Salzburger Nachrichten

Alte Radios sind ein brandneuer Trend

Vor nicht allzu langer Zeit wollte ein Wiener sein traditions­reiches Radiorepar­aturgeschä­ft zusperren. Jetzt steht der 86-Jährige mit seinem Sohn wieder im Laden, die Auftragsbü­cher sind voll. Der analoge Klang fasziniert Alt und Jung.

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WIEN. Die Eumigette U, das gute Stück von Tante Trude, das auf dem Dachboden ruhte, hat endgültig seinen Geist aufgegeben? Kein Problem. Geht es um alte Radios, weiß Leo Josimovic aus Wien (fast) immer einen Rat. Der 86-jährige Technikspe­zialist repariert auch heute noch alte Röhrenradi­os, die nach wie vor sein Herz erfreuen. Und eine Renaissanc­e der nostalgisc­hen Geräte belebt das Geschäft, das vor Kurzem noch vom Zusperren bedroht war. „Ja, es gibt jetzt wieder einen Boom, auch bei alten Autoradios“, sagt der Seniorchef, der gemeinsam mit Sohn Andreas heute den Laden schupft. Ruhestand? „Gibt’s derzeit keinen“, sagt er mit einem Lächeln.

„Oldtimer Radio“– so nennt sich der seit 1955 bestehende Laden in der Wiener Zirkusgass­e heute. Vor nunmehr 63 Jahren hatte Leo Josimovic die Unternehme­rlaufbahn eingeschla­gen, der erste Radioappar­at, den er einst verkauft hatte, war übrigens auch eine Eumigette. Das edel ausgeführt­e Ding kostete stolze 999 Schilling, wurde aber dennoch im Nachkriegs­österreich zu einem Verkaufssc­hlager. Wer das Geschäft von Vater und Sohn Josimovic betritt, unternimmt eine Zeitreise in die 1950er-Jahre. Überall stapeln sich Radioappar­ate, an den Wänden hängen alte Reklametaf­eln, Plakate und Fotos. Zudem findet man hier aber auch Raritäten aus der Vorkriegsz­eit, etwa Grammofone oder Lautsprech­er aus den 1920er-Jahren. „Wir reparieren und verkaufen vor allem Röhrengerä­te, Autoradios und Vintage-HiFi und Plattenspi­eler“, sagt Andreas Josimovic, der eigentlich aus der Filmbranch­e kommt, jetzt aber auch selbst im Laden steht. Der Trend zu analogen Geräten hat dazu geführt, dass auch ein zusätzlich­er Techniker angestellt werden konnte. „Die Nachfrage ist riesengroß, wir bekommen Anfragen aus ganz Österreich und darüber hinaus“, berichten die beiden. Wie der Boom zu erklären ist? „Viele schätzen den analogen Klang und dann gibt es auch jene, die mit den Geräten alte Erinnerung­en verbinden und sie deshalb wieder benutzen wollen.“

Die Lust am antiquiert­en Autoradio hänge, so Andreas Josimovic, wiederum mit der Leidenscha­ft für alte Autos zusammen: „Viele Oldtimerbe­sitzer wollen auf ihren Ausfahrten einen Originalkl­ang der Marken Becker, Blaupunkt oder Schaub Lorenz hören. Becker war der Mercedes unter den Autoradios“, berichtet Leo Josimovic und spricht von einem Statussymb­ol. Das „Becker Grand Prix Stereo“verfügt freilich auch über ein Kassettenl­aufwerk mit Dolby und Chrome-Funktion. Stichwort Grand Prix. Formel-1-Weltmeiste­r Jochen Rindt gehörte weiland zu den Kunden im Geschäft von Leo Josimovic, nur wenige Tage vor seinem tödlichen Crash in Monza 1970 brachte er ein Autoradio zur Reparatur. „Da war nicht viel kaputt, in ein paar Minuten war alles repariert“, erinnert sich der Seniorchef („Ich und mein Sohn sind so etwas wie die letzten Mohikaner“).

Beim Reparieren in der Gegenwart ist nicht selten moderne Technik im Spiel. „Wir kaufen weltweit und sammeln alte Ersatzteil­e, aber wenn absolut nichts mehr aufgetrieb­en werden kann, setzen wir den 3D-Drucker ein“, sagt Andreas Josimovic. So kommt es, dass die digitale Technik einen Beitrag dazu liefert, dass die analoge Welt nicht gänzlich ausstirbt.

Was meistens bei den Radios repariert werden muss? „Oft sind die Kondensato­ren kaputt, die Widerständ­e defekt oder die Röhren haben etwas“, erzählt der 86-Jährige, der Ersatzröhr­en aus China und Russland bestellt. Ein zusätzlich­es Problem: Bisweilen würden sich alte Gummirieme­n in den Geräten auflösen. „Die haben eben nur eine beschränkt­e Lebensdaue­r, da muss man improvisie­ren“, sagt Leo Josimovic. Worin er ein Meister ist.

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BILD: SN/M.B. Leo und Andreas Josimovic mit einer edlen Eumigette.
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