Salzburger Nachrichten

„Ein Gebäude ist nur nachhaltig, solange Menschen darin wohnen“

Die Bevölkerun­g in den Großstädte­n wird weiter deutlich wachsen. Die Verhaltens­biologin Elisabeth Oberzauche­r erklärt, was Wien lebenswert macht, wie wichtig Pflanzen sind und warum man die Menschen in die Stadtplanu­ng einbinden sollte.

- EVA HAMMERER

Bis zum Jahr 2030 wird sich die Bevölkerun­g in den Städten laut Vereinten Nationen (UNO) um rund eine Milliarde auf 5,2 Milliarden Menschen erhöhen. Das heißt: Bis dahin werden insgesamt 60 Prozent der Weltbevölk­erung in Städten leben. Aber was gehört dazu, dass sich die Menschen in so einem großen Lebensraum wohlfühlen? Die Verhaltens­biologin Elisabeth Oberzauche­r hat dazu jede Menge Antworten parat. SN: Welche Folgen hat es, wenn man bei der Stadtplanu­ng nicht auf die Bedürfniss­e der Menschen eingeht? Elisabeth Oberzauche­r: Was man oft sieht, sind Gebäude, die in den 1980er- oder 90er-Jahren gebaut wurden, aber leer stehen. Dass man in der Nachhaltig­keitsdebat­te nur engstirnig auf die Energieeff­izienz setzt und alles andere aus den Augen verliert, stimmt mich bedenklich. Ein Gebäude ist nur nachhaltig, solange Menschen darin wohnen. Mögen Altbauten nicht unbedingt energieeff­izient sein, aber wenn man die Lebenskost­en miteinbezi­eht, wird ein Altbau plötzlich nachhaltig­er als ein Passivhaus. Ich halte nachträgli­ch angebracht­e Wärmedämmu­ng für problemati­sch. Diese erhöht zwar die Energieeff­izient, wirkt sich aber negativ auf die Wohnqualit­ät im Gebäude aus. SN: Warum? Wir haben ein Projekt, das zeigt: Nachträgli­ch angebracht­e Wärmedämmu­ng beeinträch­tigt die Akustik eines Gebäudes massiv. Zuvor hat man gut gewohnt, danach hört man plötzlich jedes Wort aus der Nachbarwoh­nung – die Geräusche übertragen sich im Gebäudeinn­eren. Zudem wird durch eine dickere Außenhülle der Lichteinfa­ll beeinträch­tigt. Und wir leiden ohnehin schon an Tageslicht­entzug. Ich will gar nicht davon reden, was es für die Entsorgung bedeutet. Durch diese Maßnahmen bauen wir gleichzeit­ig Sondermüll­deponien. Wenn wir Gebäude bauen, in denen es den Menschen nicht gut geht, kaufen wir Energieeff­izienz, indem wir kranke Menschen schaffen. SN: Wie bekommt man in einer Großstadt das Verkehrspr­oblem in den Griff? „Pokémon Go“war eine fantastisc­he Geschichte. So ist das Zufußgehen wieder interessan­t geworden. In meiner Kindheit auf dem Land war das Fahrrad das natürliche Transportm­ittel. Auch Erwachsene fuhren damit einkaufen oder zum Baggersee. Heute kommt dem Fahrrad in der Stadt Bedeutung zu, weil es eine effiziente Transportm­öglichkeit ist. Dagegen hat es sich auf dem Land zu einer Freizeitmö­glichkeit gewandelt. Man packt das Fahrrad aufs Auto und fährt wohin, um dort mit dem Rad zu fahren.

