Ein Tennisdrama mit vielen Tränen
Mit dem Titelgewinn bei den US Open schaffte Naomi Ōsaka eine Tennis-Sensation. Konkurrentin Serena Williams stand sogar kurz vor der Disqualifikation.
Ōsaka schafft Sensation bei den US Open, Williams verursacht einen großen Eklat.
Es hätte ein Moment der tiefen Freude sein sollen, aber Naomi Ōsaka stand nach dem 6:2-und-6:4Sieg gegen Serena Williams auf dem Podium und musste sich Mühe geben, die Fassung nicht ganz zu verlieren. Das Volk buhte. Das Volk in New York bei den US Open war empört, weil es fand, Williams sei Unrecht widerfahren. Aber wenn es an diesem denkwürdigen Nachmittag im Arthur-Ashe-Stadion einen Dieb gab, wie Williams während des Spiels behauptet hatte, dann war es das Publikum, das die Siegerin um ein einzigartiges Gefühl betrog. Eine Träne rollte über Ōsakas Wange, und es tat weh, das zu sehen.
Vom ersten Ballwechsel an war Ōsaka mit allen Sinnen bei der Sache, strahlte Stärke und Selbstbewusstsein aus, während sich Serena Williams’ sichtbare Nervosität so schnell nicht legte. Immer wieder hatte sie in den beiden Wochen des Turniers wissen lassen, eigentlich habe sie schon gewonnen, ein Jahr nach der Geburt ihrer Tochter und nach den lebensbedrohlichen Komplikationen, gegen die sie danach kämpfen musste.
Souverän gewann Naomi Ōsaka den ersten Satz, und der Mann an der Musikmaschine hatte recht, als er beim Seitenwechsel „This Girl is on Fire“von Alicia Keys spielte, die auf der Tribüne saß.
Doch dann braute sich innerhalb weniger Sekunden ein Sturm zusammen. Im zweiten Spiel des zweiten Satzes sprach Schiedsrichter Carlos Ramos eine Verwarnung wegen Coachings gegen Williams aus. Er hatte die eindeutigen Zeichen gesehen, die deren französischer Coach Patrick Mouratoglou gegeben hatte. Und zehn Minuten später knallte Williams ihren Schläger auf den Boden. Auch dafür sieht das Regelwerk eine Verwarnung vor, Ramos sprach sie aus und zog einen Punkt ab. Williams setzte sich hin, sagte erst einmal nichts, sah aus wie ein Vulkan kurz vor der Eruption.
Die 20-jährige Japanerin spielte ungerührt weiter. Als sei sie allein in ihrer Welt. Nachdem Williams ein weiteres Break kassiert hatte, flippte die 23-fache Grand-SlamSiegerin aus. Sie habe in ihrem ganzen Leben niemals betrogen, polterte sie und ließ den Mann auf dem Stuhl mit unübersehbarem Nachdruck und ausgestrecktem Zeigefinger wissen, er solle sich entschuldigen. Sie fuhr fort und nannte Ramos einen Dieb, weil er ihr einen Punkt gestohlen hatte. Das ging so lange, bis es dem Portugiesen auf dem Stuhl zu viel wurde und er eine weitere Verwarnung aussprach, die den Regeln entsprechend zu einem Spielverlust führte. Ōsaka stand derweil auf ihrer Seite des Platzes mit dem Gesicht zur Wand. Sie bestand diese Prüfungen summa cum laude. Es war eine Demonstration für alle, die bis zu diesem Finale noch nicht gewusst hatten, welche Macht im Spiel der amerikanischen Japanerin steckt und welches Pfund sie für die Zukunft des Frauentennis in die Waagschale wirft, weil sie so ist, wie sie ist. Scheu und gleichzeitig entschlossen, seriös und gleichzeitig spontan.
Mit einem erstklassigen Aufschlag, den Williams nicht returnieren konnte, endete dieses in jeder Hinsicht denkwürdige Spiel, in dem Naomi Ōsaka den ersten Grand-Slam-Titel ihrer jungen Karriere gewann. Aus Respekt vor Williams gönnte sie sich keinen Jubel. Als die lange, extrem innige Umarmung der Siegerin und ihrer Mutter auf der Videowand gezeigt wurde, wurde es einen Moment lang tatsächlich still. Doch als die Siegerehrung beginnen sollte, stieg der Pegel wieder. Die einleitenden Worte der Präsidentin des Tennis-Verbands der USA, Katrina Adams, machten nichts besser. Sie sagte allen Ernstes, das Finale habe sicher nicht zu jenem Ende geführt, das sich alle im Stadion erhofft hätten, und Williams werde immer ein Vorbild sein. Die hatte nach dem ganzen Theater immerhin die Größe, dem Publikum Einhalt zu gebieten und zu sagen: „Hört auf mit den Buhs.“Aber es wird vor allem ein Satz in der Erinnerung an den großen Sieg von Naomi Ōsaka bei diesen US Open übrig bleiben. Als sie später gefragt wurde, ob das, was an diesem Tag passiert sei, irgendwas an ihrem Bild von Serena Williams ändere, da sagte sie: „Ich werde mich immer an die Serena erinnern, die ich liebe.“Auch diese Sätze wären nach dem historischen Match eine Träne wert gewesen.