Eine Pilgerreise zu Schubert
Elisabeth Leonskaja beschäftigt sich intensiv wie kaum jemand sonst mit Schuberts Klavierwerk.
„Die Frage ist nicht: Ist Schubert der richtige Komponist für mich? Sondern: Bin ich der richtige Pianist für Schubert?“Ein Gespräch mit Elisabeth Leonskaja trägt mitunter zenbuddhistische Züge. Mit der Lebensweisheit, die sie gesammelt hat, gibt sich die 72Jährige nicht zufrieden. Immer wieder hinterfragt sie ihr Tun, nichts scheint endgültig.
Womöglich kommt die Pianistin darin ihrem großen Förderer Svjatoslav Richter nahe, dessen Spiel in späten Jahren ja gleichermaßen existenziell wie werkdienlich war. Seit 1978 lebt die im Tiflis der Sowjet-Zeit geborene Pianistin in Wien. Seither hat sie als Solistin wie auch als Kammermusikerin Weltkarriere gemacht und ihr Repertoire ständig erweitert. Leonskaja spielt Mozart und Beethoven, Chopin und Skrjabin, Schumann und Brahms, Rachmaninow und Schostakowitsch. Zuletzt tourte sie mit Webern und Schönberg durch Europas Konzertsäle.
Immer wieder aber kehre sie zu Schuberts Klaviermusik zurück, sagt Leonskaja: „Das sind heilige Texte. Man muss diese Musik in sich finden, nicht umgekehrt.“Zum 70. Geburtstag der Pianistin erschien 2016 auf dem kleinen Berliner Label eaSonus eine Einspielung der späten Sonaten. Im Herbst 2018 wird die Schubert-Integrale mit den frühen Sonaten komplettiert. „Diese Gesamteinspielung war eine geistige und seelische Erfahrung, eine wunderbare Pilgerreise“, erzählt sie.
Drei, vier Jahre dauert die intensive Beschäftigung mit dieser „emotional eigenen, sehr wienerischen“Musik an. Die frühen Sonaten habe sie „in einem Zug“eingespielt. „Früher Schubert ist wie Haydn“, erläutert Leonskaja. „Was danach kommt, ist wie eine Evolution des Stils.“Das Spätwerk sei symphonisch, vieles daran weise auf Anton Bruckner hinaus.
Zwei der späten Sonaten interpretierte Elisabeth Leonskaja bei den Musiktagen Mondsee. Das Festival widmet dem unerschöpflichen Kammermusik-Werk Schuberts einen Schwerpunkt und sicherte sich dafür eine der bedeutendsten Schubert-Pianistinnen unserer Zeit. Das wurde am Dienstag im Kopfsatz der G-Dur-Sonate, D 894, deutlich, dessen sprichwörtliche „himmlische Längen“Leonskaja nie ins Leere laufen lassen. Sie formt Seitenthemen, Ausbrüche, aber auch kleine, unprätentiöse Rubati stets organisch aus der logischen Entwicklung des Satzes heraus. Alles ist im triolischen Fluss, locker federnd, ganze zwanzig Minuten lang. Die Ausdruckstiefe, mit der Leonskaja das Klavier singen lässt, die langen Melodiebögen mit Binnenspannung anreichert, berührt zutiefst.
Einen weiteren großen Moment bildet das Trio im Menuett, das wie eine Insel in Leonskajas ruhigem Erzählton atmet, auf den schlichten Kern reduziert seine ganze Tiefe offenbart. Dass emotionaler Gehalt mit russisch geschulter Brillanz korrespondiert, zeigt der Finalsatz: Ein feiner slawischer Sprachton mischt sich in diese heiteren Episoden. Leonskaja weiß auch genau, wie sie sich die Dreiviertelstunde energetisch und gestalterisch einteilen muss, um noch Kraft und Spielwitz für die Schlusspointe zu besitzen.
Die Erfahrung, die Leonskaja auf ihrer Schubert-Pilgerreise der letzten Jahre gemacht hat, gibt sie direkt an den Hörer weiter – eine Interpretation mit therapeutischem Effekt. Im Ambiente des ehemaligen Klosters entfaltet diese Musik unter ihren Händen auch eine sakrale, metaphysische Wirkung.
Doch wie ist diese Präzision, auch die mentale Kondition im doch schon höheren Pianistenalter möglich? „Man muss seinen Körper kennen und braucht natürlich Disziplin“, sagt Elisabeth Leonskaja.
Diese Strenge kommt nach der Pause Schumanns Klavierquintett zugute: Als Dialogpartnerin findet die Pianistin mit dem Auryn Quartett schnell zu einer gemeinsamen Linie. Mit großer Übersicht ordnet sie – etwa in den heiklen Wendungen des langsamen Satzes – Klang und Struktur, nimmt sich auch zurück, um die Streicherfarben der Festival-Gastgeber zur Geltung kommen zu lassen. Zuletzt bekam das Publikum noch das Andante des Brahms-Quintetts zu hören: große Emotion am Ende eines Abends voller Seelenmusik.
„Die Gesamteinspielung war eine geistige und seelische Erfahrung.“Elisabeth Leonskaja, Pianistin