Russland übt im Osten
Moskaus Verteidigungsministerium verbreitet gewaltige Manöverzahlen. Auch chinesische Truppen sind in Sibirien mit von der Partie.
Der Aufmarsch wirkt monumental. 300.000 Soldaten, 1000 Flugzeuge, Hubschrauber und andere Fluggeräte, 36.000 Panzer und gepanzerter Kampffahrzeuge, 80 Kriegs- und Transportschiffe nehmen laut dem russischen Verteidigungsministerium teil. In Sibirien und dem russischen Fernosten läuft das Manöver „Wostok 2018“, die größte militärische Übung in der Geschichte des postsowjetischen Russlands – mit Dimensionen, die offenbar aller Welt demonstrieren sollen, dass die russische Armee für einen großen, globalen Krieg gewappnet ist. Der oppositionelle Militärexperte Pawel Felgenhauer verkündet auf dem ukrainischen Portal Apostrof bang: „Das ist die unmittelbare Vorbereitung zum Weltkrieg.“
Beteiligt sind die Truppen des Zentralen und des Östlichen Militärbezirks der russischen Streitkräfte, dazu Fallschirmjäger, Luftwaffe, Nordmeer- und Pazifikflotte, sowie 3200 chinesische und mongolische Soldaten. Sie trainieren auf einer Manöverlinie von 7000 Kilometern und auf einem Dutzend Truppenübungsplätzen die rasche Umverlegung strategischer Truppenmassen aller Waffengattungen und ihr operatives Zusammenwirken in Angriff und Verteidigung.
Vor dem Manöver hatte Generalstabschef Valeri Gerassimow vor ausländischen Militärattachés erklärt, die Übung habe rein defensiven Charakter und richte sich nicht Stefan Scholl berichtet für die SN aus Moskau gegen andere Staaten. Das bombastische Kriegsspiel begann zeitgleich mit dem russischen Ostwirtschaftsforum in Wladiwostok, zu dem unter anderem die Staatsführer Chinas, Südkoreas und Japans eingeladen waren. Auch Verteidigungsminister Sergei Schoigu war zugegen, der „Wostok 2018“nicht ohne Nostalgie mit dem Manöver „Sapad 1981“verglich, als 120.000 Sowjetarmisten einen Panzerkonter gegen einen atomaren Erstschlag der NATO probten.
Nun unterstellte ein NATO-Sprecher den Russen „das Einüben von Großkonflikten“. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen spricht von einer „Machtdemonstration.“
„Politisch soll das Manöver demonstrieren, dass Russland und China gemeinsam in der Lage sind, der stärksten Militärmacht in der Pazifikregion, den USA, zu widerstehen“, sagte der kremlnahe Moskauer Militärexperte Viktor Litowkin den SN. Das zentrale Ereignis des Manövers seien gemeinsame Gefechtsübungen von etwa 26.000 russischen Soldaten mit ihren chinesischen Kameraden auf dem Truppenübungsplatz Zugol am Baikalsee. Ein Großteil der über den Ural, Sibirien und die russischen Fernostregion verstreuten Manövertruppen aber seien Eisenbahner, Nachschubsoldaten oder Techniker, betonte Litowkin.
Kritische Beobachter hegen überhaupt Zweifel an den Zahlen des Verteidigungsministeriums: Der liberale Militärexperte Alexander Golz vermutete, die „vaterländischen Barone von Münchhausen“nutzten die riesigen Entfernungen östlich des Urals, um zu bluffen. Nach Angaben des Jahrbuchs „Military Balance“verfügt der russische Ostmilitärbezirk über nicht mehr als 2000 bis 3000 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, der Zentralmilitärbezirk über etwa 2000. „Selbst wenn man noch 8000 bis 10.000 Autos dazuzählt, fragt man sich, woher sie diese undenkbare Zahl von 36.000 Kampffahrzeugen haben.“Und Golz’ Kollege Felgenhauer bezweifelt trotz seiner Kriegsfurcht, dass die russische Luftwaffe mehr als ein paar Hundert gut ausgebildete Piloten auf die Beine bringt. Von den angeblich 1000 Fluggeräten, die bei „Wostok 2018“mitmanövrieren, sei wohl die Masse unbemannt. „Vielleicht zählen sie auch Drohnen mit, die nur ein paar Hundert Dollar kosten.“
Wladimir Putin jedenfalls kündigte beim Manöverbesuch eine weitere Modernisierung der Armee an. Mit China und der Mongolei gebe es im Übrigen eine „traditionelle Waffenbrüderschaft“.