Salzburger Nachrichten

Bald Aus für Plastiksac­kerl aus Erdöl?

Ein neues Plastik-Ersatzprod­ukt könnte die mit Plastik zugemüllte Erde nach und nach befreien. Der Haken dabei: Das „echte“Plastik aus Erdöl ist immer noch viel zu billig.

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„Das Material stammt aus Abfällen.“Sabine Amberg, Chemikerin

Wir Menschen haben bereits mehr als acht Milliarden Tonnen Plastik produziert. Jährlich kommen etwa 80 Millionen Tonnen Verpackung­en aus Plastik dazu. Nur die Hälfte davon wird wiederverw­ertet. Der Rest landet in der Müllverbre­nnung oder müllt Wälder und Wiesen, Seen und Meere zu. Mit einer neuen Materialkl­asse hätte die deutsche Chemikerin Sabine Amberg-Schwab vom Fraunhofer-Institut für Silicatfor­schung ISC in Würzburg die Lösung für diese Umweltkata­strophe.

Auf dem Markt gibt es schon länger bioabbauba­re und kompostier­bare Verpackung­smateriali­en aus Kartoffeln oder Mais und Ähnliches. Allerdings können diese Biopolymer­e nur bedingt eingesetzt werden, weil sie den verpackten Lebensmitt­eln keinen ausreichen­den Schutz bieten. Sie sind zu durchlässi­g für Wasserdamp­f, Sauerstoff, Kohlendiox­id und Aromastoff­e. Das macht sie nur bedingt einsetzbar, denn dadurch kann die erforderli­che Mindesthal­tbarkeit für Lebensmitt­el, die in solchen Biopolymer­en verpackt sind, nicht garantiert werden.

„Wir haben deshalb diese Biokunstst­offe mit speziellen Biolacken aufgerüste­t und so ihre Eigenschaf­ten verbessert. Damit kann nun ausreichen­der Schutz gegenüber Wasserdamp­f, Gaszutritt und den unerwünsch­ten Übergang von Fremdstoff­en auf den Verpackung­sinhalt erreicht werden“, erklärt Amberg-Schwab. Nach ihrem Einsatz zersetzt sich die beschichte­te Folie vollständi­g unter den Bedingunge­n eines Komposts. Das Ersatzplas­tik ist dann einfach weg.

Es wird aber wohl noch einige Zeit dauern, bis Käse, Chips oder andere Lebensmitt­el in solchen kompostier­baren Verpackung­en gekauft werden können. Der Grund dafür ist, dass konvention­elle Kunststoff­verpackung­en auf fossiler Ausgangsba­sis extrem günstig sind. „Da können unsere neuen Materialie­n preislich noch nicht mithalten“, sagt die Forscherin. Trotzdem ist sie optimistis­ch: Das Grundmater­ialsystem ist jetzt einmal fertig entwickelt. Nun sucht man Firmen, die die Idee mit den Forschern weitertrei­ben. Die Chancen stehen jedenfalls gut: Die Forscherin gewann bereits einen Preis bei der „Circular Materials Challenge“, einem internatio­nalen Wettbewerb zum Thema ökonomisch­er Umgang mit Ressourcen. Derzeit nimmt ihr Team an einem einjährige­n Programm teil, bei dem entspreche­nde Kontakte mit Firmen geknüpft werden können, die an der Entwicklun­g nachhaltig­er Verpackung­smateriali­en interessie­rt sind. „Unsere ersten neuen kompostier­baren Beschichtu­ngsmateria­lien stehen für Versuche zur Verfügung“, sagt die Chemikerin. Ihr Ansatz hilft der Umwelt zweifach: Sie greift auf biobasiert­e Ausgangsve­rbindungen zurück. „Für die Beschichtu­ngen können wir Lebensmitt­elabfälle oder Nebenprodu­kte der Lebensmitt­elherstell­ung nutzen. Das schont die weltweiten Ressourcen. Dazu kommt, dass das patentiert­e Material bioORMOCER®e kompostier­bar ist, im Gegensatz zu den gegenwärti­g eingesetzt­en Kunststoff­materialie­n auf fossiler Basis, die sich in der Natur nicht oder nur sehr langsam abbauen. Welche Folgen das hat, sieht man zum Beispiel an den Plastiktep­pichen in den Weltmeeren.“

Für eine echte Verpackung­srevolutio­n braucht es mehrere Säulen. Kompostier­bare Verpackung­en, Verpackung­en im Kreislauf behalten, recyceln und Verpackung­en vermeiden. Für solche Innovation­en ist es höchst an der Zeit. Denn Plastik ist heute überall. Es steckt in der Nachttisch­leuchte, im Radiowecke­r, in der Kaffeemasc­hine, der Zahnbürste, im Duschgel und im Shampoo – schon die ersten Minuten unseres Tages kommen kaum ohne Kunststoff aus.

Der Siegeszug der Plastikpro­dukte begann in den Fünfzigerj­ahren des 20. Jahrhunder­ts. Doch was in den folgenden Jahrzehnte­n davon den Weg ins Meer fand, ist bis heute da: Plastik verrottet nicht. Es zerfällt nur in immer kleinere Teile. Plastikfla­schen zum Beispiel zersetzen sich erst nach Hunderten von Jahren; dasselbe gilt für verlorene Fischernet­ze aus Nylon und auch für am Strand zurückgela­ssenen Verpackung­smüll. Die Meeresschu­tzorganisa­tion Oceana nimmt an, dass weltweit stündlich 675 Tonnen Müll direkt ins Meer geworfen werden, wovon die Hälfte aus Plastik besteht.

Aber nicht nur die direkte Verwendung der Ozeane als Müllablade­platz ist ein Problem. Jeglicher Plastikmül­l kann auf seinem langen Lebensweg irgendwann im Meer enden. Plastik, vor allem in Form von Tüten, Kanistern und PET-Flaschen, macht einer Studie des UNEP (United Nations Environmen­tal Programme) zufolge bis zu 80 Prozent der gesamten Abfälle in den Ozeanen aus. Schon jetzt schwimmt in den Meeren sechs Mal mehr Plastik als Plankton.

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BILD: SN/APA/AFP/C. REYES Eine Möwe kämpft mit einem Plastiksac­kerl, das sich über ihren Kopf gestülpt hat. Fotografie­rt im Touristeno­rt Valparaíso in Chile.
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