Die Demokratie ist heute mehr denn je in der Krise
Regierende Rechtspopulisten missachten Grundprinzipien der EU, das Vorbild Amerika gerät auf Abwege.
SALZBURG. Globalisten treffen auf Nationalisten. Proeuropäer ringen mit EU-Feinden. Diese Frontstellung zeichnet sich bei den Europawahlen im Mai 2019 ab. Sollten die rechtspopulistischen und rechtsextremen Kräfte allzu große Stimmengewinne erzielen, könnte die Europäische Union in eine kritische Situation geraten, sagt Ivan Krastev. Dann droht nach Ansicht des bulgarischen Politikforschers ein „dysfunktionales EU-Parlament“.
Überhaupt sieht der Analytiker das Anwachsen rechtspopulistischer Parteien als ein Alarmzeichen für die EU. Denn die Union sei ganz auf eine koordinierte, orchestrierte Politik ausgerichtet, betont Krastev im SN-Gespräch: „Es wird sehr schwierig, wenn es gleich in vier oder fünf wichtigen EU-Ländern Regierungen gibt, die ihre Politik danach ausrichten, sich der EU zu widersetzen.“
Europaweit scheinen rechtspopulistische Gruppen auf dem Vormarsch zu sein. In der Opposition treten sie als lautstarke Protestparteien auf. Regierende Rechtspopulisten sind dabei, Grundpfeiler der Demokratie zu demontieren – wie in Ungarn oder Polen. Auch Europa wird damit zum Beispielsfall für die besorgte Debatte über die „Zukunft der Demokratie“, wie zuletzt beim „Trilog“-Symposion der Bertelsmann-Stiftung in Salzburg.
Krastev beschwichtigt die Gemüter mit dem Hinweis, dass der Diskurs über die Krise von Anfang typisch für die Demokratie gewesen sei. Immer wieder hätten sich die Menschen darüber beschwert, dass die demokratische Regierungsform in einer krisenhaften Entwicklung sei. 1983 hat der französische Philosoph Jean-François Revel einen Bestseller geschrieben mit dem Titel „So enden Demokratien“. Nicht enden will die Klage darüber, dass die in einer Demokratie Regierenden zu sehr dazu neigten, dem Volk zu gefallen. Massives Misstrauen gegen das Volk steckt in Winston Churchills Diktum, das stärkste Argument gegen die Demokratie sei eine zehnminütige Unterhaltung mit einem gewöhnlichen Wähler.
Krastev verweist aber gleichzeitig darauf, dass zweierlei neu sei in dieser alten Debatte. Zum einen redeten wir jetzt über eine Krise der Demokratie nach zwei Jahrzehnten, „in denen wir es für garantiert gehalten haben, dass Demokratie der Weg in die Zukunft ist“. Nach 1989 hatte die liberale Demokratie laut seiner Darstellung keine attraktive universelle Alternative. Die Ausbreitung der Demokratie schien auch ein Ergebnis des globalen Einflusses der USA zu sein. Heute hingegen gehört zur Krise der Demokratie offenbar auch eine Krise der Demokratie in Amerika – „in einem Land also, das als Symbol der Demokratie gilt“.
Zum anderen trete der Autoritarismus viel effizienter auf, stellt Krastev fest. Insbesondere China repräsentiert diesen neuen Typus autoritärer Herrschaft: Er beruht auf Marktwirtschaft und Big Data. Das Regime in Peking erhält die Informationen darüber, was in der Gesellschaft vor sich geht, in starkem Maße aus der Internetwelt; es braucht keine Polizeispitzel mehr.
Der Verbund der Demokratien in der Europäischen Union steckt auch deswegen in der Krise, weil in den beiden Hälften unseres Kontinents unterschiedliche politische Vorstellungen herrschen. Aber schon vor hundert Jahren hat es, wie Krastev erläutert, zwei Europas gegeben: „Eines ethnisch relativ homogen, das war Westeuropa. Das andere multikulturell und multiethnisch, das war Mittel- und Osteuropa, vor allem das frühere Habsburgerreich.“Auch heute gibt es zwei Europas, bloß spiegelverkehrt: „Eines ethnisch homogen, das ist Mittel- und Osteuropa. Das andere ethnisch und kulturell divers, das ist Westeuropa.“
Daraus resultieren krass konträre Positionen in der Migrationsfrage: Wir sollten mit aller Macht unsere Grenzen bewahren, heißt es im Osten. Wir müssen darauf dringen, die vielen Zuwanderer kulturell zu integrieren, tönt es im Westen.
„Europadämmerung“lautet folglich der prägnante Titel von Krastevs fulminantem Essay (Suhrkamp Verlag, Berlin 2017). Aber ein Positivum der Krise sieht der Analytiker darin, dass die Europäer angefangen hätten, viel stärker am anderen interessiert zu sein. Die Ungarn und Polen wüssten heute mehr über die deutsche Asylpolitik, die Deutschen viel mehr über die griechische Wirtschaft als je zuvor.
„In Krisenzeiten ist Flexibilität das Wichtigste. Nur den Status quo zu verteidigen ist stets die falsche Politik. Auch die Idee, die EU zu reduzieren auf einen wirtschaftlichen Raum völlig souveräner Nationalstaaten, kann nicht funktionieren.“