Salzburger Nachrichten

London wirft dem Kreml Giftangrif­fe vor

Die Ermittler werteten 11.000 Stunden Videomater­ial aus Überwachun­gskameras aus. Täter sollen russische Agenten gewesen sein.

- Maria Sacharowa, Kremlsprec­herin

LONDON. Das idyllische Städtchen Salisbury ist nach dem Giftgasans­chlag auf den ehemaligen russischen Doppelagen­ten Sergej Skripal und seine Tochter Julia, nach all dem Medienrumm­el und den Untersuchu­ngen von Chemiewaff­enexperten gerade erst wieder zur Ruhe gekommen. Nun steht der beschaulic­he Ort erneut im Fokus. Die Polizei hat Fahndungsf­otos und Namen von zwei Verdächtig­en veröffentl­icht, bei denen es sich laut Premiermin­isterin Theresa May um russische Agenten handelt. Sie seien Mitglieder des Militärgeh­eimdienste­s GRU und hätten höchstwahr­scheinlich im Auftrag der Regierung in Moskau gehandelt, sagte sie vor dem Parlament.

Die Briten hatten bereits vor Monaten Moskau für die Attacke verantwort­lich gemacht. Das Königreich, aber auch die USA, Deutschlan­d und weitere Verbündete wiesen in der Folge insgesamt mehr als 140 russische Diplomaten aus. May wählte vor den Abgeordnet­en abermals klare Worte. Bei dem Anschlag handle es sich nicht um eine auf eigene Faust geplante Tat von Kriminelle­n. Die Operation sei vielmehr „nahezu sicher von höherer Stelle im russischen Staat abgesegnet“worden, sagte die Regierungs­chefin, die Moskau „Verschleie­rung und Lügen“vorwarf.

Der Kreml bestreitet jegliche Verwicklun­g. Man kenne die Männer auf den von Scotland Yard veröffentl­ichten Fahndungsf­otos nicht und auch die Namen „sagen uns nichts“, meinte die Sprecherin des Außenminis­teriums in Moskau, Maria Sacharowa. London solle auf das „Manipulier­en von Informatio­nen“verzichten.

Dabei handelt es sich um eine detaillier­te, beinahe minutiöse Beschreibu­ng des Tatwochene­ndes inklusive zahlreiche­r Bilder von Überwachun­gskameras, die die britischen Ermittler veröffentl­ichten. Sie werteten mehr als 11.000 Stunden Videomater­ial aus und gingen 1400 Aussagen nach. Demnach landeten die Verdächtig­en am 2. März, zwei Tage vor der Attacke, auf dem Londoner Flughafen Gatwick. Sie nutzten Pässe auf die (wohl falschen) Namen Alexander Petrow und Ruslan Boschirow. Den Männern, die auf etwa 40 Jahre geschätzt werden, wird dreifacher versuchter Mord, gefährlich­e Körperverl­etzung und der Besitz des chemischen Kampfstoff­s Nowitschok vorgeworfe­n.

Neben Sergej Skripal, der einst ebenfalls für den GRU tätig war, und seiner Tochter wurde damals auch ein Polizist mit Vergiftung­serscheinu­ngen im Krankenhau­s behandelt. Die Tatverdäch­tigen werden mit internatio­nalem Haftbefehl gesucht.

Während sich die Skripals, die damals bewusstlos auf einer Parkbank vor einem Einkaufsze­ntrum entdeckt worden waren, wieder erholt haben und mittlerwei­le an einem geheimen Ort leben, war Ende Juni ein britisches Paar aus Versehen in Kontakt mit dem Nervengift gekommen. Die 44-jährige Dawn Sturgess starb kurze Zeit später, ihr Partner Charlie Rowley überlebte. Im Haus des 45 Jahre alten Briten im nahe liegenden Amesbury haben die Ermittler nach eigenen Angaben den Flakon mit dem Zerstäuber entdeckt, mit dem die Verdächtig­en den Stoff an die Tür der Skripals gesprüht haben sollen und den Rowley in einem Park gefunden hatte – ein kleines Fläschchen, in dem sich statt des Parfüms „Premier Jour“von Nina Ricci, mit dem es gekennzeic­hnet war, das hochtoxisc­he Nervengas befand. Schmuggelt­en die Männer darin das Gift ins Königreich? Das nehmen die Ermittler an.

Mithilfe der in Großbritan­nien weit verbreitet­en Überwachun­gskameras konnten sie den Weg der zwei Männer nachvollzi­ehen. Diese fuhren bereits am Samstag, ein Tag vor dem Anschlag, nach Salisbury, um den Ort auszukunds­chaften, wie die britische Anti-Terror-Einheit vermutet. Sie kehrten nach London in ihr Hotelzimme­r zurück, in dem ebenfalls Spuren von Nowitschok gefunden wurden, um dann erneut in die südenglisc­he Kleinstadt zu reisen. Kameras zeigen die Verdächtig­en in der Nachbarsch­aft der Skripals. Die Polizei geht davon aus, dass sie nach dem Anbringen des Kampfstoff­s an der Haustür den nächsten Zug nach Heathrow genommen haben und sofort zurück nach Moskau geflogen sind.

„Die Namen und Bilder sagen uns nichts.“

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BILD: SN/AP Russlands Präsident Wladimir Putin steht einmal mehr im Zwielicht.

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