Charakter ist, zu wissen, was geht und was nicht
Politiker stehen im Rampenlicht. Gerade deshalb müssten sie mehr darauf achten, was sie sagen und was sie tun.
Diese verflixte Öffentlichkeit! Gleichgültig, ob Tweet, Zeitungsinterview, Facebook-Eintrag – all diese Formen publikumswirksamer Offenlegung von Gedanken und Taten tragen nicht nur zu gehobener Bekanntheit bei. Da gibt es nicht nur Likes, Retweets und Schulterklopfen von Gleichgesinnten. Nein, da steckt auch die Möglichkeit drin, dass sich einige der vielen Leserinnen und Leser lustig machen, sich empören, zum Rücktritt auffordern. Mit anderen Worten, man kann sich auch unsterblich blamieren. Und dann ist gleich einmal eine Karriere ruiniert, eine Reputation zerstört – oder noch größerer Schaden angerichtet.
Efgani Dönmez bekommt das zu spüren. Ein flapsig gemeinter Text, der blitzartig und zu Recht als misanthropischer Untergriff gegen eine Frau entlarvt wird, und schon ist die Mitgliedschaft im ÖVP-Klub weg. Hätte er genug Anstand, legte er sein Mandat nieder, aber wer verzichtet gern auf die Abgeordnetengage?
Reinhard Bösch, freiheitlicher Abgeordneter, schreibt in einem Interview das Rezept für die Rückkehr in die Kolonialzeit und entlarvt sich damit als geopolitisch unbedarft und intellektuell stark herausgefordert.
Johann Gudenus hat schon vor einiger Zeit bewiesen, dass er es schafft, zusammenzuspannen, was niemals zusammenpasst. Mit dem Wort von den „stichhaltigen Gerüchten“mit antisemitischem Unterton entlarvt er sich zunächst selbst als von Sprachlogik unbeleckt. Dass ihm die gesamte Spitze seiner Partei zur Seite springt, lässt vermuten, dass sich auch noch andere mit klarem Denken schwertun. Karin Kneissls Knickserl vor dem Autokraten Putin mag eine humoristische Fußnote in der Zeitgeschichte sein, die Tatsache, dass Putins Privatbesuch bei Frau Kneissl zum „Arbeitsbesuch“uminterpretiert wurde, weckt aber schon eine gewisse Skepsis.
Skepsis, die sich vor allem auf die Frage richtet: Fehlt es so vielen unserer Politiker tatsächlich am Gespür dafür, was geht und was nicht? Gibt es denn gar keinen Versuch, das politische Personal der Parteien so auszuwählen, dass ein Mindestmaß an Intellekt und Herzensbildung vorhanden sein muss, um verantwortliche Positionen zu besetzen? Gibt es denn in den Führungsriegen der Parteien niemanden, der Wert legt auf ein gewisses Niveau der Mitglieder seines Teams?
Und wenn wir schon dabei sind: Der Bundeskanzler hat schnell und hart auf Dönmez’ unsäglichen Tweet reagiert und den Mann aus dem ÖVP-Klub entfernt. Weshalb fällt es ihm dann so schwer, seinen Koalitionspartner in die Verantwortung zu nehmen, wenn aus dessen Reihen ein ums andere Mal „Einzelfälle“von antisemitischen, xenophoben, demokratiefeindlichen Rülpsern bekannt werden?