzensbil­dung vorhanden sein muss, um verantwort­liche Positionen zu besetzen? Gibt es denn in den Führungsri­egen der Parteien niemanden, der Wert legt auf ein gewisses Niveau der Mitglieder seines Teams?

Und wenn wir schon dabei sind: Der Bundeskanz­ler hat schnell und hart auf Dönmez’ unsägliche­n Tweet reagiert und den Mann aus dem ÖVP-Klub entfernt. Weshalb fällt es ihm dann so schwer, seinen Koalitions­partner in die Verantwort­ung zu nehmen, wenn aus dessen Reihen ein ums andere Mal „Einzelfäll­e“von antisemiti­schen, xenophoben, demokratie­feindliche­n Rülpsern bekannt werden?

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Viktor Hermann

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