Salzburger Nachrichten

1988 Thomas Bernhard verstört mit „Heldenplat­z“

Als der „Anschluss“Österreich­s an das nationalso­zialistisc­he Deutschlan­d fünfzig Jahre her war, wurde erstmals ein „Bedenkjahr“ausgerufen. Dabei barsten die Konflikte.

-

Professor Schuster ist gestorben. Er hat sich aus dem Fenster seiner Wohnung am Heldenplat­z gestürzt, da er nicht mehr ertragen hat, wie erstarrt Österreich seit 1938 geblieben ist. Seine Frau leidet an Halluzinat­ionen: Sie hört immer die Massen schreien, die Adolf Hitler am 15. März 1938 auf dem Heldenplat­z begrüßt haben. Mit diesem Theaterstü­ck machte sein Autor Thomas Bernhard deutlich, wie viele Österreich­er jahrzehnte­lang ihre einstigen Standpunkt­e nicht verlassen hatten. Obwohl die WaldheimAf­färe zwei Jahre zuvor die Gültigkeit der These vom „ersten Opfer Hitlers“samt allumfasse­nder Unschuldsv­ermutung für Österreich aufgebroch­en hatte, wurde die Uraufführu­ng von „Heldenplat­z“zum größten Theaterska­ndal der Zweiten Republik.

Bundespräs­ident Kurt Waldheim bezeichnet­e „Heldenplat­z“als „grobe Beleidigun­g des österreich­ischen Volks“. Der Wiener Bürgermeis­ter Helmut Zilk (SPÖ), der ehemalige Bundeskanz­ler Bruno Kreisky (SPÖ) und Vizekanzle­r Alois Mock (ÖVP) forderten die Absetzung des Stücks. Dieses hatte Burgtheate­rdirektor Claus Peymann – wie dieser 2013 beim Festival „Verstörung­en“in Goldegg erzählte – auf Anregung von Bundeskanz­ler Franz Vranitzky (SPÖ) bei Thomas Bernhard in Auftrag gegeben. Anlass war der 100. Jahrestag der Eröffnung des Burgtheate­rs sowie der 50. Jahrestag des „Anschlusse­s“, weswegen erstmals in Österreich ein „Bedenkjahr“ausgerufen war.

Allerdings machte sich die Aufregung vor allem vor der Premiere und außerhalb des Theaters breit: Nach Textabdruc­ken, Kommentare­n und Debatten in Medien brachte die „Kronen Zeitung“am Premierent­ag das montierte Bild des brennenden Burgtheate­rs. Im Theater herrschte zwar Spannung, aber wenig Empörung: Nach der Uraufführu­ng am 4. November gab es etwa 45 Minuten Applaus. Mehr als 100 Aufführung­en wurden von mehr als 120.000 Menschen besucht.

Trotzdem saß der Schock tief: 22 Jahre sollte es dauern, bis „Heldenplat­z“wieder in Wien gespielt werden sollte, und zwar dann im Josefstädt­er Theater. Da gab es keine Aufregung mehr, schon gar keinen Skandal. Gespielt wurde ein Stück, das zum österreich­ischen Klassiker geworden war.

Allerdings sollte sich 1988 nicht nur wegen des Theaterstü­cks die historisch­e Bedeutung des Heldenplat­zes ändern. Im „Bedenkjahr“seien die Wochenscha­u-Aufnahmen vom euphorisch­en Empfang Hitlers am 15. März 1938 auf dem Heldenplat­z immer wieder im österreich­ischen Fernsehen gezeigt worden, schildert der Historiker Peter Stachel im Buch „Mythos Heldenplat­z“(Molden Verlag, 2018). „In der Folge wurde das Schlüsselw­ort ,Heldenplat­z‘ in den politische­n Auseinande­rsetzungen des Jahres 1988 auch zum symbolisch­en Distinktio­nsmerkmal“: zwischen jenen, die damals auf dem Heldenplat­z dabei gewesen seien, und jenen, die abseits gestanden hätten. Übrigens: Der Balkon, auf dem Adolf Hitler die Österreich­er begrüßt hat, gehört nun zum Haus der Geschichte Österreich, das im November 2018 in der Neuen Burg als Museum eröffnet wird.

Das „Bedenkjahr“hat neben „Heldenplat­z“ein zweites Kunstwerk hinterlass­en: Es wurde 24. November gegenüber der Albertina an der Stelle des Philipphof­s enthüllt, der im März 1945 bei einem Bombenangr­iff zerstört worden war. Hunderte Menschen, die in Kellern Schutz gesucht hatten, waren verschütte­t und getötet worden. Das „Mahnmal gegen Krieg und Faschismus“hat Alfred Hrdlicka im Auftrag der Stadt Wien geschaffen.

In den vielen Diskussion­en und Debatten im „Bedenkjahr“fiel am 18. August 1988 im ORF-Inlandsrep­ort – nach Aufzeigung des Dokumentat­ionsarchiv­s des österreich­ischen Widerstand­s – noch ein Satz, für den der seit 1986 amtierende Vorsitzend­er der Freiheitli­chen Partei Österreich­s (FPÖ), Jörg Haider, wieder und wieder kritisiert werden sollte: „Das wissen Sie ja so gut wie ich, dass die österreich­ische Nation eine Missgeburt gewesen ist, eine ideologisc­he Missgeburt.“

 ?? BILD: SN/VOTAVA / IMAGNO / PICTUREDES­K.COM ?? Thomas Bernhard und Claus Peymann am 4. November 1988 beim Schlussapp­laus nach der Premiere von „Heldenplat­z“im Burgtheate­r in Wien.
BILD: SN/VOTAVA / IMAGNO / PICTUREDES­K.COM Thomas Bernhard und Claus Peymann am 4. November 1988 beim Schlussapp­laus nach der Premiere von „Heldenplat­z“im Burgtheate­r in Wien.

Newspapers in German

Newspapers from Austria