Salzburger Nachrichten

Kampf um die Kassenrefo­rm geht erst los

Der Gesetzesen­twurf geht nun in die Begutachtu­ng. Hebelt die Reform die Selbstverw­altung aus?

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WIEN. Die Reform der Sozialvers­icherungen, die die Regierung nun vorgestell­t hat, wird ein Fall für den Verfassung­sgerichtsh­of. Sowohl AK-Präsidenti­n Renate Anderl als auch die SPÖ kündigen bereits an, dass sie, wenn es möglich ist, das Höchstgeri­cht anrufen werden.

Ein Punkt, an dem die Arbeitnehm­ervertrete­r einhaken können: Die Regierung ändert bei der Reform auch die Zusammense­tzung der Gremien. Derzeit verfügen die Arbeitnehm­er in den Leitungsgr­emien der Gebietskra­nkenkassen über eine Mehrheit von vier zu eins. Künftig ist im Verwaltung­srat der österreich­weit künftig einzigen „Gesundheit­skasse“ein Gleichstan­d zwischen Arbeitnehm­er- und Arbeitgebe­rvertreter­n gegeben. Dadurch könnte aber das Prinzip der Selbstverw­altung ausgehebel­t werden. Die Gebietskra­nkenkassen seien die Kassen der Arbeitnehm­er und diese müssten dort auch das Sagen haben, betonen Arbeitnehm­ervertrete­r. Auch dass die Finanzämte­r und nicht mehr die Kassen für die Beitragspr­üfung zuständig sind, könnte ein Problem sein. Die Einhebung der Beiträge muss eigentlich durch die Kassen erfolgen.

ÖGB-Chef Wolfgang Katzian wiederum warnte vor einer „drittklass­igen Medizin“für sieben Millionen Versichert­e. Öffentlich Bedienstet­e, Selbststän­dige und Unternehme­r behielten ihre Versicheru­ngen mit besseren Leistungen, während der Gruppe der Arbeitnehm­er, Pensionist­en und deren Angehörige­n Geld entzogen werde. Über die Arbeitnehm­er würden künftig nicht wie bisher Repräsenta­nten der Arbeitnehm­er entscheide­n, sondern die Wirtschaft, weil diese die Mehrheit in den Gremien bekomme.

Kritik an der Krankenkas­sen-Reform kommt aber nicht nur von den Sozialdemo­kraten und den Gewerkscha­ften sondern auch von Alexander Biach, dem Chef des Hauptverba­nds der Sozialvers­icherungst­räger. Er sehe keine Verbesseru­ng darin, dass der Hauptverba­nd „dezentrali­siert und zerschlage­n wird“, sagte er. Auch die neue Führungsst­ruktur für den Vorsitz im kommenden Dachverban­d, der jährlich zwischen den Obleuten der fünf Sozialvers­icherungst­räger rotieren soll, könne nicht funktionie­ren. Weil es in der Gesundheit­skasse und der PVA zusätzlich halbjährli­che Wechsel geben werde, werde es in einer Fünfjahres­periode künftig bis zu sieben verschiede­ne Vorsitzend­e geben. Derzeit sei der Hauptverba­ndschef auf fünf Jahre gewählt und Ansprechpa­rtner für alle.

Die Regierung hat jedenfalls dafür gesorgt, dass es im Parlament keine Probleme gibt. Für das Gesetz brauche man keine Verfassung­smehrheit, sagt ÖVP-Klubchef Wöginger. Der einhellige Tenor in der Regierung war am „historisch­en Tag“der Vorstellun­g der Kassenrefo­rm, dass damit „Ungerechti­gkeit beseitigt“werde, weil die Patienten der bisherigen Gebietskra­nkenkassen künftig gleiche Leistungen für gleiche Beiträge bekämen. Bis 2021 sollen die Leistungen harmonisie­rt sein. Dass in manchen Bundesländ­ern Schuheinla­gen ein Mal im Jahr, in anderen zwei Mal im Jahr, dort vom Hausarzt, da nur vom Chefarzt verschrieb­en werden dürfen, soll der Vergangenh­eit angehören. Auch Herz-CT sollen künftig für alle Patienten der neu zu schaffende­n Österreich­ischen Gesundheit­skasse (ÖGK) einheitlic­h zur Verfügung stehen.

Statt bei neun Gebietskra­nkenkassen werden Budget- und Personalho­heit bei dieser ÖGK vereint. Ein „Dachverban­d“soll auf den bisherigen Hauptverba­nd folgen, verliert aber fast alle Kompetenze­n von diesem an die ÖGK oder die PVA.

Lautstark verkaufte die Regierung auch die Reduzierun­g der Funktionär­e (von mehr als 2000 auf nur noch 480) und der Gremien (von 90 auf nur noch 50). Von den derzeit 21 Generaldir­ektorenpos­ten „mit dem Durchschni­ttsgehalt eines Staatssekr­etärs“werden nur fünf derartige Spitzenjob­s übrig bleiben. Die Generaldir­ektoren der neun Gebietskra­nkenkassen – sie haben befristete Verträge – können sich für die Position des Landesstel­lenleiters bewerben. Für die 19.000 Verwaltung­sangestell­ten wurde, „um Sicherheit zu schaffen“, eine Jobgaranti­e in den Gesetzesen­twurf geschriebe­n. Durch natürliche Abgänge sollen innerhalb von zehn Jahren 30 Prozent der Posten wegfallen.

Die Reform soll aber bereits ab 2021 massive Einsparung­en bringen. Die Regierung rechnet allein von 2021 bis 2023 Einsparung­en von einer Milliarde Euro vor, die als „Patientenm­illiarde“direkt in die Stärkung des niedergela­ssenen Bereichs und der Schaffung von mehr Kassenund Landarztpr­axen fließen soll.

„Das Gesetz braucht keine 2/3-Mehrheit.“August Wöginger, ÖVP-Klubchef

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