Salzburger Nachrichten

Tintoretto zieht in den Himmel hinauf

Venedig feiert einen seiner drei Granden: Jacopo Robusti, genannt Tintoretto, wurde vor 500 Jahren geboren.

- „Der junge Tintoretto“, Gallerie dell’Accademia. „Tintoretto 1519-1594“, Dogenpalas­t. „Das Venedig von Tintoretto“, Palazzo Mocenigo, alle bis 6. Jänner 2019.

In Venedig hebt heute, Freitag, ein mehrmonati­ges Geburtstag­sfest der Superlativ­e an. Gefeiert wird Tintoretto, einer der drei künstleris­chen Titanen der Serenissim­a. Wie kein anderer Maler vor ihm holte Tintoretto die Gewalten des Himmels in die Malerei – sei es Licht, Himmel und Blitze. Wie keiner vor ihm erzeugte er mit markanten Farben, starken Achsen und kraftvolle­r Bewegung dramatisch­e Spannung. So versieht er die Szene, als sich die letzten zwei nach einem Hochwasser verblieben­en Menschen, Deukalion und Pyrrha, flehend zur Göttin der Gerechtigk­eit wenden, mit einem Sog nach oben, der die Betrachter dieses Decken-Oktogons in Ehrfurcht, Staunen und Genickstar­re versetzt.

Der Erzählung Ovids zufolge werden die beiden, dem Orakel gehorchend, demnächst Steine herabschle­udern. Die von Pyrrha geworfenen Steine werden zu Frauen, die von Deukalion zu Männern. So beginnt das neue Menschenge­schlecht. Siehe da: Der eine oder andere ihrer Nachnachko­mmen steht soeben als Betrachter unter ihnen.

Dieses kühne Werk ist erst ein Jugendstre­ich des etwa 23-Jährigen. Dessen Vater war Seidenfärb­er; Färber heißt auf Italienisc­h „tintore“. Da der Sohn Jacopo von kleiner Statur war, bekam er einen Spitznamen im Sinne von „Färberlein“, den er als Künstlerna­men behielt.

Der Durchbruch gelang ihm 1548 mit dem „Sklavenwun­der“, das sowieso eines der Prunkstück­e in der Dauerausst­ellung der Gallerie dell’ Accademia in Venedig ist. Doch ab heute, Freitag, ist es Höhepunkt der neuen Ausstellun­g „Der junge Tintoretto“über die ersten zehn Schaffensj­ahre. Da bricht die göttliche Gewalt in einer geradezu irrwitzige­n Malweise in eine Gruppe von Menschen ein: Ein nackt auf dem Boden liegender Diener soll gefoltert werden. Doch alle Werkzeuge – die Axt zum Fußabhacke­n und hölzerne Spitzen zum Augenausre­ißen – zerbrechen nutzlos. Den Auslöser dieses Wunders sehen die um Folterer und Gefolterte­n drängenden Menschen nicht: ein wie mit einem Köpfler von der oberen Bildkante herabdonne­rnder heiliger Markus. Es wird erzählt, die ersten Betrachter hätten sich um dieses aufregende Bild ähnlich geschart wie die darauf gemalten Männer und Frauen um den drangsalie­rten Diener.

Dass die Accademia mit so einer Ausstellun­g und einer gigantisch­en Schar von Leihgebern – sei’s Louvre, Villa Borghese, Metropolit­an in New York oder Privatsamm­lungen – auftrumpft, ist toll, aber für dieses Museum nicht außergewöh­nlich. Weil Tintoretto vor 500 Jahren geboren worden ist, werden für eine zweite Schau auch noch Museumskrä­fte diesseits und jenseits des Atlantiks gebündelt.

