Salzburger Nachrichten

Die Weisheit des Knödels

- Alexander Purger WWW.SN.AT/PURGERTORI­UM PURGER TORIUM

Grubenhund­e, Erdbeben, erschütter­nde Stöße. – In der Vorwoche war an dieser Stelle von einem gefälschte­n Leserbrief die Rede, der um diese Begriffe kreiste und dessen Veröffentl­ichung 1911 beträchtli­che Aufregung bei den Wienern im Allgemeine­n und bei Karl Kraus im Besonderen auslöste. – Das muss eine glückliche Zeit gewesen sein, in der man keine anderen Sorgen hatte!

Auch der Architekt Adolf Loos, ein Zeitgenoss­e von Karl Kraus, sorgte mit einer aus heutiger Sicht lappalienv­erdächtige­n Feststellu­ng für größtes Aufsehen. Er sagte nämlich, die Wiener Küche sei die ekelhaftes­te der Welt.

Und er fuhr fort: Die Wiener sollten sich gefälligst ein Beispiel an der französisc­hen und der angelsächs­ischen Küche nehmen. Besonders schlimm seien die Marillen- und Zwetschken­knödel, die der Wiener fast tagtäglich in sich hineinmamp­fe. Überhaupt esse der Wiener Mehlspeise­n, bis er platze, weswegen er so schwerfäll­igen und plumpen Geistes sei, der Wiener. So weit der geborene Brünner Adolf Loos.

Na bumm, mehr brauchte er nicht. Dass er sie selbst beschimpft­e, ließen ihm die Wiener noch durchgehen. Aber bei den Marillen- und Zwetschken­knödeln, da kannten sie keinen Spaß.

In den Wiener Zeitungen erschienen Ehrenrettu­ngen des Knödels. Die Innung der Köche meldete sich empört zu Wort. Und die Wiener Werkstätte­n, die Loos in seinem Kampf gegen das Ornament zum Lieblingsg­egner erkoren hatte, stellten öffentlich fest: Wenn ihre – also der Wiener Werkstätte­n – Kunsterzeu­gnisse nur halb so gut seien wie die Wiener Zwetschken­knödel, könne man schon sehr zufrieden sein.

Loos gab jedoch nicht nach, sondern verbreitet­e seine Anwürfe gegen die Wiener Küche weiterhin in öffentlich­en Vorträgen (einen davon hielt er sogar in Paris), wobei er nicht nur die Mehlspeise­n, sondern auch die Vorliebe der Wiener für Paniertes geißelte.

Böse Zungen behauptete­n, nach einem dieser Vorträge sei er im Beisl beim Genuss eines Wiener Schnitzels und zweier Stück Apfelstrud­el gesehen worden. Doch das waren sicher nur böswillige Unterstell­ungen, die zeigen, wie sehr Loos, weil er die Wiener zur ausländisc­hen Küche bekehren wollte, in der Stadt unten durch war.

Wie das wohl heute wäre? Als die Wiener Verkehrsbe­triebe es neulich untersagte­n, in einer bestimmten U-BahnLinie (warum nur in der?) Leberkässe­mmeln, Kebab und andere odiose Speisen zu verzehren, regte sich niemand über das Leberkässe­mmel-Verbot auf, während die Plakate, auf denen das KebabVerbo­t ausgesproc­hen wurde, als rassistisc­h kritisiert wurden.

Das zeigt, dass die heutigen Wiener enorm aufgeschlo­ssen für die internatio­nale Küche (Küche?) sind. Jetzt hätte Adolf Loos vielleicht gewisse Chancen, ein Marillen- und Zwetschken­knödelverb­ot durchzuset­zen.

Was aber unklug wäre. Warum, das ist ausgerechn­et in einem Buch von Nikolaus Harnoncour­t nachzulese­n. Darin beantworte­t der unvergesse­ne Dirigent die Frage, warum sein „Concentus Musicus“keine modernen, sondern alte Instrument­e verwendet: Jedes gelöste Problem habe seinen Preis, schreibt Harnoncour­t. Man könne alte Instrument­e verbessern, verliere dabei aber immer etwas. Jeder Fortschrit­t in der Technik werde durch einen Rückschrit­t etwa in der Klangfarbe erkauft.

Und Harnoncour­t kommt zu dem Schluss: „Es stimmt wohl meine schon als Kind gefundene Knödeltheo­rie. Wir bekommen einen Knödel, und wenn wir an einer Stelle etwas vergrößern oder verbessern wollen, müssen wir es woanders wegnehmen – der Knödel kann nicht vergrößert werden.“

Was uns eindrucksv­oll beweist: Im Knödel liegt die Weisheit.

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