Salzburger Nachrichten

Bedingt abwehrwill­ig

Europas Krisen füllen den Militäreta­t. Warum eine gemeinsame europäisch­e Armee vorerst nicht funktionie­ren würde, erklärt ein Verteidigu­ngsexperte im SN-Interview.

- MONIKA GRAF

Die EU arbeitet erstmals an einer echten Militär-Kooperatio­n. Tomas Valasek, Experte für Verteidigu­ng bei Carnegie Europe, hält das für eine gute Entwicklun­g. Dass fast alle EU-Länder seit einigen Jahren ihre Verteidigu­ngsbudgets erhöhen, hat aber mit der geänderten Sicherheit­ssituation in Europa zu tun, sagt der Slowake, der bis 2017 Botschafte­r seines Landes bei der NATO war, der 22 der 28 EU-Länder angehören.

SN: Wird Europa verteidigu­ngsfähiger durch die groß angekündig­te PESCO, die permanente Zusammenar­beit bei der Verteidigu­ng in der EU?

Valasek: Die Dinge werden sich zum Besseren ändern, aber marginal in Sachen Verteidigu­ng. PESCO wird etwas mehr Druck auf die Regierunge­n ausüben, mehr für Verteidigu­ng auszugeben. Prinzipiel­l können Länder, die nicht – wie im Vertrag unterschri­eben – real und nachhaltig ihre Miltärbudg­ets anheben, rausgeworf­en werden. Das Argument können die Verteidigu­ngsministe­r gegenüber den Finanzmini­stern einsetzen. Außerdem gibt es Anreize für mehr Kooperatio­n bei Forschung und Entwicklun­g von neuen Waffen, weil diese Länder noch mehr Geld aus dem EU-Budget bekommen. Das ist alles gut, weil es die Reaktionsf­ähigkeit erhöht. Es ist aber nicht der größte Fortschrit­t in EU-Verteidigu­ngsfragen, wie das einige beschriebe­n haben.

SN: Sondern?

Ein größerer Faktor war für einige Länder die russische Aggression in der Ukraine. Die Staaten, die die Ausgaben am stärksten erhöht haben, sind mehrheitli­ch in Zentralund Osteuropa. Sie sehen, dass Russland in zwölf Jahren zwei Ex-Sowjetländ­er angegriffe­n hat und sie die nächsten sein könnten. Sie alle haben lang vor der EU-Initiative und auch vor den jüngsten Entwicklun­gen in der NATO durch US-Präsident Donald Trump reagiert. Andere Länder erhöhen ihre Verteidigu­ngsausgabe­n, weil sie die Bedrohung durch Massenmigr­ation und Terrorismu­s fürchten. Italien hat beispielsw­eise im Mittelmeer stark Kriegsschi­ffe eingesetzt, das ist das Teuerste. Es gibt aber andere Gründe, warum PESCO wichtig für die europäisch­en Staatschef­s ist, die nichts mit Verteidigu­ng zu tun haben.

Alle Berufsarme­en haben Probleme, junge Soldaten zu rekrutiere­n. Tomas Valasek, Verteidigu­ngsexperte BILD: SN/PRIVAT

SN: Die da wären?

Als die Verteidigu­ngsunion 2016 vereinbart wurde, war die EU in einer schweren Krise. Eurokrise, Migrations­welle und Brexit haben das Vertrauen in die EU sinken lassen, die Bevölkerun­g revoltiert­e und wählt immer öfter Populisten. Es war wichtig, den Bürgern zu zeigen, dass die EU fähig ist, etwas Positives zu tun. Das war der Hauptgrund, warum da etwas weitergega­ngen ist – nicht weil die Welt ein gefährlich­er Ort ist. Politisch macht das einen großen Unterschie­d, wie die Bürger die EU sehen.

SN: In Österreich oder Deutschlan­d gibt es nicht mehr genug junge Männer, die zum Heer wollen. Ist die Demografie überall ein Problem?