Ich habe in Wien eine Jahreskart­e für die öffentlich­en Verkehrsmi­ttel, aber ich bräuchte sie nicht. Nicht weil ich so zentral wohne, sondern weil ich so gut wie alles zu Fuß gehen kann. Es dauert zwar etwas länger, ist aber sogar besser kalkulierb­ar als mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln. In Salzburg würde ich nur zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren. Die sogenannte Walkabilit­y ist ein großes Thema, warum eine Stadt Lebensqual­ität hat. Wenn die Autos zu Hause bleiben, nimmt das Verkehrsau­fkommen ab. SN: Wie wichtig ist es für die Stadtplanu­ng, die Menschen einzubinde­n? Allein dass es partizipat­ive Prozesse gibt, kann die Akzeptanz steigern. Und das ist wichtig dafür, dass eine Stadt funktionie­rt. Wenn die Menschen sich ausgeschlo­ssen fühlen, distanzier­en sie sich von dem System und werden auch keine Verantwort­ung übernehmen. Aber wie erreicht man in einer Stadt, dass die Infrastruk­tur nicht baden geht? Das ist die größte Herausford­erung: Denn öffentlich­er Raum und Großstadt-Anonymität führen dazu, dass die Infrastruk­tur in niemandes Verantwort­ung liegt. Wenn Menschen sich identifizi­eren, kümmern sie sich auch um diesen Raum. SN: Menschen brauchen aber auch genügend Platz. Kurzsichti­ge ökonomisch­e Interessen stehen oft im Weg. Etwa dass ich teuer vermieten will, aber für alles andere der Platz fehlt. Der Grund, warum Wien immer wieder auf Platz 1 in Städte-Rankings liegt, beruht auf der mehr als 100-jährigen Tradition, in der ganz bewusst Stadtplanu­ng betrieben worden ist. Auch weil man gezielt die Entstehung sozialer Ghettos vermieden hat. Wir haben Gemeindeba­uten an den schönsten Fleckerln. Politische Ansätze, jene aus den Sozialbaut­en zu werfen, denen es besser geht, würde Brennpunkt­e erzeugen und Ghettos schaffen. Wir sollten uns vielmehr ans Revers heften, dass erfolgreic­he Menschen immer noch gern im Gemeindeba­u wohnen. Das sagt doch alles. SN: Wie sinnvoll ist die Planung von Städten auf dem Reißbrett? Die Seestadt Aspern ist so eine Sache: Da wurde jahrelang geplant, wie man eine Smart City aufbauen kann. Das ist für mich ein spannendes Experiment. Ich schwanke aber immer noch zwischen wahnsinnig­em Pessimismu­s und aufkeimend­em Optimismus. Der wahnsinnig­e Pessimismu­s hat den Hauptgrund darin, dass die Stadt und die sozialen Strukturen nicht langsam gewachsen sind. Die Leute sind von null auf 100 zusammenge­pfercht worden. Das war eine Hauptbefür­chtung, die sich relativier­t hat – aufgrund sozialer Medien. So haben sich die zukünftige­n Bewohner schon vorher kennengele­rnt, sind nicht als Fremde eingezogen und haben auch den Mangel an Infrastruk­tur ausgeglich­en. Sie haben das selbst organisier­t, und das schweißt zusammen. Das ist der aufkeimend­e Optimismus. SN: Was stresst die Menschen in einer Stadt? In erster Linie andere Menschen. In der Evolutions­geschichte sind wir in relativ kleinen Gruppen aufgewachs­en. Da greifen unsere Mechanisme­n, wie wir unser soziales Miteinande­r regulieren, sehr gut. Wenn wir aber in viel größeren Gruppen zusammenle­ben, versagen diese sehr einfachen Strategien. Wir müssen viel mehr mit bewussten kognitiven Interventi­onen arbeiten. Wenn wir wirklich alle Menschen wahrnehmen wollen, die uns umgeben, ist das wahnsinnig anstrengen­d. SN: Wie wichtig sind Pflanzen und Grünfläche­n in der Stadt? Grün hat viele positive Auswirkung­en: Der Klimawande­l betrifft den urbanen Raum noch stärker als andere Bereiche. Die gebauten Strukturen wirken wie Hitzespeic­her. Gibt es eine Begrünung, wirkt das kühlend. Ein zweiter Aspekt betrifft die nun heftiger ausfallend­en Regengüsse, das überforder­t die Abflusssys­teme. Da wirkt Dachbegrün­ung wie ein Puffer. Dann gibt es physikalis­che Effekte: Pflanzen sind Schadstoff- und Feinstaubf­ilter, damit wird die Luftqualit­ät erhöht. Pflanzen sind auch die einzigen natürliche­n Schalldämm­er, die wir haben. Man darf die psychosozi­ale Auswirkung nicht vergessen: Es gibt Studien, die zeigen, dass bei gleichem Lärmpegel eine begrünte Straße weniger laut wahrgenomm­en wird als eine nicht begrünte. Außerdem bauen Pflanzen Stress ab, steigern das Glücksgefü­hl und die kognitive Leistungsf­ähigkeit und wirken positiv auf unser soziales Miteinande­r. Und dann sind da noch die gesundheit­lichen Effekte: Menschen, die in begrünten Straßen wohnen, haben seltener HerzKreisl­auf-Erkrankung­en. Elisabeth Oberzauche­r: Die Verhaltens­biologin lehrt an der Universitä­t Wien. Im Jahr 2015 erhielt sie den Ig-Nobelpreis. Zudem ist sie Mitglied der „Science Busters“. Kürzlich erschien ihr Buch: „Homo urbanus“(Verlag Springer) . WWW.OBERZAUCHE­R.EU

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BILD: SN/BERNHARD SCHREGLMAN­N Der größte Stressfakt­or für Menschen sind andere Menschen.
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