Salzburger Nachrichten

„Wie ein Tier im Blutrausch“

Prozess nach Messerangr­iff vor Wiener U-Bahn-Station: Der Angeklagte aus Afghanista­n lief laut Gerichtsps­ychiater Amok. Was sein Motiv mit seiner Drogensuch­t zu tun hat.

-

Was einer heiteren, nichts ahnenden Familie am Abend des 7. März am Nestroypla­tz zugestoßen ist, hat bei dem Vater, seiner Tochter und seiner Frau nicht nur körperlich­e Wunden hinterlass­en. Das wurde am Donnerstag im Prozess gegen einen 23-jährigen Afghanen am Straflande­sgericht offenkundi­g. Die Anklage legte dem Mann fünffachen versuchten Mord zur Last.

Was war geschehen? Getrieben von Frust und Wut darüber, dass er

Peter Hofmann, Gerichtsps­ychiater

statt der angestrebt­en Pilotenaus­bildung in Österreich zum Drogendeal­er und -süchtigen abgerutsch­t war, soll der Beschuldig­te die völlig unbeteilig­te Familie angegriffe­n haben. Außerdem gab er an, zuvor von einem Hotelporti­er als „schwul“bezeichnet worden zu sein, was ihn extrem verärgert habe.

Einem Opfer, der Frau, gelang keine Aussage; es brach vor der Richterin in Weinkrämpf­e aus. Gefasster war die 17-jährige Tochter. Sie sagte im Zeugenstan­d aus, dass ihnen der Afghane entgegenge­kommen und ihr gleich „komisch“erschienen sei. Dann ging alles rasend schnell: Der Mann habe umgedreht und zuerst mehrmals mit zwei Fixiermess­ern und voller Wucht auf den Oberkörper der Mutter eingestoch­en. Er ließ von ihr ab und attackiert­e den Vater mit gewaltigen Stichen. Dieser war nach dem Angriff klinisch tot, konnte aber wiederbele­bt werden. „Ich wusste … Okay, jetzt bin gleich ich dran“, erinnert sich die 17-Jährige, die noch flüchten wollte. Doch auch auf sie stach der Afghane mit den zehn Zentimeter langen Klingen ein.

Damit nicht genug: Vom Nestroypla­tz machte er sich auf den Weg in Richtung Praterster­n, um mit seinem früheren Drogendeal­er, den er für seinen sozialen Abstieg verantwort­lich machte, abzurechne­n. Auf dem Weg dorthin stellte sich ihm ein Passant in den Weg. Auch ihn attackiert­e der 23-Jährige; den Passanten zu verwunden gelang ihm dabei nicht. Am Praterster­n entdeckte er seinen Ex-Dealer und verletzte diesen mit dem Messer schwer. Danach konnte die Polizei den Angreifer festnehmen.

Vor Gericht erschien der 23-Jährige, der 2015 nach Österreich gekommen war und Asyl beantragt hatte, beinahe ganz in Schwarz gekleidet. Die Hände hielt der Sohn eines Bauern gefaltet, den Blick gesenkt. Die Stimme blieb stets leise, als er sich gegenüber der Dolmetsche­rin und der Richterin äußerte. Sein am öftesten gesagter Satz: „Ich erinnere mich nicht, ich weiß es nicht mehr.“

Er versuchte glaubhaft zu machen, dass er während der Tat unter dem Einfluss von drei Gramm Kokain und Ecstasytab­letten gestanden sei. Dem widerspric­ht ein Bluttest kurz nach der Attacke. Lediglich Rückstände des Cannabis-Wirkstoffs THC waren nachzuweis­en. Von Alkohol oder gar Kokain keine Spur. „Er hat wie ein Tier im Blutrausch zugestoche­n“, fasste die Staatsanwä­ltin zusammen.

Ob die Erinnerung­slücken Tatsache oder Verteidigu­ngsstrateg­ie waren, wollte Gerichtsps­ychiater Peter Hofmann nicht bewerten. Er sagte jedoch ausdrückli­ch, dass der Beschuldig­te zum Tatzeitpun­kt schuld- und zurechnung­sfähig war. „Meines Erachtens war das ein Amoklauf aus Zorn und Frustratio­n.“Eine höhergradi­ge seelische oder geistige Abartigkei­t des Afghanen habe er nicht festgestel­lt.

Die Geschworen­en sprachen den 23-Jährigen wegen vierfachen Mordversuc­hs für schuldig. Die Verurteilu­ng zu lebenslang­er Haft ist nicht rechtskräf­tig. Den Opfern wurde das beantragte Schmerzeng­eld zugesproch­en.

„Meines Erachtens war das ein Amoklauf aus Zorn und Frustratio­n.“

 ?? BILD: SN/APA/HERBERT NEUBAUER ?? Mordprozes­s gegen einen 23-jährigen Afghanen.
BILD: SN/APA/HERBERT NEUBAUER Mordprozes­s gegen einen 23-jährigen Afghanen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria