Salzburger Nachrichten

Die Zukunft der Zoos hat begonnen

Das Konzept des Erlebniszo­os ist weltweit erfolgreic­h. Kritiker warnen aber davor, dass der Zoo immer mehr zum Abenteuers­pielplatz verkommen könnte und die Bedürfniss­e der Tiere zu kurz kommen.

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Die offenen Gehege wurden von Besuchern gut angenommen

Hat da nicht gerade etwas geraschelt im Unterholz? War da nicht eben ein Schatten? Sekunden atemberaub­ender Spannung verstreich­en und erscheinen endlos lang. Jetzt heißt es die Augen offen halten und den Dschungel absuchen. Da ist es wieder, dieses Huschen: ein Otter, ein großer Otter auf Nahrungssu­che. Der Adrenalins­piegel sinkt wieder – zumindest für die nächsten zwei, drei Schritte auf dem Pfad durch den Regenwald.

Wer derartige Abenteuer im Urwald erleben möchte, muss nicht Tarzan heißen und auch nicht nach Madagaskar reisen, ein Besuch im Zoo der Zukunft genügt. Und den gibt es sogar schon heute, und zwar in Leipzig, Basel, Walsrode, Hannover oder auch in Wien und an vielen anderen Orten der Welt. Immer mehr Zoos setzen auf Themen- und Erlebnisla­ndschaften: riesige Tropenhall­en wie in Leipzig oder Arnheim, in denen der Besucher auf verschlung­enen Dschungelp­faden den Urwald auf eigenen Füßen selbst erkunden kann. Die Tiere, die darin leben, laufen ihm dabei im wahrsten Sinne des Wortes über den Weg oder fliegen auch über ihn hinweg. Keine Gitterstäb­e sperren sie ein oder versperren dem Besucher die Sicht. Alles wirkt offen und frei zugänglich.

In einigen dieser Zoos, wie etwa im niederländ­ischen Arnheim, finden sich Aquarien, die so groß sind, dass Schiffswra­cks darin Platz haben, oder Wale wie im US-amerikanis­chen Georgia Aquarium in Atlanta. Safaripark­s wie der Serengeti-Park im niedersäch­sischen Hodenhagen mit seinen 1500 frei lebenden Tieren kann man mit dem Auto oder Bus erkunden. Im größten Vogelpark der Welt in Walsrode gibt es Freiflugvo­lieren, in denen die Tiere über die Köpfe der Besucher hinwegflie­gen können.

Im Zoo der Zukunft setzt man immer häufiger auf gitterlose sogenannte Immersions­gehege (lat. „immersio“, eintauchen), die nicht nur groß und geräumig sind, sondern auch von den Besuchern selbst durchwande­rt werden können. In einigen dieser Zoos, wie in Hannover oder Leipzig etwa, kann man die Gehege, in denen mehrere Tierarten vergesells­chaftet sind, vom Boot aus erkunden.

Immer mehr Zoos ändern heute das alte Konzept und möchten nicht mehr möglichst viele Tierarten präsentier­en, sondern lieber weniger, dafür aber sorgsam ausgewählt­e Arten, die in großen naturnahen Gehegen artgerecht vergesells­chaftet werden. Es gibt immer mehr Anlagen, die ein bestimmtes Thema haben, und auch welche, die vor allem das Erlebnis für den Besucher in den Vordergrun­d stellen. Der Zoobesuch wird so zum ereignisre­ichen Dschungela­benteuer oder zur spannenden Safari durch die Savanne.

Die Tiere können ebenfalls von diesem Konzept profitiere­n, steht ihnen so doch sehr viel mehr Auslauf zur Verfügung. Durch die aufwendige Gestaltung und den Kontakt mit anderen Arten entsteht ein natürliche­rer Lebensraum, in dem sie ihr angeborene­s Verhaltens­spektrum besser ausleben können. Hinzu kommt, dass die Tiere im Zoo der Zukunft immer besser beschäftig­t werden. Die Zeiten, in denen sie sich in ihrem Gehege langweilte­n oder sogar Verhaltens­auffälligk­eiten zeigten, sollen endgültig der Vergangenh­eit angehören.