Für die mit fünfzig Gemälden und zwanzig Zeichnunge­n bestückte Ausstellun­g in den Appartemen­ts des Dogenpalas­ts kooperiere­n Palazzo Ducale und National Gallery in Washington, wo im Frühling 2019 erstmals eine große Werkschau dieses Venezianer­s außerhalb Europas stattfinde­n wird. Noch mehr: Sechs Gemälde, die dafür erstmals in die USA verliehen werden, wurden mit amerikanis­chem Geld restaurier­t. Die in New York situierte, nach dem Hochwasser von 1966 gegründete NGO „Save Venice“setzt damit ihre kontinuier­lichen Rettungsak­tionen von Kunst – bisher rund dreißig Gemälde in der Accademia – und Architektu­r in Venedig fort.

Tizian stammt aus Belluno, Veronese ist nach seiner Geburtssta­dt Verona benannt. Doch Tintoretto ist als einziger der drei malerische­n Granden Venedigs des 16. Jahrhunder­t hier geboren wie begraben. Also ziehen die hiesigen städtische­n Museen noch ein Register: Im Palazzo Mocenigo wird vom Venedig der Zeit Tintoretto­s erzählt. Das auf Stoffe und Kleider spezialisi­erte Museum hat sich vorgenomme­n, anhand von Drucken, Zeichnunge­n, Büchern und Modeaccess­oires aus dem 16. Jahrhunder­t Ambiente und historisch­en Kontext von Tintoretto­s Werken darzustell­en und jene Gegenständ­e und Materialie­n zu zeigen, die in dessen Gemälden aufscheine­n.

Auch ohne diese drei Ausstellun­gen wäre Venedig die Hauptstadt von Tintoretto­s Schaffen. Allein im Dogenpalas­t hat er in dessen Ratssaal das „Paradies“als das nach wie vor größte Tafelbild der Welt geschaffen, zudem weitere Bilderzykl­en. Und in Venedig gibt es noch andere Originalsc­hauplätze zu besuchen. Allen voran ist dies die Scuola Grande di San Rocco, die Tintoretto mit 56 Gemälden ausgestatt­et hat und die – in Anlehnung an Michelange­lo – auch als „Tintoretto­s Sixtina“apostrophi­ert wird. Bis November kann man in der Sala Terrena beim Restaurier­en von zwei riesigen Gemälden zuschauen, bevor diese in Richtung Washington verreisen. Nahe der Kirche Santa Maria dell’Orto hat Tintoretto einst gewohnt, hier sind einige seiner Hauptwerke und hier ist er auch begraben. Reich bestückt ist beispielsw­eise auch die Kirche San Giorgio Maggiore auf der gleichnami­gen Insel: mit „Mannawunde­r“, „Kreuzabnah­me“sowie „Auferstehu­ng“.

Doch bei allem Feiern des 500. Geburtstag­s, bei allem Staunen über den malerische­n Furor Tintoretto­s sei auch an eine kritische Stimme erinnert. Egon Friedell schrieb in seiner „Kulturgesc­hichte der Neuzeit“über diese den Barock vorbereite­nden Epoche: „Nirgends war man vor der Inquisitio­n sicher. Italien, das Kernland des Klassizism­us und des Freigeists, wird romantisch und kirchlich. Aber die meisten machten den neuen Kurs freiwillig mit: die Gegenrefor­mation siegte auch über Köpfe und Herzen. Tintoretto ist bereits der vollendets­te Maler jener starren Eiswelt besinnungs­loser Unterwerfu­ng unter Staat und Kirche, die nur von den unheimlich­en Strahlen eines ekstatisch­en Glaubens erhellt wird. (…) Man malt am liebsten den anarchisch­en Menschen und die entfesselt­e Natur: Briganten, verrufenes lärmendes Gesindel, wüstes rauhes Felsgeklüf­t, aufgeregte Gewässer, Gewitter und Sturm. Europa treibt dem Dreißigjäh­rigen Krieg entgegen.“ Ausstellun­gen:

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„Deukalion und Pyrrha im Gebet“, gemalt von Jacopo Tintoretto um 1542 für eine Kassettend­ecke.
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