Salzburger Nachrichten

Viktor Orbán hat den Bogen überspannt

Der antidemokr­atische Umbau Ungarns zeigt deutlich: Die EU-Länder müssen endlich eine rote Linie festlegen.

- Monika Graf MONIKA.GRAF@SN.AT

Viktor Orbán hat seit seiner Wahl vor acht Jahren sein Land umgebaut. Mit einer modernen, offenen europäisch­en Demokratie und vor allem mit einem Rechtsstaa­t ist diese Transforma­tion nicht vereinbar. Die meisten Fakten sind bekannt – von der Zwangspens­ionierung von Richtern, um willfährig­ere Nachfolger zu installier­en, über die Kriminalis­ierung von Nichtregie­rungsorgan­isationen bis zu Behinderun­g von Opposition­sparteien im Wahlkampf.

In vielen Fällen ist die EU-Kommission gegen Gesetzesän­derungen in Ungarn vorgegange­n, in vielen Fällen hat die Regierung in Budapest auch nachgegebe­n und Korrekture­n im Nachhinein vorgenomme­n. Stolze 31 Seiten umfasst ein interner Bericht, in dem die EU-Kommission die Verfahren gegen Ungarn seit 2010 dokumentie­rt. Zwei Schritte vor, einen zurück – so lautet die Taktik, mit der Orbán Kommission und Partnerlän­der seit Jahren an der Nase herumführt. Damit rückt Ungarn aber immer weiter vom demokratis­chen Urmeter der EU ab. Dass Orbán auch vieles richtig gemacht hat, etwa in der Wirtschaft­spolitik oder aus Sicht vieler beim Schutz der EU-Außengrenz­e, ändert am fundamenta­len Problem nichts.

Ob die Schwächung der Demokratie eines EULandes das zulässige Maß überschrit­ten hat, ist jedoch gar nicht so klar messbar, wie sich das viele in den EU-Institutio­nen wünschen oder glauben machen. Die Veränderun­gen geschehen graduell. Und sie sind für viele Bürger kaum merkbar oder auch unerheblic­h. Wen kümmert es schon, wenn eine Zeitung eingestell­t wird, die man ohnehin nicht gelesen hat, oder einer Universitä­t das Aus droht, an der die Kinder sowieso nicht studieren? Und wer mit modernen gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen hadert, ist möglicherw­eise sogar ganz froh, wenn einer wie Orbán durchgreif­t.

In Ungarn aber ist der Umbau nicht nur über viele Jahre hinweg, sondern aus Sicht der EU-Parlamenta­rier auch so gründlich passiert, dass er sich nicht mehr an einzelnen Kriterien festmachen lässt. Die EU-Länder werden früher oder später entscheide­n müssen, bis wohin sich die europäisch­en Grundwerte dehnen lassen und ab wann sie zu hohlen Phrasen verkommen. Es gebe keinen Rabatt auf die Grundwerte, hat Manfred Weber, Chef der Christdemo­kraten im EU-Parlament und Anwärter für den Posten des nächsten Kommission­spräsident­en, erklärt. Er galt bisher als Verteidige­r von Orbán und dessen Partei Fidesz, die ja Webers Fraktion angehört. Heute wird sich zeigen, ob es doch einen Abschlag gibt.

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