Irren ist nicht nur menschlich
Unter dem Motto „Error“sucht die Ars Electronica in Linz nach Abwegen.
Gemeinschaften werden politisch aktiv
Dass er kein Mensch ist, sondern bloß eine Maschine, sieht man ihm gleich an. Sein Gesicht wirkt nicht nur aufgesetzt, es ist ganz offen ersichtlich auf einen Körper montiert, der aus Elektronikteilen und Metallscharnieren besteht. Trotzdem haben die Bewegungen des Roboters, der auf den Namen „Alter“(engl.: verändern) hört, etwas Lebendiges. Der Logarithmus, der sie steuert, ist den komplizierten Netzwerken aus Nervenzellen nachgebildet, wie sie auch echte Lebewesen besitzen. Darum kann der von einem japanischen Team konstruierte Android nicht bloß ein vorgegebenes Bewegungsmuster abspulen. Er kann sich in Echtzeit bewegen, und er ist lernfähig.
Beim Linzer Medienkunstfestival Ars Electronica wird „Alter“heuer mit einer Auszeichnung in der Sparte „Interactive Art+“bedacht. In einer Videodokumentation ist das Bewegungstalent des Roboters seit gestern, Donnerstag, im OK Centrum zu sehen. Dort werden alle Preisträger in der „Cyberarts“Ausstellung präsentiert.
Mit deutlich putzigerem Äußeren kann in dem Raum, der den Roboterarbeiten gewidmet ist, jedoch ein anderer Preisträger punkten. Er ist klein, hört auf den Namen „NoodleFeet“und bekommt leuchtende Augen, wenn er seine Mama erkennt. Seine Mutter, das ist die US-Roboterkünstlerin Sarah Petkus. Seit 2015 bringt sie ihrer Maschine menschliche Fertigkeiten bei. Derzeit lerne der Kleinroboter mithilfe von BilderkennungsSoftware, seine Umgebung zu unterscheiden, erzählt Petkus beim Rundgang zur „Cyberarts“-Ausstellung am Donnerstag.
Dass ihr Vierjähriger zwischendurch auch manchmal kurz den neugierig nachfragenden Journalisten für seine Mutter hält, macht überhaupt nichts. Irren ist schließlich nicht nur menschlich. Jeder wird erst durch seine Fehler klug. „Error – the Art of Imperfection“lautet deshalb heuer das Motto, das die Direktoren Christine Schöpf und Gerfried Stocker über alle Ausstellungen, Konferenzen, Vorträge und Konzerte des Festivals stellen.
Ein Loblied auf die Unvollkommenheit wird bereits im dicken Programmheft gesungen: Sie werde wieder wichtig in einer Zeit des digitalen Datenwahns und der Selbstoptimierung mithilfe von Technologien, die jeden Schritt überwachen. In der Festivalzentrale der Ars Electronica, der „Post City“am Bahnhof, geht es in den kommenden Tagen daher auch viel um das kreative Abweichen von engen Normen.
In einer „Academy of Error“soll etwa am Sonntag über den Mut zum Risiko debattiert werden. Wie experimentierfreudig in Linz an der Schnittstelle zwischen Kunst und Technologie zu Werk gegangen wird, ist schon seit Donnerstag in der „Post City“zu hören und zu sehen: Überall brummt und zirpt es, überall warten Arbeiten mit teils ernsthaften, teils spielerischen Ansätzen auf Publikum. Mehrere Themenausstellungen sind hier der Kunst des „Error“gewidmet.
Dass das Irren oft seine unangenehmen Nebenwirkungen zeigen kann, ist wieder in der „Cyberarts“Ausstellung im OK Centrum zu sehen. Dort sammelt US-Künstlerin Mary Flanagan Selfies von den Besuchern. Mithilfe von Software wird jedes Gesicht dezent verändert. Wirkt es nun freundlich? Vertrauen erweckend? Oder eher kriminell? Darüber lässt Flanagan die anderen Besucher abstimmen. Ob richtig oder nicht – das Urteil der Mehrheit zählt. Auch Flanagans Arbeit „[help me know the truth]“erhält heuer eine Auszeichnung in der Sparte „Interactive Art+“.
Die Preise in der Kategorie „Digital Communities“werden freilich für andere Gruppenleistungen vergeben. In dieser Sparte werde deutlich, dass Medienkunst auch eine gesellschaftspolitische Funktion ausübe, sagt Kuratorin Genoveva Rückert. Im Jahr 2004, als die Auszeichnungen für digitale Gemeinschaften erstmals vergeben wurden, kürte die Jury ein noch junges, gemeinnütziges Lexikonprojekt namens Wikipedia. „Die Inhalte der Wikipedia werden gänzlich durch ihre NutzerInnen geschaffen“, hieß es damals anerkennend.
Am heurigen Jahrgang, sagt Rückert, sei abzulesen, welche Themen die Netzwelt aktuell bewegen: Es gehe oft um den Kampf gegen Fake News und das Engagement für Transparenz, etwa im international vernetzten BürgerjournalismusProjekt Bellingcat, das an der Aufklärung um den Abschuss des Flugs MH17 mitgewirkt habe. Die NetzGemeinschaft wird heuer mit der „Goldenen Nica“ausgezeichnet.