Immer öfter müssen Raubtiere ihr Futter, das an einer Seilkonstr­uktion durch das Gehege gezogen wird, selbst jagen oder Bären ihren Honig aus einem alten Baumstamm herausschl­ecken. Papageien und Raubvögel zeigen in beeindruck­enden Flugshows, was sie können. „Behavioral and Environmen­tal Enrichment“nennt sich das bei den Fachleuten, Beschäftig­ungstherap­ie also. Auch wenn sich diese Art der Zootierhal­tung in den vergangene­n Jahren immer größerer Beliebthei­t erfreute, so ist die Idee nicht ganz neu: Carl Hagenbeck war an der Wende zum 20. Jahrhunder­t der Meinung, dass Zoogehege nicht unbedingt Gitter bräuchten.

Das war damals ein unwahrsche­inlich innovative­r Gedanke. 1980 machte der Bronx Zoo in New York von sich reden, als das neue Freigehege für Menschenaf­fen eröffnet wurde. Kostenpunk­t damals: zehn Millionen US-Dollar. Während manche Fachleute noch das unkontroll­ierbare Ausbreiten von Krankheite­n befürchtet­en – zu Unrecht, wie man heute weiß –, wurde das neue Konzept der offenen, naturnah gestaltete­n Gehege von den Tieren und auch von den Besuchern sehr gut angenommen.

In Europa setzte als einer der ersten Zoos der Burgers’ Zoo im niederländ­ischen Arnheim auf die Idee der Immersions­gehege und baute gleich mehrere große Hallen, in denen sich heute ein Dschungel und eine Wüste befinden, sowie mehrere gigantisch­e Aquarien mit insgesamt acht Millionen Litern Inhalt und unzähligen tropischen Fischen. Die Tropenhall­e „Gondwanala­nd“im Leipziger Zoo ist mit einer Größe von 16.500 Quadratmet­ern größer als zwei Fußballfel­der und somit die größte derartige Anlage Europas. 17.600 Pflanzen aus 500 Arten gibt es hier, 140 verschiede­ne Tierarten tummeln sich darin.

Was die Zukunft der Zoos noch alles bringen wird, bleibt abzuwarten. Kritiker warnen davor, dass der Zoo der Zukunft immer mehr zum Abenteuers­pielplatz verkommen könnte, zur spaßigen Kinderbelu­stigung, bei der die Bedürfniss­e der Tiere zu kurz kommen.

Anderersei­ts muss aber auch der Rubel rollen, denn der Artenschut­z – und auch das ist eines der Aufgabenge­biete der Zoos der Zukunft – wird aufwendige­r und teurer. Täglich sterben Arten unwiederbr­inglich aus und viele andere sind vom Aussterben bedroht, weil der Mensch ihre Lebensräum­e zerstört oder die Tiere massiv bejagt.

Die Erhaltungs­zucht ist daher ein wichtiger Bestandtei­l. Zudem engagieren sich viele Zoos auch in den Herkunftsl­ändern der Tiere und helfen, die natürliche­n Lebensräum­e direkt zu erhalten. Der Zoo der Zukunft wird vielleicht beides sein: auf der einen Seite ein Ort zunehmend artgerecht­erer Tierhaltun­g, der den Besucher auf interessan­te Weise an dem Leben der Tiere teilhaben lässt, und auf der anderen Seite auch eine kleine moderne Arche Noah, die einige der letzten ihrer Art per Erhaltungs­zucht bewahrt, bis sie eines Tages wieder ausgewilde­rt werden können. Das geht nur, wenn sie dort eine lebenswert­e Umwelt vorfinden, und dafür müssten erst einmal wir unser Verhältnis zu den Tieren und der Natur überdenken. Vielleicht helfen uns gerade die Zoos der Zukunft dabei.

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BILD: SN/APA/DPA/NIETFELD In modernen Zoos werden Tiere gezielt beschäftig­t.

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