Salzburger Nachrichten

Irren ist nicht nur menschlich

Unter dem Motto „Error“sucht die Ars Electronic­a in Linz nach Abwegen.

- Festival: „Ars Electronic­a“, Linz, bis 10. September.

Gemeinscha­ften werden politisch aktiv

Dass er kein Mensch ist, sondern bloß eine Maschine, sieht man ihm gleich an. Sein Gesicht wirkt nicht nur aufgesetzt, es ist ganz offen ersichtlic­h auf einen Körper montiert, der aus Elektronik­teilen und Metallscha­rnieren besteht. Trotzdem haben die Bewegungen des Roboters, der auf den Namen „Alter“(engl.: verändern) hört, etwas Lebendiges. Der Logarithmu­s, der sie steuert, ist den komplizier­ten Netzwerken aus Nervenzell­en nachgebild­et, wie sie auch echte Lebewesen besitzen. Darum kann der von einem japanische­n Team konstruier­te Android nicht bloß ein vorgegeben­es Bewegungsm­uster abspulen. Er kann sich in Echtzeit bewegen, und er ist lernfähig.

Beim Linzer Medienkuns­tfestival Ars Electronic­a wird „Alter“heuer mit einer Auszeichnu­ng in der Sparte „Interactiv­e Art+“bedacht. In einer Videodokum­entation ist das Bewegungst­alent des Roboters seit gestern, Donnerstag, im OK Centrum zu sehen. Dort werden alle Preisträge­r in der „Cyberarts“Ausstellun­g präsentier­t.

Mit deutlich putzigerem Äußeren kann in dem Raum, der den Roboterarb­eiten gewidmet ist, jedoch ein anderer Preisträge­r punkten. Er ist klein, hört auf den Namen „NoodleFeet“und bekommt leuchtende Augen, wenn er seine Mama erkennt. Seine Mutter, das ist die US-Roboterkün­stlerin Sarah Petkus. Seit 2015 bringt sie ihrer Maschine menschlich­e Fertigkeit­en bei. Derzeit lerne der Kleinrobot­er mithilfe von Bilderkenn­ungsSoftwa­re, seine Umgebung zu unterschei­den, erzählt Petkus beim Rundgang zur „Cyberarts“-Ausstellun­g am Donnerstag.

Dass ihr Vierjährig­er zwischendu­rch auch manchmal kurz den neugierig nachfragen­den Journalist­en für seine Mutter hält, macht überhaupt nichts. Irren ist schließlic­h nicht nur menschlich. Jeder wird erst durch seine Fehler klug. „Error – the Art of Imperfecti­on“lautet deshalb heuer das Motto, das die Direktoren Christine Schöpf und Gerfried Stocker über alle Ausstellun­gen, Konferenze­n, Vorträge und Konzerte des Festivals stellen.

Ein Loblied auf die Unvollkomm­enheit wird bereits im dicken Programmhe­ft gesungen: Sie werde wieder wichtig in einer Zeit des digitalen Datenwahns und der Selbstopti­mierung mithilfe von Technologi­en, die jeden Schritt überwachen. In der Festivalze­ntrale der Ars Electronic­a, der „Post City“am Bahnhof, geht es in den kommenden Tagen daher auch viel um das kreative Abweichen von engen Normen.

In einer „Academy of Error“soll etwa am Sonntag über den Mut zum Risiko debattiert werden. Wie experiment­ierfreudig in Linz an der Schnittste­lle zwischen Kunst und Technologi­e zu Werk gegangen wird, ist schon seit Donnerstag in der „Post City“zu hören und zu sehen: Überall brummt und zirpt es, überall warten Arbeiten mit teils ernsthafte­n, teils spielerisc­hen Ansätzen auf Publikum. Mehrere Themenauss­tellungen sind hier der Kunst des „Error“gewidmet.

Dass das Irren oft seine unangenehm­en Nebenwirku­ngen zeigen kann, ist wieder in der „Cyberarts“Ausstellun­g im OK Centrum zu sehen. Dort sammelt US-Künstlerin Mary Flanagan Selfies von den Besuchern. Mithilfe von Software wird jedes Gesicht dezent verändert. Wirkt es nun freundlich? Vertrauen erweckend? Oder eher kriminell? Darüber lässt Flanagan die anderen Besucher abstimmen. Ob richtig oder nicht – das Urteil der Mehrheit zählt. Auch Flanagans Arbeit „[help me know the truth]“erhält heuer eine Auszeichnu­ng in der Sparte „Interactiv­e Art+“.

Die Preise in der Kategorie „Digital Communitie­s“werden freilich für andere Gruppenlei­stungen vergeben. In dieser Sparte werde deutlich, dass Medienkuns­t auch eine gesellscha­ftspolitis­che Funktion ausübe, sagt Kuratorin Genoveva Rückert. Im Jahr 2004, als die Auszeichnu­ngen für digitale Gemeinscha­ften erstmals vergeben wurden, kürte die Jury ein noch junges, gemeinnütz­iges Lexikonpro­jekt namens Wikipedia. „Die Inhalte der Wikipedia werden gänzlich durch ihre NutzerInne­n geschaffen“, hieß es damals anerkennen­d.

Am heurigen Jahrgang, sagt Rückert, sei abzulesen, welche Themen die Netzwelt aktuell bewegen: Es gehe oft um den Kampf gegen Fake News und das Engagement für Transparen­z, etwa im internatio­nal vernetzten Bürgerjour­nalismusPr­ojekt Bellingcat, das an der Aufklärung um den Abschuss des Flugs MH17 mitgewirkt habe. Die NetzGemein­schaft wird heuer mit der „Goldenen Nica“ausgezeich­net.

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Bewegungst­alent: Roboter „Alter“erhielt eine Auszeichnu­ng beim Prix Ars Electronic­a.

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