Tintoretto zieht in den Himmel hinauf
Venedig feiert einen seiner drei Granden: Jacopo Robusti, genannt Tintoretto, wurde vor 500 Jahren geboren.
In Venedig hebt heute, Freitag, ein mehrmonatiges Geburtstagsfest der Superlative an. Gefeiert wird Tintoretto, einer der drei künstlerischen Titanen der Serenissima. Wie kein anderer Maler vor ihm holte Tintoretto die Gewalten des Himmels in die Malerei – sei es Licht, Himmel und Blitze. Wie keiner vor ihm erzeugte er mit markanten Farben, starken Achsen und kraftvoller Bewegung dramatische Spannung. So versieht er die Szene, als sich die letzten zwei nach einem Hochwasser verbliebenen Menschen, Deukalion und Pyrrha, flehend zur Göttin der Gerechtigkeit wenden, mit einem Sog nach oben, der die Betrachter dieses Decken-Oktogons in Ehrfurcht, Staunen und Genickstarre versetzt.
Der Erzählung Ovids zufolge werden die beiden, dem Orakel gehorchend, demnächst Steine herabschleudern. Die von Pyrrha geworfenen Steine werden zu Frauen, die von Deukalion zu Männern. So beginnt das neue Menschengeschlecht. Siehe da: Der eine oder andere ihrer Nachnachkommen steht soeben als Betrachter unter ihnen.
Dieses kühne Werk ist erst ein Jugendstreich des etwa 23-Jährigen. Dessen Vater war Seidenfärber; Färber heißt auf Italienisch „tintore“. Da der Sohn Jacopo von kleiner Statur war, bekam er einen Spitznamen im Sinne von „Färberlein“, den er als Künstlernamen behielt.
Der Durchbruch gelang ihm 1548 mit dem „Sklavenwunder“, das sowieso eines der Prunkstücke in der Dauerausstellung der Gallerie dell’ Accademia in Venedig ist. Doch ab heute, Freitag, ist es Höhepunkt der neuen Ausstellung „Der junge Tintoretto“über die ersten zehn Schaffensjahre. Da bricht die göttliche Gewalt in einer geradezu irrwitzigen Malweise in eine Gruppe von Menschen ein: Ein nackt auf dem Boden liegender Diener soll gefoltert werden. Doch alle Werkzeuge – die Axt zum Fußabhacken und hölzerne Spitzen zum Augenausreißen – zerbrechen nutzlos. Den Auslöser dieses Wunders sehen die um Folterer und Gefolterten drängenden Menschen nicht: ein wie mit einem Köpfler von der oberen Bildkante herabdonnernder heiliger Markus. Es wird erzählt, die ersten Betrachter hätten sich um dieses aufregende Bild ähnlich geschart wie die darauf gemalten Männer und Frauen um den drangsalierten Diener.
Dass die Accademia mit so einer Ausstellung und einer gigantischen Schar von Leihgebern – sei’s Louvre, Villa Borghese, Metropolitan in New York oder Privatsammlungen – auftrumpft, ist toll, aber für dieses Museum nicht außergewöhnlich. Weil Tintoretto vor 500 Jahren geboren worden ist, werden für eine zweite Schau auch noch Museumskräfte diesseits und jenseits des Atlantiks gebündelt.
Für die mit fünfzig Gemälden und zwanzig Zeichnungen bestückte Ausstellung in den Appartements des Dogenpalasts kooperieren Palazzo Ducale und National Gallery in Washington, wo im Frühling 2019 erstmals eine große Werkschau dieses Venezianers außerhalb Europas stattfinden wird. Noch mehr: Sechs Gemälde, die dafür erstmals in die USA verliehen werden, wurden mit amerikanischem Geld restauriert. Die in New York situierte, nach dem Hochwasser von 1966 gegründete NGO „Save Venice“setzt damit ihre kontinuierlichen Rettungsaktionen von Kunst – bisher rund dreißig Gemälde in der Accademia – und Architektur in Venedig fort.
Tizian stammt aus Belluno, Veronese ist nach seiner Geburtsstadt Verona benannt. Doch Tintoretto ist als einziger der drei malerischen Granden Venedigs des 16. Jahrhundert hier geboren wie begraben. Also ziehen die hiesigen städtischen Museen noch ein Register: Im Palazzo Mocenigo wird vom Venedig der Zeit Tintorettos erzählt. Das auf Stoffe und Kleider spezialisierte Museum hat sich vorgenommen, anhand von Drucken, Zeichnungen, Büchern und Modeaccessoires aus dem 16. Jahrhundert Ambiente und historischen Kontext von Tintorettos Werken darzustellen und jene Gegenstände und Materialien zu zeigen, die in dessen Gemälden aufscheinen.
Auch ohne diese drei Ausstellungen wäre Venedig die Hauptstadt von Tintorettos Schaffen. Allein im Dogenpalast hat er in dessen Ratssaal das „Paradies“als das nach wie vor größte Tafelbild der Welt geschaffen, zudem weitere Bilderzyklen. Und in Venedig gibt es noch andere Originalschauplätze zu besuchen. Allen voran ist dies die Scuola Grande di San Rocco, die Tintoretto mit 56 Gemälden ausgestattet hat und die – in Anlehnung an Michelangelo – auch als „Tintorettos Sixtina“apostrophiert wird. Bis November kann man in der Sala Terrena beim Restaurieren von zwei riesigen Gemälden zuschauen, bevor diese in Richtung Washington verreisen. Nahe der Kirche Santa Maria dell’Orto hat Tintoretto einst gewohnt, hier sind einige seiner Hauptwerke und hier ist er auch begraben. Reich bestückt ist beispielsweise auch die Kirche San Giorgio Maggiore auf der gleichnamigen Insel: mit „Mannawunder“, „Kreuzabnahme“sowie „Auferstehung“.
Doch bei allem Feiern des 500. Geburtstags, bei allem Staunen über den malerischen Furor Tintorettos sei auch an eine kritische Stimme erinnert. Egon Friedell schrieb in seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“über diese den Barock vorbereitenden Epoche: „Nirgends war man vor der Inquisition sicher. Italien, das Kernland des Klassizismus und des Freigeists, wird romantisch und kirchlich. Aber die meisten machten den neuen Kurs freiwillig mit: die Gegenreformation siegte auch über Köpfe und Herzen. Tintoretto ist bereits der vollendetste Maler jener starren Eiswelt besinnungsloser Unterwerfung unter Staat und Kirche, die nur von den unheimlichen Strahlen eines ekstatischen Glaubens erhellt wird. (…) Man malt am liebsten den anarchischen Menschen und die entfesselte Natur: Briganten, verrufenes lärmendes Gesindel, wüstes rauhes Felsgeklüft, aufgeregte Gewässer, Gewitter und Sturm. Europa treibt dem Dreißigjährigen Krieg entgegen.“ Ausstellungen: