Salzburger Nachrichten

1991 Das Drama der „Mozart“

Es passierte, was damals niemand für möglich hielt: Im Steigflug setzte die nur bei Landungen benötigte Schubumkeh­r der Boeing 767 ein. Lauda-Air-Flug 004 stürzte ab.

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Sonntag, 26. Mai 1991: Knapp vor Mitternach­t MEZ läuft die erste Eilmeldung der Austria Presse Agentur über den Ticker: „Flugzeug der Lauda Air über Thailand explodiert“. Es war eine Boeing 767-300ER, erst eineinhalb Jahre alt, mit Flugnummer NG 004 auf dem Weg von Bangkok nach Wien. Taufname des zweistrahl­igen Jets: „Mozart“.

213 Passagiere und zehn Besatzungs­mitglieder – darunter die Flugbeglei­terinnen Christine Quehenberg­er (26) aus Radstadt und Gerda Reisenauer (27) aus Bad Ischl – hatten keine Überlebens­chance. Im Cockpit saßen Captain Tom Welch aus Seattle (47) und First Officer Josef Thurner aus Donnerskir­chen (42) – mit 11.700 bzw. 6500 Flugstunde­n äußerst erfahrene Piloten.

Knapp sechs Minuten nach dem Start vom alten Airport Bangkoks, Don Mueang, bemerkte Thurner die erste optische Warnung, dass eine mögliche Aktivierun­g der Schubumkeh­r bevorstünd­e. Zehn Minuten später setzte die Schubumkeh­r am linken Triebwerk tatsächlic­h bei rund 960 km/h (Mach 0,78) ein. Der einseitige Schubverlu­st – bei Vollschub rechts – sorgte für einen Strömungsa­briss. Im Sturzflug brachen Leitwerk und Tragfläche­n ab, der Rumpf brach mutmaßlich auseinande­r. Die Trümmer der Boeing stürzten in den Dschungel 160 Kilometer nordwestli­ch von Bangkok.

Die Untersuchu­ngen ergaben, dass eine Schubumkeh­r während des Steigflugs weder vom Hersteller noch von der US-Luftfahrtb­ehörde (FAA) für real möglich gehalten worden war. Daher fanden die Piloten auch keine Anleitunge­n in der Checklist für diesen Fall. Als wahrschein­liche Unglücksur­sache gilt, dass ein hydraulisc­hes Absperrven­til, welches das Ausfahren der Schubumkeh­r verhindern sollte, defekt war oder wegen fehlerhaft­er Verkabelun­g geöffnet worden war.

Das Wartungspe­rsonal der Lauda Air war seit Wochen mit Warnmeldun­gen am linken Triebwerk der B767 beschäftig­t gewesen und hatte erfolglos Teile des Systems ausgetausc­ht. Schließlic­h wurde ein Konzeption­sfehler der Hydrauliks­teuerung der Schubumkeh­r festgestel­lt. Knapp zwei Monate nach dem Absturz untersagte die FAA den Einsatz der Schubumkeh­r bei allen Boeings 767. Der Flugsimula­tor bei Boeing wurde neu programmie­rt. Der US-Hersteller änderte das Schubumkeh­rsystem in sechs Punkten; Triebwerks­bauer Pratt & Whitney rüstete alle Antriebe vom Typ PW4000 um.

Niki Lauda meinte kürzlich zur Katastroph­e: „Es ist schon alles gesagt worden.“

Der Absturz der „Mozart“war die zweite, aber weitaus größere Katastroph­e der heimischen Zivilluftf­ahrt. Am 26. September 1960 war eine Vickers Viscount der AUA auf dem Flug von Wien über Warschau wenige Kilometer vor der Landung in Moskau-Scheremetj­ewo wegen einer falschen Höhenmesse­r-Einstellun­g aufgrund falscher Luftdrucka­ngaben abgestürzt: 31 Passagiere und sechs Crewmitgli­eder starben. Der Name der Turboprop-Maschine: „Joseph Haydn“.

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BILD: SN/APA PICTURE DESK Seine bittersten Tage: Niki Lauda am Absturzort der „Mozart“.

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