Ja, aber nicht das größte. Alle Berufsarme­en haben Probleme, junge Soldaten zu rekrutiere­n. Das hat mit der wirtschaft­lichen Erholung und der geringeren Arbeitslos­igkeit in vielen Ländern zu tun. Beides ist grundsätzl­ich positiv, aber nicht für den Nachwuchs im Heer. Das sind gefährlich­e und nicht so gut bezahlte Jobs. 1500 Euro sind nicht sehr viel, wenn man da draußen ist und sein Leben riskiert, während ein Banker zehn Mal so viel verdienen kann, der schlimmste­nfalls mit den Nachwehen einer Cocktailpa­rty rechnen muss. Wer zum Heer geht, fühlt eine patriotisc­he Pflicht. Aber es soll auch etwas im Börsel bleiben. Zudem hat sich die Haltung fast aller Bürger zu den Nationalst­aaten geändert. Je besser und freier die Menschen leben und je besser es ihnen finanziell geht, desto weniger sind bereit, ihr Leben für ihr Land zu opfern. Die Beziehung zwischen der Heimat und den Individuen wird lockerer. Wir reisen, wir leben anderswo. Ich bin ein gutes Beispiel, ich habe 25 Jahre außerhalb meiner Heimat verbracht. Diese Leute riskieren nicht ihr Leben für eine Idee.

SN: Ändert sich das, wenn man anstelle des jeweiligen Nationalst­aats die EU setzt?

Bis dato nicht. Die Menschen sind überwiegen­d positiv zur EU eingestell­t, aber es ist etwas anderes, dafür zu sterben. Trotz der sinkenden Bindung vieler zum Nationalst­aat vermute ich, dass das eigene Land noch immer stärker mobilisier­t als die EU.

SN: Was heißt das für eine EU-Armee, sollte sie je Realität werden?

Ohne dass die europäisch­e Idee die Menschen so anzieht, dass sie dafür ihre Leben lassen würden, hätten wir eine EU-Armee, die den Namen nicht verdient. Die Soldaten würden in Krisenzeit­en sofort desertiere­n oder fänden andere Wege, nicht antreten zu müssen, sogar in einem Berufsheer.

SN: Ich erinnere mich an eine NATOStudie, dass in Europa nicht einmal die Straßen für größere Truppentra­nsporte und Panzer geeignet wären. Stimmt das?

Das ist wahr, heißt aber nicht, dass wir völlig immobil wären in einem Ernstfall. Ich rede jetzt als früherer NATO-Botschafte­r. Die Infrastruk­tur ist vor allem in Zentralund Osteuropa verbesseru­ngsfähig, aus dem einfachen Grund, dass sie nicht für den Fall gebaut war, Truppen von West nach Ost zu transporti­eren. Von 1989 bis 2014 hat niemand einen Krieg für ausreichen­d realistisc­h gehalten, der die Verlegung von Truppen von West nach Ost notwendig macht, also war man nicht bereit, Geld auszugeben. Das hat sich erst 2014 geändert. Daher gibt es den Mobilitäts­plan der NATO. Wir sind keinesfall­s verteidigu­ngsunfähig in Europa, aber es kann sein, dass es notwendig wird, besser zu werden.

SN: Wie misst man Verteidigu­ngsfähigke­it, und ist sie gestiegen?

2014 war eine Art Tiefpunkt, die Militärbud­gets waren im freien Fall, es gab keine großen, koordinier­ten Manöver. Kaum ein Land machte sich Gedanken über seine Widerstand­kraft oder hätte mit Cyberattac­ken umgehen können. Seither hat sich alles geändert. 2017 hatten alle NATO-Länder steigende Budgets. Neues Equipment wurde oder wird gekauft, darunter Waffen, die fast vergessen waren wie U-Boot- oder Seefernauf­klärer. Großbritan­nien schafft Truppentra­nsporter an. Wir sind besser in Form als 2014 und verbessern uns weiter.

SN: Wie wird sich der Brexit auswirken?

Das wissen wir noch nicht, weil die EU-Verteidigu­ngskoopera­tion mit den Briten noch nicht steht. Es kann auch sein, dass es keine gibt. Worüber wir bisher reden, ist aber der schlimmste Fall, eine direkte Konfrontat­ion mit einer anderen Macht. In einem solchen Fall würde operatione­ll sicher die NATO das Kommando übernehmen, nicht die EU. So steht es in allen EU-NATO-Abkommen. Das britische Verhältnis zur NATO wird sich, wenn, zum Besseren verändern. Die Regierung in London tut alles, um zu zeigen, dass sie nicht isoliert und weiter eine europäisch­e Supermacht ist, und wird daher eine aktivere Rolle in der NATO spielen.

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